Gerichte ermitteln keine Erben mehr – Baden-Württemberg verliert Bürgernähe

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Gerichte ermitteln keine Erben mehr – Baden-Württemberg verliert Bürgernähe

Gerichte ermitteln keine Erben mehr – Baden-Württemberg verliert Bürgernähe

1. Sparen auf Kosten der Bürger

Bayern und Baden-Württemberg kannten bislang als einzige Bundesländer spezielle landesrechtliche Ermittlungspflichten für Nachlassgerichte. Die Nachlassgerichte ermittelten und informierten die Erben. In Baden-Württemberg wurde dieser Bürgerservice 2015 abgeschafft.

2. Bis 2015

Das Nachlassgericht hatte bislang die Erben von sich aus zu ermitteln. Nur wenn die Erbenermittlung mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden oder ein geringer Nachlass vorhanden war, durfte von der Erbenermittlung abgesehen werden.

Die ermittelten Erben mussten dann über das Ermittlungsergebnis informiert werden, soweit die Adressen bekannt oder einfach zu ermitteln waren (§ 41 Abs. 2 LFGG a.F.). Erben, Ersatzerben, Pflichtteilsberechtigte und Vermächtnisnehmer waren in angemessenem Umfang zu belehren (§ 41 Abs. 3 LFGG a.F.).

Diese Pflicht zur Ermittlung der Erben wurde vom baden-württembergischen Landtag 2015 abgeschafft, einerseits um Personal zu sparen und andererseits das nur dürftig vorhandene Personal zu entlasten. In der Vergangenheit konnten Hinterbliebene nach einem Erbfall zuwarten, bis das Nachlassgericht sie von Amts wegen anschrieb. In der Regel wurde zunächst ein Beteiligter – der Auskunftgeber – angeschrieben. Ihm wurde vom Nachlassgericht ein Fragebogen zugesandt. Mit Hilfe des Fragebogens wurden die wichtigsten Daten erhoben. Das Ermittlungsergebnis wurde dann in in der Nachlassakte festgehalten und den Beteiligten schriftlich bekannt gegeben. Zur Belehrung der Beteiligten wurde in der Regel noch ein Merkblatt mit allgemeinen Informationen über die erbrechtlichen Rechtswirkungen mitgeschickt.

Darauf kann man sich nun nicht mehr verlassen. In Zukunft werden die Nachlassgerichte – wie im übrigen Bundesgebiet (mit Ausnahme Bayerns) auch – nur noch bei Bedarf oder auf Veranlassung der Beteiligten tätig. Lediglich Testamente und Erbverträge, welche sich in besonderer amtlicher Verwahrung beim Nachlassgericht befinden, werden von Amts wegen eröffnet und den Beteiligten übersandt. Dasselbe geschieht mit Testamenten, welche nachträglich an das Nachlassgericht gesandt werden. Nach Ausschlagung der Erbschaft soll das Nachlassgericht nach § 1953 Abs. 3 BGB den Nächstberufenen ermitteln.

3. Warum hat der Gesetzgeber das geändert?

Die offizielle Begründung war, die über die bundesrechtliche Vorgabe hinausgehende, landesrechtliche Regelung zur Erbenermittlung an die Rechtslage im übrigen Bundesgebiet anzugleichen. Nach Ansicht des Justizministeriums soll dadurch auch eine Entlastung für die auf Grund der Notariats- und Grundbuchamtsreform personell angespannte Situation in den Notariaten eintreten.

Die Gesetzesbegründung lautet:

"Zum anderen sollen landesrechtliche Regelungen zur Erbenermittlung an die Rechtslage im übrigen Bundesgebiet angeglichen werden. Im Zuge der Schaffung eines einheitlichen Landesgesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit (LFGG) war eine bis dahin nur im württembergischen Rechtsgebiet geregelte allgemeine Pflicht der Nachlassgerichte zur Ermittlung von Amts wegen auf das badische Rechtsgebiet ausgedehnt worden. Eine allgemeine Pflicht zur Ermittlung der Erben von Amts wegen ist indes entbehrlich, weil erbenlose Nachlässe bereits durch eine Reihe einzelner bundesrechtlicher Vorschriften zur Erbenermittlung hinreichend vermieden werden. Die Pflicht zur Erbenermittlung kann deshalb auf das im übrigen Bundesgebiet übliche Maß zurückgefahren werden."

Auch wenn während einer Übergangsfrist davon auszugehen ist, dass die Nachlassgerichte noch die aus den Akten ersichtlichen Beteiligten anschreiben werden, muss davon ausgegangen werden, dass diese Praxis mittelfristig einschläft. Die Hinterbliebenen müssen sich nach Einstellung dieses besonderen Services des Landes Baden-Württemberg selbst um die Klärung und Sicherung der Erbfolge bemühen.

4. Was wird vom Nachlassgericht noch ermittelt?

Aufgrund Bundesgesetz werden vom Nachlassgericht noch ermittelt:

  • Nach der Testamentseröffnung hat das Nachlassgericht den Beteiligten den sie betreffenden Testmamentsinhalt schriftlich bekannt zu geben.
  • Bei einer Ausschlagung, demjenigen, dem die Erbschaft aufgrund der Ausschlagung anfällt.
  • Bei Beantragung eines Erbscheins hat das Nachlassgericht von Amts wegen die Erbenstellung zu ermitteln

5. Was ist anders?

Ist kein Testament zu eröffnen, sind vom Nachlassgericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen erforderlich. Der Fall kann damit unmittelbar nach Anlegung der Akte aufgrund der Sterbefallanzeige des Standesamtes abgeschlossen werden. Wurden früher die gesetzlichen Verwandten – oft aufwändig – ermittelt, ist der Fall jetzt für das Nachlassgericht erledigt und abgeschlossen, wenn kein Testament vorliegt.

6. Fazit

  • Für die Beteiligten wird es schwieriger einen Erbschein zu bekommen. Sie müssen jetzt selbst dafür Sorge tragen müssen, dass erforderliche Personenstandsurkunden (Geburtsurkunden, Heiratsurkunden, Sterbenachweisen von vorverstorbenen gesetzlichen Erben, Scheidungspapieren und anderen Personenstandsurkunden) dem Nachlassgericht vorliegen.
  • Personen mit komplizierteren Familienverhältnissen, wie z.B. kinderlose Personen, sollten unbedingt ein Testament errichten.
  • Das Nachlassgericht verliert an Bürgernähe.

7. Weiterer Text der Gesetzesbegründung:  Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 15 / 6471

§ 41 Absatz 1 Satz 1 LFGG sah bislang vor, dass das Nachlassgericht die Erben – über die ohnehin bundesrechtlich vorgegebenen Fälle hinaus – von Amts wegen ermitteln sollte. Hiervon konnte allerdings schon nach bisheriger Rechtslage gemäß § 41 Absatz 1 Satz 2 LFGG abgewichen werden, wenn die Ermittlung mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden wäre oder der Nachlass geringfügig ist. Nach Absatz 2 waren die so ermittelten Erben von dem Erbfall und dem sie betreffenden Ermittlungsergebnis zu benachrichtigen, wenn dies ohne wesentliche Schwierigkeiten möglich und nicht anzunehmen war, dass sie auf andere Weise Kenntnis erlangt haben. Die Abschaffung der bislang zwar landesrechtlich vorgesehenen, aber entbehrlichen Pflicht der Nachlassgerichte zur Erbenermittlung von Amts wegen dient der weiteren Bereinigung des Landesrechts. Hierdurch soll die Rechtslage in Baden-Württemberg an die im übrigen Bundesgebiet geltende Lage angepasst werden. In den übrigen Bundesländern ist eine landesrechtliche Pflicht zur Erben - ermittlung durch die Nachlassgerichte nicht vorgesehen. Anderes gilt allein in Bayern. Auch dort unterbleibt eine Erbenermittlung indes schon jetzt, wenn zum Nachlass kein Grundstück oder grundstücksgleiches Recht gehört und nach den Umständen des Falls anzunehmen ist, dass ein die Beerdigungskosten übersteigender Nachlass nicht vorhanden ist. Die über bundesrechtliche Vorgaben hinausgehende Erbenermittlung von Amts wegen zählt nicht zu den landesweit historisch gewachsenen Aufgaben der Nachlassgerichte. In Baden-Württemberg bestand eine Erbenermittlung von Amts wegen bis zum Inkrafttreten des LFGG zum 1. Juli 1975 (GBl. S. 116) lediglich im württembergischen Rechtsgebiet. Das LFGG behielt diese Pflicht für das württembergische Rechtsgebiet bei und dehnte sie auf das badische Rechtsgebiet aus. Dies wird von der nachlassgerichtlichen Praxis im badischen Rechtsgebiet bis heute kritisiert. In der aktuellen rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Rechtsgrundlage für eine landesrechtliche Pflicht zur Erbenermittlung angezweifelt (vgl. Leipold in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, Einl. zu Buch 5, Rn 144.). Unabhängig davon ist eine landesrechtliche Pflicht zur Ermittlung der Erben von Amts wegen jedenfalls sowohl im badischen als auch im württembergischen Rechtsgebiet entbehrlich. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das am 1. September 2009 in Kraft getretene Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), durch welches das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit unter Aufgabe des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG) neu geregelt wurde, überlassen die Regelung und die Abwicklung des Nachlasses grundsätzlich den Beteiligten. Soweit erforderlich, ist bundesgesetzlich eine Erbenermittlung von Amts wegen ausdrücklich vorgesehen (vgl. §§ 1953, 1960, 1965 BGB, §§ 26, 342 Nummer 4, 345 Absatz 1, 348 FamFG sowie § 82 a Grundbuchordnung [GBO]). Damit hat das Nachlassgericht im Fall erbenloser Nachlässe bereits in zahlreichen Fällen Veranlassung und Möglichkeiten, die Erben von Amts wegen zu ermitteln. So obliegt dem Nachlassgericht etwa gemäß § 1960 BGB, bis zur Annahme der Erbschaft für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, wenn der Erbe unbekannt ist; dazu kann es insbesondere einen Nachlasspfleger bestellen, dem auch der Wirkungskreis „Ermittlung der Erben“ übertragen werden kann. Schon bisher bestand für das Nachlassgericht – neben der Pflicht aus § 41 Abs. 1 LFGG – diese Möglichkeit, von der insbesondere im Falle umfangreicher Ermittlungen oder ohnehin zu sichernder Nachlässe auch Gebrauch gemacht wurde. Von Amts wegen sind zudem verwahrte Verfügungen von Todes wegen zu eröffnen (§ 348 FamFG). Bei Beantragung eines Erbscheins hat das Nachlassgericht von Amts wegen die Erbenstellung zu ermitteln (§§ 26, 342 Nummer 4, 345 Absatz 1 FamFG). Gleiches gilt, wenn eine Erbschaft ausgeschlagen wird. Nach § 1953 Absatz 3 Satz 1 BGB soll das Nachlassgericht die Ausschlagung demjenigen mitteilen, dem die Erbschaft infolge der Ausschlagung angefallen ist. Hierzu hat das Nachlassgericht den Nächstberufenen gemäß § 26 FamFG zu ermitteln. Eine Pflicht zur Erbenermittlung gilt bundesrechtlich schließlich insbesondere auch für den Fall, dass mangels weiterer Erben der Fiskus als Erbe in Betracht kommt. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bedarf das Fiskuserbrecht einer gesonderten Feststellung, dass keine anderen Erben vorhanden sind, der grundsätzlich ein entsprechendes Aufgebotsverfahren vorausgeht (§§ 1964 bis 1966 BGB). Einnahmeausfälle des Landes sind durch eine Abschaffung der über die bundesgesetzlichen Vorgaben hinausgehenden Erbenermittlung von Amts wegen nicht zu befürchten. Gebühreneinnahmen hat das Land daraus nicht erzielt (§ 105 Kostenordnung [KostO] a. F.). .

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