Erklärt von Fachanwalt für Erbrecht, Gerhard Ruby

Punkt für Punkt: Die Anforderungen an ein notarielles Nachlassverzeichnis.

Was Notare oft falsch machen

Vor zehn oder gar zwanzig Jahren war es fast schon eine Attraktion ein notarielles Nachlassverzeichnis für einen Pflichtteilsberechtigten einzufordern. Nicht wenige Notare waren verschnupft bis verärgert, ob dieser kuriosen Kühnheit, und weigerten sich gerne, so einen „Blödsinn“ zu machen oder schummelten sich irgendwie arbeitsvermeidend durch, indem sie einfach die Vorlage der Erben beurkundeten. Dabei war es damals schon gutes Recht der Pflichtteilsberechtigten und ist es heute um so mehr. Mittlerweile ächzen die Gerichte unter Stufenklagen, mit denen auf der ersten Stufe ein notarielles Nachlassverzeichnis, auf der zweiten Stufe die Bewertung und auf der dritten Stufe die Zahlung des Pflichtteils begehrt wird. Entsprechend viel haben die Notare zu tun, die von der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses immer noch nicht begeistert sind, obwohl ihnen der Gesetzgeber im GNotKG dafür ein lukratives Entgelt ausgesetzt hat.

Die Erbrechtsgarantie

gibt dem Pflichtteilsberechtigten das Recht auf eigenständige Ermittlungen des Notars, damit der Pflichtteilsberechtigte seinen verfassungsrechtlich verbrieften Pflichtteilsanspruch durchsetzen kann. Der Pflichtteil schützt als Notwehrrecht des Enterbten ja ohnehin nur die verfassungsrechtlich geschützte Mindestbeteiligung am Nachlass. Die Notare sind gesetzlich verpflichtet, solche Nachlassverzeichnisse auf den Tod des Erblassers eigenverantwortlich zu erstellen, wenn sie sich auch nach wie vor viele noch standhaft dagegen wehren. Oft helfen da auch Beschwerden beim Landgerichtspräsidenten nicht wirklich und wenn der Notar dann doch den Auftrag übernommen hat, dauert es Monate, manchmal Jahre bis das Nachlassverzeichnis endlich vorliegt. Dabei wird viel falsch gemacht, vieles einfach übersehen und vielfach das gute Recht der Pflichtteilsberechtigten nicht beachtet. Dabei sind die Anforderungen an den Notar bei der Ermittlung des Nachlasses hoch, denn immerhin verwirklich er die grundgesetzlich geschützte Erbrechtsgarantie, die gerade auch dem Pflichtteilsberechtigten zukommt. Hier sollen wichtige Punkt beleuchtet werden.

Kontoauszüge der letzten zehn Jahre
  • Der Notar muss beim Erstellen des notariellen Nachlassverzeichnisses etwaige Schenkungen überprüfen. Dazu muss er die Kontoauszüge und Bankunterlagen für einen Zehn-Jahres-Zeitraum vor dem Tod des Erblassers eigenständig überprüfen. Sofern die Bank noch über ältere Bankunterlagen verfügt, sind auch diese zu überprüfen. Der Notar muss alle in der Nähe des letzten Wohnsitz des Erblassers befindlichen Banken anschreiben, um zu erfragen, ob der Erblasser dort Konten unterhielt.
Richtigkeitsgewähr
  • Das notarielle Nachlassverzeichnis muss eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Nachlassauflistung bieten als ein privatschriftliches Verzeichnis. Der Notar ist für den von ihm aufgenommenen Inhalt des Nachlassverzeichnisses selbst verantwortlich und muss diese Verantwortlichkeit schriftlich zum Ausdruck bringen.
Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht
Eigene Ermittlungen des Notars
  • Der Notar muss das Nachlassverzeichnis als Amtsperson selbst erstellen und den Nachlass selber vollständig ermitteln („eigene Ermittlungen des Notars“). Er darf nicht bloß die Angaben der Erben übernehmen. Ein Verzeichnis, das nur die Angaben des Erben wieder gibt, ist kein notarielles Nachlassverzeichnis. Der Notar muss Art und Umfang seiner Ermittlungen in seiner Niederschrift vermerken. Wenn der Notar Anhaltspunkte hat, die eine Ermittlung nahelegen, hat er weiter zu ermitteln.
Alle Gegenstände auch Hausrat und Schenkungen
  • Der Notar muss selbständig die aufzunehmenden Gegenstände und Forderungen ermitteln. Dazu gehören neben dem Hausrat und den persönlichen Gebrauchsgegenständen (Wohnungsbesichtigung!) auch alle Gegenstände, die der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes in Besitz hatte und vor allem alle pflichtteilsrelevanten Schenkungen des Erblassers.
Vollständig und richtig
  • Auch muss der Notar im Nachlassverzeichnis schriftlich bestätigen, dass das Verzeichnis von ihm selbst ermittelt und aufgenommen wurde und er für den Inhalt der Urkunde verantwortlich ist. Das kann zum Beispiel durch die Formulierung „Für die Richtigkeit und Vollständigkeit. Unterschrift des Notars“ geschehen. Das Nachlassverzeichnis muss auch richtig sein. Der Notar garantiert die Richtigkeit seines Verzeichnisses. Zweifel an der Richtigkeit des Nachlassverzeichnisses, weil der Erbe mit Informationen zurückgehalten hat, muss der Notar im Nachlassverzeichnis zur Sprache bringen.
Weiterer Nachlass nicht vorhanden
  • Sagt das Nachlassverzeichnis nichts dazu, dass der Notar eigenständige Feststellungen des Nachlasses erhoben hat, und auch nichts dazu, dass weitere Nachlassgegenstände als die angegebenen nicht vorhanden sind, erfüllt der Notar, die an ihn gestellten Anforderungen nicht.
Bankunterlagen
  • Der Notar hat Einsicht in die vollständigen Bankunterlagen der letzten zehn Jahre zu nehmen, wozu er sich eine Vollmacht der Erben zu einer von ihm selbst durchzuführenden Anfrage bei den Banken erteilen lassen kann.
Berechnungsfaktoren für den Wert
  • Notare können das Nachlassverzeichnis nicht verzögern, weil ihnen die Werte des Nachlasses noch nicht bekannt sind. Der Anspruch auf Wertermittlung hat mit dem Anspruch auf das notarielle Nachlassverzeichnis nichts zu tun. Die Wertermittlung ist Aufgabe des Sachverständigen für die Wertermittlung und nicht Aufgabe des Notars. Der Notar muss aber die wertbildenden Faktoren, d.h. alle möglichen Berechnungsfaktoren, im Rahmen seiner Auskunft ermitteln und wiedergeben.
Anspruchsinhaber
  • Der Anspruch auf Vorlage des Nachlassverzeichnisses steht jedem Pflichtteilsberechtigten zu, also in der Regel dem Ehegatten und den Kindern. Sind keine Kinder vorhanden können auch die noch lebenden Eltern die Vorlage eines Nachlassverzeichnisses verlangen. Bei Hartz IV Empfängern geht der Auskunftsanspruch kraft Gesetzes auf den Sozialleistungsträger über. Bei Sozialhilfe kann der Sozialhilfeträger den Anspruch durch schriftliche Mitteilung auf sich überleiten.
Befragung aller Pflichtteilsberechtigten
  • Der Notar hat auch alle Pflichtteilsberechtigten (nicht nur denjenigen, der ein Nachlassverzeichnis verlangt) über ihre Kenntnisse vom realen und fiktiven Nachlass zu befragen. Das gilt insbesondere für Schenkungen des Erblassers, und zwar vor allem für solche, die der jeweilige Pflichtteilsberechtigte selbst erhalten hat. Verweigert der Pflichtteilsberechtigte die Auskunft hat der Notar den Erben anzuhalten diese Auskünfte einzufordern oder einzuklagen und dem Notar zur Verfügung zu stellen. Diese Auskunftspflicht gilt auch für Schenkungen, die länger als zehn Jahre zurückliegen.
Auskunftsschuldner
  • Die Auskunft wird in erster Linie von den Erben geschuldet, wobei jeder einzelne Erbe zur Auskunft verpflichtet ist. Der Anspruch auf Auskunft kann sich aber auch nachrangig gegen einen vom Erblasser Beschenkten richten, wenn der Erbe zur Auskunft nicht in der Lage ist. Der Beschenkte schuldet aber nur Auskunft über die Schenkung. Er muss kein notarielles Nachlassverzeichnis vorlegen.
Kostenschuldner
  • Der Erbe muss aus dem Nachlass die Notarkosten für das Nachlassverzeichnis tragen. Ist der Nachlass allerdings dürftig, kann der Erbe die Errichtung eines Nachlassverzeichnisses verweigern. Dürftig ist der Nachlass, wenn aus ihm nicht einmal die Kosten für ein Nachlassverzeichnis entrichtet werden können. Dann muss der Erbe ein privates Nachlassverzeichnis errichten. Der Pflichtteilsberechtigte kann darüber hinaus verlangen, dass auf seine Kosten (Kosten des Pflichtteilsberechtigten, nicht des Erben) ein notarielles Nachlassverzeichnis errichtet wird. Der enterbte Pflichtteilsberechtigte muss dann gegenüber dem Notar erklären, dass er die Kosten übernimmt.
Erst privat, dann notariell
  • Hat der Pflichtteilsberechtigte zuerst ein privates Nachlassverzeichnis verlangt und liegt ihm dieses vor, kann er dennoch jederzeit ein notarielles Nachlassverzeichnis verlangen.
Anwesenheitsrecht des Pflichtteilsberechtigten
  • Der Pflichtteilsberechtigte hat das Recht bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses anwesend zu sein. Das Gleiche gilt für den Anwalt des Pflichtteilsberechtigten. Ein Fragerecht hat der Pflichtteilsberechtigte nicht. Der Notar muss aber durch vorherige Mitteilung des Aufnahmetermins an den Pflichtteilsberechtigten sicherstellen, dass dieser sein Hinzuziehungsrecht ausüben kann.
Notar als Detektiv
  • Tuen sich für den Notar konkrete Verdachtsmomente auf, die weitere Ermittlungen nahelegen, muss der Notar diese Ermittlungen durchführen. Er muss so ermitteln, wie dies ein vernünftiger Dritter in der Lage des enterbten Pflichtteilsberechtigten tun würde.
Besichtigung der Erblasserwohnung

Der Notar hat die beweglichen Nachlassgegenstände und die Nachlassgrundstücke zu besichtigen. Verweigert ihm der Erbe die Besichtigung ist dies im Nachlassverzeichnis zu vermerken.

Einsicht in Unterlagen

Der Notar hat Einsicht in die Unterlagen des Erblassers zu nehmen.

Einsicht durch den Notar in Grundbuch, Handelsregister, Testamentsregister, Transparenzregister

Gibt es Informationen, dass sich im Nachlass Häuser, Eigentumswohnungen oder sonstige Grundstücke befinden, muss der Notar Grundbucheinsicht nehmen. Gleiches gilt für Beteiligungen an Gesellschaften und die Einsicht in das Handelsregister. Eine Abfrage beim Zentralen Testamentsregister in Berlin hat standardmäßig zu erfolgen. Der Notar sollte bei auch die Nachlassakten des Nachlassgerichtes wegen des dort vorhandenen Nachlassverzeichnisses, eventuell vorhandene Betreuungsakten wegen des dort vorhandenen Vermögensverzeichnisses einsehen. Auch sollte er die Akten der Steuerverwaltung einsehen, nämlich wegen etwaiger Schenkungen, der Erbschaftsteuererklärung, Grunderwerbsakten um Grundstückskäufe oder -verkäufe des Erblassers zu ermitteln und nicht zuletzt die Einkommensteuerakten wegen der Einkommensverhältnisse des Erblassers, insbesondere wegen EInkünften aus Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen. Auch eine Einsichtnahme des Notars in das Transparenzregister kann geboten sein. Das im Geldwäschegesetz verankerte Transparenzregister ist ein gesetzlich vorgeschriebenes Register, in das die wirtschaftlich Berechtigten von juristischen Personen des Privatrechts und eingetragenen Personengesellschaften einzutragen sind

Nachlass außerhalb des Amtsbezirks

Der Amtsbezirk eines Notars deckt sich mit dem Oberlandesgerichtsbezirk, innerhalb dessen der Notar seinen Amtssitz hat. Außerhalb dieses Bezirks ist dem Notar eine Tätigkeit regelmäßig untersagt. Wenn also z.B. ein Hausgrundstück in einem anderen Amtsbezirk liegt, kann der Notar dieses Hausgrundstück nicht aufsuchen. Er fertigt dann ein notarielles Teilverzeichnis ohne dieses Hausgrundstück. Für das Hausgrundstück und die damit verbundenen Ermittlungen (z.B. Besichtigung) muss dann ein zweiter Notar beauftragt werden, der dann ein weiteres Teilverzeichnis erstellt. Das gilt auch für im Ausland befindliches Vermögen, z.B. die Finca in Spanien. Zur Klarstellung: Der Notar kann zwar in seinem Verzeichnis außerhalb seines Amtsgerichtsbezirks belegene Nachlassgegenstände entsprechend den Angaben der Erben oder von diesen vorgelegten Unterlagen aufführen, sie aber nicht besichtigen.

Übernahme der Erbeninformation durch Notar

Übernimmt der Notar die Informationen des Erben ungeprüft in sein Nachlassverzeichnis, kann mit einem solchen Verzeichnis die Pflicht des Erben zur Vorlage eines notariell aufgenommenen Verzeichnisses nicht erfüllt werden. Es fehlt dann an den eigenständigen Feststellungen des Notars. Die bloße Beurkundung von Erklärungen des Auskunftspflichtigen ist also überhaupt kein Verzeichnis, dass die Bezeichnung notarielles Verzeichnis i. S. des § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB verdient. Ein solches setzt voraus, dass der Notar den Nachlassbestand selbst und eigenständig – wenn auch zunächst ausgehend von Angaben des Auskunftspflichtigen – ermittelt hat und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringt, für den Inhalt verantwortlich zu sein. Der Notar darf sich nicht darauf beschränken, Angaben des Erben wiederzugeben und von diesem vorgelegte Belege auf Plausibilität zu prüfen, selbst wenn er den Erben über seine Vollständigkeits- und Wahrheitspflicht belehrt hat. Eine sich hierin erschöpfende Urkunde ist kein notarielles Nachlassverzeichnis.

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