§ 2318 BGB – Pflichtteilslast bei Vermächtnissen und Auflagen
Gesetzestext:
Pflichtteil
(1) Der Erbe kann die Erfüllung eines ihm auferlegten Vermächtnisses soweit verweigern, dass die Pflichtteilslast von ihm und dem Vermächtnisnehmer verhältnismäßig getragen wird. Das Gleiche gilt von einer Auflage.
(2) Einem pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer gegenüber ist die Kürzung nur soweit zulässig, dass ihm der Pflichtteil verbleibt.
(3) Ist der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt, so kann er wegen der Pflichtteilslast das Vermächtnis und die Auflage soweit kürzen, dass ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt.
📘 I. Normzweck
🔎 Was regelt § 2318 BGB?
Der Paragraph befasst sich mit der inneren Verteilung der Pflichtteilslast, also der Frage: ➡️ Wer soll im Nachlass tatsächlich die wirtschaftliche Last des Pflichtteils tragen, wenn neben dem Erben auch Vermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigte vorhanden sind?
Im Außenverhältnis schuldet nur der Erbe den Pflichtteil (§ 2058 BGB bei mehreren Erben). Aber:
Wenn der Erblasser z. B. einem Verein ein Geldvermächtnis hinterlässt, kann der Erbe ggf. die Zahlung dieses Vermächtnisses kürzen, um sich an der Pflichtteilslast zu beteiligen.
➡️ Der § 2318 erlaubt dem Erben also, Vermächtnisse zu kürzen, um die Pflichtteilslast intern gerechter zu verteilen – sofern keine abweichende Anordnung durch den Erblasser nach § 2324 BGB getroffen wurde.
⚙️ II. Durchführung der Kürzung (Abs. 1)
✂️ 1. Kürzungsrecht gegenüber Vermächtnisnehmern / Auflagenbegünstigten
Wenn der Pflichtteil gezahlt werden muss, darf der Erbe ein Vermächtnis kürzen, um anteilig die Pflichtteilslast weiterzugeben.
💡 Beispiel:
Nachlass = 300.000 € Vermächtnis an Verein V = 100.000 € Pflichtteil des enterbten Sohns S = 150.000 € Erbin ist Lebensgefährtin L
➡️ L kann das Vermächtnis an V um 50.000 € kürzen (Verhältnis Nachlassanteile 2:1 → Kürzung entsprechend: Die Erbin und der Vermächtnisnehmer haben im Innenverhältnis den Pflichtteilsanspruch im Verhältnis ihrer Nachlassbeteiligung nämlich 200.000 EUR (verblieben der Erbin nach Abzug des Vermächtnisses) zu 100.000 EUR ( (dh 2 : 1) zu tragen. Die Erbin muss 2/3 des Pflichtteils tragen und der Vermächtnisnehmer 1/3 x 150.000 = 50.000 Euro
Oder einfacher: Kürzung nach Pflichtteilsquote, wenn keine Anrechnungen vorliegen (z. B. Kürzung um 1/4 bei Pflichtteilsquote 1/4).
👥 3. Mehrere Vermächtnisnehmer
Jeder Vermächtnisnehmer kann anteilig gekürzt werden.
⚖️ 4. Wann darf nicht gekürzt werden?
Wenn der Pflichtteilsanspruch nicht tatsächlich geltend gemacht wurde (bloße Ankündigung reicht nicht)
Wenn er verjährt ist
Wenn keine wirtschaftliche Belastung vorliegt
🏠 5. Sonderfall unteilbare Vermächtnisse (z. B. Grundstück)
Der Erbe kann dann Zug um Zug gegen Zahlung des Kürzungsbetrags leisten oder nur den gekürzten Wert auszahlen (BGH NJW 1956, 506).
💶 6. Rückforderung bei Unkenntnis
Wurde das Vermächtnis vollständig erfüllt, obwohl ein Kürzungsrecht bestand, kann der Erbe den zu viel gezahlten Betrag zurückverlangen (§ 813 I BGB) – aber nur, wenn er nachweislich keine Kenntnis vom Kürzungsrecht hatte.
⚠️ 7. Hinweis- und Beratungspflichten
Rechtsanwälte müssen ihre Mandanten spätestens dann über das Kürzungsrecht informieren, wenn konkretes Handeln nötig wird (z. B. Pflichtteil beziffert wurde).
🛑 III. Einschränkung bei pflichtteilsberechtigtem Vermächtnisnehmer (Abs. 2)
🔒 Schutz des Pflichtteils
Ein Vermächtnisnehmer, der selbst pflichtteilsberechtigt ist, darf nicht so stark gekürzt werden, dass ihm weniger als sein Pflichtteil verbleibt.
💡 Beispiel:
Nachlass = 360.000 € Alleinerbe = Sohn S Enterbte Tochter T1 fordert Pflichtteil = 60.000 € Tochter T2 erhält Vermächtnis = 60.000 €
S möchte T2 anteilig kürzen → 1/6 von 60.000 € = 10.000 € Kürzung
➡️ Aber: T2 ist selbst pflichtteilsberechtigt → Kürzung nicht möglich, da ihr Vermächtnis ihren Pflichtteil abdeckt.
➡️ Vermächtnisse in Pflichtteilshöhe sind unantastbar.
👰 Ehegatten-Vermächtnisse
Ist der Ehegatte bedacht, ist der erhöhte Pflichtteil nach § 1371 BGB die Kürzungsgrenze.
🚫 Nicht abdingbar
Das Kürzungsrecht aus Abs. 2 kann der Erblasser nicht ausschließen (§ 2324).
➕ IV. Erweiterung des Kürzungsrechts für pflichtteilsberechtigte Erben (Abs. 3)
§ 2318 As. 3 erweitert das Kürzungsrecht. Ist der Erbe selbst pflichtteilsberechtigt, kann er wegen der Pflichtteilslast das Vermächtnis soweit kürzen, dass ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt.
Das bedeutet aber nicht, dass dem Erben stets sein eigener Pflichtteil voll verbleiben muss, sondern berechtigt ihn nur zur Verteidigung wegen der Pflichtteilslast, nicht auch wegen des Vermächtnisses (BGH NJW 1985, 2828). Das ist vor allem bei § 2306 BGB wichtig: Hat der Erbe die ihm nach § 2306 mögliche Ausschlagung versäumt und die Erbschaft mit allen Beschränkungen und Beschwerungen angenommen, muss er auch das Vermächtnis voll tragen, ggf. auch auf Kosten seines eigenen Pflichtteils.
Aber: ➡️ Er darf nicht mehr kürzen, um seinen Pflichtteil voll abzusichern, wenn das nur durch Ausschlagung der Erbschaft möglich wäre (§ 2306 BGB).
💡 Beispiel nach Burandt/Rojahn/Horn § 2318 Rn. 22:
Nachlass = 300.000 € Alleinerbe = Sohn S Pflichtteil Tochter T = 75.000 € Vermächtnis an Lebensgefährtin L = 240.000 €
Nach § 2318 Abs. 1 BGB hätten der Erbe S und die Vermächtnisnehmerin L die Pflichtteilslast hinsichtlich der Schwester in Höhe von 75.000 EUR anteilig zu tragen im Verhältnis 60.000 EUR zu 240.000 EUR (dh 1 : 4), dh. er kann das Vermächtnis um 80 % der Pflichtteilslast von 75.000 Euro, also um 60.000 Euro kürzen. Nach Abs. 3 der Vorschrift kann S darüber hinaus seinen Pflichtteil in Höhe von 75.000 EUR insoweit verteidigen, als er das Vermächtnis um die (gesamte) Pflichtteilslast der Schwester in Höhe von 75.000 EUR kürzen darf. Der Erbe darf aber nicht das Vermächtnis noch weiter kürzen, so dass ihm sein eigener Pflichtteilsanspruch iHv 75.000 EUR verbleibt. Dies hätte er nur durch Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB erreichen können, da Abs. 3 der Vorschrift nicht die dort vorgesehenen Belastungsgrenzen verschiebt. S kann also das Vermächtnis nur auf 240.000 minus 75.000, dh auf 165.000 kürzen. Er hat der Schwester den Pflichtteil in Höhe von 75.000 zu zahlen. Er zahlt somit insgesamt 165.000 + 75.000 = 240.000 Euro, so dass ihm nur 60.000, also weniger als sein Pflichtteil verbleiben.
➡️ S darf das Vermächtnis um 75.000 € kürzen, aber nicht mehr, auch wenn er sonst weniger als seinen Pflichtteil hat. ➡️ S hätte ausschlagen müssen, um seinen vollen Pflichtteil zu erhalten.
👥 Auch für Miterben
Das Kürzungsrecht gilt nicht nur für Alleinerben, sondern auch für Miterben (BGH NJW 1985, 2828).
⚖️ Vorrang bei Kollision von Abs. 2 und 3
Wenn beide Seiten pflichtteilsberechtigt sind, hat der Erbe Vorrang mit seinem Kürzungsrecht (Abs. 3 schlägt Abs. 2).
⛔ V. Einschränkung durch § 2323 BGB
Wenn der Erbe die Pflichtteilslast nach §§ 2320–2322 BGB auf andere abwälzen kann, entfällt das Kürzungsrecht nach § 2318 I BGB.
➡️ Nur wenn der Erbe endgültig die Pflichtteilslast tragen muss, kann er Vermächtnisse oder Auflagen kürzen.
➡️ Das Kürzungsrecht aus Abs. 3 kann laut h.M. nicht ausgeschlossen werden (§ 2324 Rn. 6).
🧠 Fazit für die Praxis
§ 2318 BGB ist ein zentraler Ausgleichsmechanismus zwischen Erben und Vermächtnisnehmern
Kürzung ist nur zulässig bei tatsächlicher wirtschaftlicher Belastung
Pflichtteilsberechtigte Vermächtnisnehmer sind besonders geschützt
Der Erblasser kann das Kürzungsrecht teilweise ausschließen – aber nicht vollständig
Beratung ist Pflicht – besonders bei komplexen Nachlässen oder Pflichtteilsdrohungen
📌 Merksatz: Wer den Pflichtteil zahlen muss, darf nicht alles allein tragen – aber auch nicht mehr kürzen als rechtlich erlaubt.
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