Haftet der Rechtspfleger im Nachlassverfahren? Aufarbeitung einer BGH-Entscheidung zur Nachlasssicherung und Vermögensbetreuungspflicht

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 25. Februar 1988 (Az. 1 StR 466/87) grundlegend zur Haftung des Rechtspflegers im Nachlassverfahren Stellung genommen. Die Entscheidung ist für die Praxis des Nachlassgerichts von erheblicher Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf die Amtspflichten des Rechtspflegers und die mögliche strafrechtliche Verantwortlichkeit.


Der Fall:

Ein Rechtspfleger hatte in mehreren Nachlasssachen bewusst ungerechtfertigt Nachlasspflegschaften angeordnet, um wertvolle Gegenstände an eine ihm nahestehende Person zu verschaffen. In der Folge setzte er die Vergütung der Nachlasspfleger überhöht fest und veranlasste ungünstige Räumungsverträge sowie die Veräußerung von Nachlasswerten unter Preis.


Die Kernaussagen des BGH:

✍️ 1. Pflichten zur Nachlasssicherung gem. § 1960 BGB

Der Rechtspfleger hat die Aufgabe, den Nachlass bis zur Annahme der Erbschaft zu sichern. Dabei steht er in einem Treueverhältnis zu den Erben, auch wenn diese noch nicht bekannt oder bestimmt sind.

„Das Nachlassgericht hat sich bei der Wahl der Sicherungsmaßnahmen stets von den Vermögensinteressen der Erben leiten zu lassen.“ (BGH)


⚡️ 2. Haftung wegen Untreue gem. § 266 StGB

Verletzt der Rechtspfleger vorsätzlich seine Pflichten, insbesondere durch

  • Anordnung nicht erforderlicher Pflegschaften,
  • Gewährung überhöhter Vergütungen,
  • Veranlassung wirtschaftlich nachteiliger Verträge oder
  • Aneignung von Nachlassgegenständen,

liegt eine strafbare Untreue zum Nachteil der Erben vor. Der BGH bestätigt die Vermögensbetreuungspflicht des Rechtspflegers.


⚖️ 3. Festsetzung der Vergütung als „richterliche Tätigkeit“

Auch wenn Rechtspfleger keine Richter sind, handeln sie im Bereich der Nachlasssachen „richterähnlich“, da sie:

  • Verfahren in sachlicher Unabhängigkeit leiten,
  • Entscheidungen mit erheblicher Rechtswirkung treffen,
  • gegensätzliche Interessen abzuwägen haben.

Daher ist die Festsetzung der Vergütung des Nachlasspflegers durch den Rechtspfleger eine richterliche Tätigkeit im Sinne von § 336 StGB und kann bei vorsätzlicher Rechtsverletzung als Rechtsbeugung strafbar sein.

4. ⚖️ Rechtliche Grundlage der Haftung des Rechtspflegers

Auch das pflichtwidrige Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen durch den Rechtspfleger beim Nachlassgericht kann zu einer persönlichen Haftung führen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) und sogar strafrechtlich im Rahmen der Untreue (§ 266 StGB), sofern bestimmte Voraussetzungen vorliegen.


  1. § 1960 BGB – Nachlasssicherung
    Das Nachlassgericht – und damit konkret der Rechtspfleger, dem diese Aufgabe durch § 3 Nr. 2c RPflG übertragen ist – hat die Pflicht, den Nachlass zu sichern, soweit ein Bedürfnis dafür besteht, bis zur Annahme oder Ausschlagung durch den Erben.
  2. Amtspflichten gegenüber Dritten (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG)
    Der Rechtspfleger ist Amtsträger, seine Tätigkeit unterliegt den Regeln der Staatshaftung. Unterlässt er pflichtwidrig Sicherungsmaßnahmen und entsteht dadurch ein Schaden, kann eine Amtshaftung ausgelöst werden.
  3. Strafrechtlich: Untreue (§ 266 StGB)
    Der BGH hat in der Entscheidung (Urt. v. 25.02.1988 – 1 StR 466/87) ausdrücklich festgestellt, dass Rechtspfleger in Nachlasssachen eine eigenständige Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Erben haben. Ein vorsätzliches Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen, die zur Vermeidung von Nachlassverlusten geboten wären, kann daher Untreue sein.

❗ Konkrete Folgen des Unterlassens

FallkonstellationMögliche Haftung
🔹 Der Rechtspfleger unterlässt es, einen Nachlasspfleger zu bestellen, obwohl der Erbe unbekannt ist oder ein Sicherungsbedürfnis bestehtzivilrechtliche Amtshaftung (§ 839 BGB) möglich
🔹 Der Rechtspfleger unternimmt keine Maßnahmen zur Sicherung eines gefährdeten Nachlassgegenstandes (z. B. leerstehende Immobilie, Bargeld im Haus, Diebstahlgefahr)mögliche Verletzung der Sicherungspflicht gem. § 1960 BGB
🔹 Es entsteht ein Vermögensschaden beim Erben, weil die Sicherungspflicht grob verkannt oder bewusst ignoriert wurdedann sogar strafrechtliche Konsequenzen (Untreue) denkbar

Die Haftung des Rechtspflegers beschränkt sich nicht auf aktives Tun, sondern umfasst auch das pflichtwidrige Unterlassen notwendiger Sicherungsmaßnahmen.

  • Dabei ist entscheidend, ob ein konkretes Sicherungsbedürfnis erkennbar war (z. B. Unklarheit über Erbenstellung, offene Wohnung, wertvoller Nachlass).
  • Liegt ein solches Bedürfnis vor, muss der Rechtspfleger tätig werden – unterlässt er dies ohne rechtfertigenden Grund, haftet er im schlimmsten Fall persönlich, insbesondere wenn der Nachlass dadurch Schaden nimmt.

📌 Fazit für die Praxis

Rechtspfleger haften für pflichtwidriges Verhalten im Nachlassverfahren.

  • Die Nachlasssicherung dient nicht allein dem Staat, sondern direkt den Erben.
  • Verletzt der Rechtspfleger seine ihm obliegenden Aufgaben, insbesondere diejenigen zur Wahrung der Vermögensinteressen des Erben, so liegt hierin eine Amtspflichtverletzung nach  Art. 34 GG, 839 BGB.
  • Auch die Aufsicht über Nachlasspfleger bleibt Teil der Vermögensbetreuungspflicht.

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