Behindertentestament: Befreiung von mündelsicherer Geldanlage
Mein Gesamtvermögen besteht fast ausschließlich aus Wertpapieren. Ich möchte ein Behindertentestament errichten und der Testamentsvollstrecker soll die Wertpapierdepots wie bisher von mir dynamisch für meinen behinderten Sohn verwalten. Mein Sohn ist Vorerbe, die Schwester ist Nacherbe. Ich bin nicht verheiratet. Ich möchte dazu Befreiung von § 2119 BGB erteilen. Jetzt sagt mein rechtlicher Berater die Befreiung von der Verpflichtung zur mündelsicheren Anlage sei zu risikoreich. Aber genau das ist mir sehr wichtig, nämlich die Befreiung von der Verpflichtung zur mündelsicheren Anlage und ggfs. weitere Befreiungen, die ich aussprechen möchte. Wie offensiv kann bzw. konservativ muss die Wertpapieranlage im Erbteil meines behinderten Kindes aus rechtlichen Gründen sein?
§ 2119 BGB Anlegung von Geld
Geld, das nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft dauernd anzulegen ist, darf der Vorerbe nur nach den für die Anlegung von Mündelgeld geltenden Vorschriften anlegen.
Skie können im Rahmen eines Behindertentestaments durchaus eine ausdrückliche Befreiung des Vorerben von § 2119 BGB anordnen – diese Anordnung ist gem. § 2136 BGB zulässig.
1. Ist § 2119 BGB zwingend?
Nein. Die Vorschrift ist dispositiv, d. h. sie kann vom Erblasser durch ausdrückliche Anordnung gemäß § 2136 BGB abbedungen werden. Es besteht also die Möglichkeit zur Befreiung von der Pflicht zur mündelsicheren Anlage.
2. Worum geht es in § 2119 BGB?
§ 2119 BGB verpflichtet den Vorerben zur mündelsicheren Anlage von Geldmitteln, soweit diese „nach den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirtschaft dauernd anzulegen sind“. Diese Anforderung dient dem Schutz des Nacherben vor Risiken – ist aber in der heutigen Kapitalmarktsituation mit realen Nachteilen verbunden (Stichwort: reale Kapitalverluste durch Inflation bei mündelsicheren Anlagen).
3. Wie kann die Befreiung gestaltet werden?
Formulierungsvorschlag):
„Der Testamentsvollstrecker wird angewiesen und zugleich ermächtigt, das zum Nachlass gehörende Vermögen – einschließlich etwaiger Wertpapierdepots – wie von mir zu Lebzeiten üblich, aktiv, flexibel und unter Abwägung von Chancen und Risiken anzulegen und zu verwalten.
Insbesondere befreie ich den Testamentsvollstrecker im Rahmen der Vor- und Nacherbschaft ausdrücklich von den Verpflichtungen des § 2119 BGB zur mündelsicheren Anlage sowie von etwaigen damit verbundenen Vorschriften zur Hinterlegung oder staatlichen Genehmigungspflicht gemäß § 1806 ff. BGB. Die Anlageentscheidung soll sich an meinem bisherigen Anlagestil orientieren, der auf breite Streuung, solide Wertentwicklung und langfristigen Kapitalerhalt ausgerichtet war. Etwaige Verluste durch marktbedingte Schwankungen sollen ihn nicht haften lassen, sofern er seine Entscheidungen nach pflichtgemäßem Ermessen trifft.“
„Die Nacherbin ist an diese Befreiung gebunden.“
4. Wie konservativ oder offensiv darf der Testamentsvollstrecker agieren?
Nach Befreiung von § 2119 BGB ist eine aktive, breit gestreute und vernünftig risikobewertete Kapitalanlage rechtlich zulässig – eine rein spekulative Anlage wäre weiterhin ausgeschlossen.
Erlaubt wäre z. B.:
- ein ETF-basiertes Depot mit global gestreuter Anlage,
- der Erhalt bestehender Depots, sofern sie nicht hochspekulativ sind,
- eine moderat offensive Anlagestrategie mit defensiven Elementen (z. B. Anleihefonds, Blue-Chip-Aktien, nachhaltige Fonds etc.)
5. Risikobedenken
Diese sind verständlich, weil eine aggressive Anlage zu Haftungsgefahren führen kann. Aber: Mit klarer Anordnung der Befreiung, Definition des gewünschten Anlagestils und Benennung eines vertrauenswürdigen Testamentsvollstreckers kann diese Sorge erheblich reduziert werden.
Hier ein weiterer Formulierungsvorschlag als Baustein für ein Behindertentestament, der enthält
- die Befreiung von § 2119 BGB,
- eine Anlageerlaubnis im Sinne der bisherigen Praxis,
- Schutzklauseln für den Testamentsvollstrecker,
- eine Absicherung der Nacherbin
🔹 Testamentarischer Abschnitt zur Vermögensverwaltung bei Vor- und Nacherbfolge
1. Befreiung von der mündelsicheren Anlagepflicht (§ 2119 BGB)
Der Testamentsvollstrecker wird ausdrücklich und umfassend von den Beschränkungen des § 2119 BGB befreit. Insbesondere darf er zur Verwaltung des Nachlassvermögens auch solche Geld- und Vermögensanlagen wählen, die nicht den Grundsätzen der mündelsicheren Anlage nach §§ 1806, 1807 BGB entsprechen.
2. Vorgaben zur Vermögensanlage
Der Testamentsvollstrecker wird angewiesen und ermächtigt, das zum Nachlass gehörende Vermögen – insbesondere bestehende Wertpapierdepots – wie von mir zu Lebzeiten üblich, aktiv, flexibel und unter Berücksichtigung einer langfristig soliden Kapitalentwicklung anzulegen und zu verwalten. Die Anlagestrategie soll sich an meinem bisherigen Anlagestil orientieren und insbesondere folgende Grundsätze beachten:
- breite Diversifikation über Anlageklassen und Märkte,
- regelmäßige Bewertung der Risikostruktur,
- Vermeidung hochspekulativer Investments,
- Wahrung der Liquidität zur Sicherstellung des Bedarfs meines Sohnes.
3. Haftungsausschluss zugunsten des Testamentsvollstreckers
Der Testamentsvollstrecker haftet nicht für Vermögensverluste, die aus marktüblichen Kursschwankungen, Zinsänderungen oder sonstigen allgemeinen Entwicklungen resultieren, sofern er bei seinen Entscheidungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns handelt. Diese Haftungsfreistellung gilt auch für das Unterlassen der Umschichtung in mündelsichere Anlagen.
4. Kontroll- und Schutzrechte der Nacherbin
Der Nacherbin steht das Recht zu, sich jährlich einen Nachweis über den Stand der Vermögenswerte und die Anlagestruktur erstellen zu lassen. Auf Wunsch kann ihr der Testamentsvollstrecker auch Einsicht in die Depotauszüge gewähren. Ein Mitspracherecht bei der konkreten Anlagestrategie besteht jedoch nicht. Sollte der Verdacht einer pflichtwidrigen Verwaltung bestehen, bleibt ihr der Weg nach §§ 2127 ff. BGB offen.
5. Wiederanlagepflicht bei Verfügungen
Veräußert der Testamentsvollstrecker Nachlassgegenstände, soll er den Erlös unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze reinvestieren. Eine Pflicht zur mündelsicheren Wiederanlage besteht ausdrücklich nicht.
6.. Rücktrittsklausel (optional)
Sollten sich die Kapitalmärkte so verändern, dass die mündelsichere Anlage eine bessere Risikostruktur als marktnahe Vermögensanlagen aufweist, ist der Testamentsvollstrecker befugt, die Strategie zugunsten eines substanzerhaltenden Vermögensschutzes neu zu justieren.