§ 2322 BGB Kürzung von Vermächtnissen und Auflagen
§ 2322 BGB Kürzung von Vermächtnissen und Auflagen
Ist eine von dem Pflichtteilsberechtigten ausgeschlagene Erbschaft … mit einem Vermächtnis … beschwert, so kann derjenige, welchem die Ausschlagung zustatten kommt, das Vermächtnis … soweit kürzen, dass ihm der zur Deckung der Pflichtteilslast erforderliche Betrag verbleibt.
📘 Überblick
§ 2322 begründet in erster Linie ein Rangverhältnis zwischen den Beteiligten für den Fall, dass ein Pflichtteilsberechtigter eine Erbschaft ausschlägt, die mit einem Vermächtnis belastet ist. Das kann z.B. wegen § 2306 BGB der Fall sein. A, B, C und D sind Miterben zu je 1/4 aber A erhält ein Vorausvermächtnis das 80 % des Nachlasses ausmacht. Ohne Ausschlagung würde A die 80 % erhalten. Die verbleibenden 20 % würden sich A, B, C und D zu je 1/4 teilen, so dass A im Ergebnis 85 % hätte B, C und D hingegen nur jeweils 5 % und damit weniger als ihren Pflichtteil von jeweils 12,5 %. B, C und D schlagen daher nach § 2306 BGB aus, um ihren Pflichtteil geltend machen zu können. Die Kinder von B, C und D sind Ersatzerben bzw. Ersatzleute. Der Ersatzmann B kann in diesem Fall, um den Pflichtteilsanspruch erfüllen zu können, das Vermächtnis das auch seinen Erbteil von 1/4 belastet kürzen. Der Erbteil macht 25 % aus, das Vermächtnis von 80 % belastet jeden Erbteil mit 20 Prozent, so dass dem Ersatzerben von B nur noch 5 % für die Pflichtteilserfüllung von 12,5 % seines Vaters blieben. Erst kommen also die 12,5 Prozent für das Vermächtnis dran und dann verbleiben noch 12,5 % für das Vermächtnis, so dass das Vermächtnis auf 12,5 % gekürzt wird. Damit bekommt der Ersatzmann von B im Ergebnis nichts. B, C und D bekommen ihren Pflichtteil von 3 x 12,5 % = 37,5 % und A bekommt nur den Rest von 62,5 %. Da er auch einen Pflichtteil von 12,5 % hat könnte man sagen sein Vermächtnis wird von ursprünglichen 80 % auf 12,5 % oder doch 25 % gekürzt. Bei Vermächtnissen , die auf eine nicht teilbare Leistung gerichtet sind, gelten Besonderheiten, die wir unten darstellen. Der Erblasser kann von dieser Bestimmung abweichende Anordnungen treffen; davon ist jedoch eher abzuraten.
🎯 Was will § 2322 BGB erreichen?
§ 2322 BGB ergänzt die §§ 2320 und 2321 BGB. Der nach diesen Vorschriften begünstigte Ersatzmann soll bei Ausschlagung durch einen Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit haben, bestehende Vermächtnisse zu kürzen, sofern der ihm zugefallene Vorteil nicht ausreicht, um gleichzeitig die Pflichtteilslast zu tragen.
- § 2322 stellt ein Rangverhältnis auf: zuerst Pflichtteil, dann Vermächtnis
- Ersatzmann wird geschützt, weil er nicht über den zugefallenen Vorteil hinaus haftet.
- § 2322 gilt unabhängig davon, ob das allgemeine Haftungsrecht nach §§ 1992, 1935, 2095 BGB oder §§ 2187, 2159 BGB erhalten ist.
- Die Vorschrift schützt auch Vermächtnisnehmer: Sie bewahrt vor weitergehender Kürzung gem. § 2318 Abs. 1 BGB.
➡️ Fazit: § 2322 geht § 2318 vor, wenn ein Pflichtteilsanspruch erst durch Ausschlagung entstanden ist.
✂️ Das Kürzungsrecht
Das vorrangige Kürzungsrecht nach § 2322 gilt nur, wenn der dem Ersatzmann durch die Ausschlagung zugefallene Vorteil nicht ausreicht, um:
- die beschwerenden Vermächtnisse und
- die Pflichtteilslast zu erfüllen.
➡️ Nicht zulässig: Kürzung über das zur Pflichtteilsdeckung Erforderliche hinaus.
➡️ Der Begünstigte darf erst kürzen, wenn der gesamte zugewendete Wert ausgeschöpft ist.
➡️ Beispielhafte Pflichtteilsansprüche:
- des ausschlagenden Pflichtteilsberechtigten (§§ 2306, 2307 BGB)
- entfernterer Verwandter, die durch Ausschlagung zum Zug kommen (§ 2309 BGB)
➡️ Taktik: Reicht der Vorteil nicht, wird der Ersatzmann meist selbst ausschlagen.
🧱 Sonderfall: Unteilbare Leistungen
Kein Kürzungsrecht besteht, wenn das Vermächtnis auf unteilbare Leistungen (z. B. Nießbrauch, Wohnrecht) gerichtet ist. Hier gilt dann:
- Erfüllung nur Zug um Zug gegen Zahlung des Differenzbetrags
- Anspruch: Schätzwert – zu erstattender Betrag
- Ersatzmann hat nicht die Rechte aus §§ 1087, 1089 BGB (Verwertung von Nießbrauchsgegenständen)
➡️ Eine solche Verwertung würde dem Sinn des § 2322 widersprechen.
📌 Weitere Sonderregelungen
- Voraus (§ 1932 Abs. 2 BGB): kein Kürzungsobjekt, da bereits bei Pflichtteilsberechnung abgezogen (§ 2311 Abs. 1 S. 2)
- Dreißigster (§ 1969 BGB): unterliegt dem Kürzungsrecht
- Untervermächtnis (§ 2188 BGB): anteilige Kürzung durch belasteten Vermächtnisnehmer möglich
✍️ Abweichende Anordnungen
Der Erblasser kann gem. § 2324 BGB abweichend regeln:
- z. B. stärkere Kürzung nach § 2318 Abs. 1 anordnen
- oder Kürzungsrecht ausschließen
❗️Aber: Dadurch kann der Ersatzmann nicht verpflichtet werden, sein Eigenvermögen einzusetzen.
❗️Ebenso kann das Pflichtteilsrecht des Ausschlagenden nicht eingeschränkt werden.
➡️ Folge: Mögliche Nachlassinsolvenz durch Überlastung des Ersatzmanns.
🧠 Merksatz: § 2322 schützt sowohl den Ersatzmann als auch (mittelbar) den Vermächtnisnehmer – aber vorrangig ist der Pflichtteil!