Anfechtung von Testament oder Erbvertrag kassiert den letzten Willen. Erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
Anfechtung von Testament oder Erbvertrag kassiert den letzten Willen
Die Anfechtung vernichtet die angefochtene Verfügung von Todes wegen in Testament oder Erbvertrag
1. Rechtsfolgen der Anfechtung
Die pauschale Aussage „Ich werde das Testament anfechten“ ist in der Regel rechtlich falsch.
1.1 Grundsatz: Unwirksamkeit der Einzelverfügung
Es ist nämlich zunächst festzuhalten, dass mit der Anfechtung grundsätzlich nicht das gesamte Testament angefochten wird, sondern nur einer einzelnen Verfügung im Testament, die fehlerhaft motiviert ist. Ziel der Anfechtung ist die Zerstörung der Wirksamkeit dieser Verfügung von Todes wegen von Anfang an. Grundsätzlich werden dadurch andere Verfügungen des gleichen Testaments in ihrer Wirksamkeit nicht betroffen.
1.2 Übergehungsanfechtung: Nichtigkeit des ganzen Testaments
Anders ist es bei der Übergehungsanfechtung, bei der ein im Zeitpunkt der Testamentserrichtung (noch) nicht bekannter Pflichtteilsberechtigter übergangen wird. Hier bewirkt die Anfechtung grundsätzlich die Nichtigkeit des ganzen Testaments und nicht bloß einzelner Verfügungen aus dem Testament, während die anderen grundsätzlich wirksam bleiben.
1.3 Gegenseitiger Erbvertrag insgesamt nichtig
Auch bei der Anfechtung eines gegenseitigen Erbvertrags führt die Nichtigkeit der angefochtenen Verfügung zur Unwirksamkeit des ganzen Erbvertrags.
2. Auslegung vor Anfechtung
Wichtig ist auch der Grundsatz, dass die Auslegung der Anfechtung vorgeht. Zunächst ist also zu versuchen, ob nicht durch Auslegung dem wahren Willen des Erblassers zum Durchbruch verholfen werden kann, ehe man zum Mittel der Auslegung greift. Problematisch hieran ist aber die Zeitnot, da die Anfechtung innerhalb eines Jahres erfolgen muss.
3. Anfechtungsberechtigter
Eine Anfechtung durch den Erblasser selbst kommt nicht in Betracht. Er kann das Testament ja jederzeit widerrufen. Die Anfechtung kann erst nach dem Tod des Erblassers erklärt werden, und zwar von dem, dem der Wegfall der angefochtenen Bezug unmittelbar zugute kommt, also
z.B. der gesetzliche Erbe bei einer Erbeinsetzung,
z.B. der Ersatzerbe hinsichtlich der Einsetzung des zunächst Berufenen, z.B. der Nacherbe hinsichtlich des Vorerben und umgekehrt
z.B. der in einem früheren Testament eingesetzte Erbe hinsichtlich des in einem späteren Testament berufenen Erbe
z.B. der Belastete hinsichtlich eines Vermächtnisses
Die Übergehungsanfechtung wegen Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten kann nur vom übergangenen Pflichtteilsberechtigten selbst angefochten werden.
4. Anfechtungsgegenstand
Anfechtbar sind alle letztwilligen Verfügungen, auch der Widerruf eines Testaments, gleichgültig in welcher Form er erfolgt ist. So ist zum Beispiel die Rücknahme eines notariellen Testaments aus der amtlichen Verwahrung genauso anfechtbar wie die Vernichtung einer Testamentsurkunde.
5. Anfechtungsgründe
Anfechtbar sind letztwillige Verfügungen, zu denen der Erblasser durch Irrtum oder Drohung bestimmt worden ist
- Die Anfechtung wegen Irrtums ist zunächst möglich, wenn der Erblasser über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum war (Inhaltsirrtum) oder eine Erklärung dieses Inhalts gar nicht abgeben wollte (Erklärungsirrtum)
z.B. Inhaltsirrtum: Der Erblasser bedenkt seine „gesetzlichen Erben“ und irrt sich darüber, wer dazu gehört.
z.B. Erklärungsirrtum: Der Erblasser schreibt beim Geldvermächtnis 100.000 statt wie gewollt 10.000 Euro. - Letztwillige Verfügungen können angefochten werden, wenn sie durch die irrige Annahme des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes veranlasst sind (Irrtum im Beweggrund), d.h. der Erblasser muss von einer Vorstellung ausgegangen sein, die der wirklichen Sachlage nicht entspricht. Ob sich die Vorstellung im Zeitpunkt der Testamentserrichtung auf einen gegenwärtigen, vergangenen oder zukünftigen Umstand bezieht, ist egal.
z.B. Bei einem Vermächtnis für den Verlobten der Enkelin, wenn das Verlöbnis später aufgelöst wird, gleichgültig ob vor oder nach dem Erbfall.
Hinsichtlich der zukünftigen Umstände ist nicht erforderlich, dass sich der Erblasser bestimmte Vorstellungen gemacht hat, andererseits genügt nicht, dass er sie überhaupt nicht bedacht hat. Doch kann die Vorstellung auch „unbewusst“ vorhanden gewesen sein, so wenn es sich um den Fortbestand von Umständen handelt, die dem Erblasser als selbstverständlich erschienen, wie z.B. die Stabilität des Euro. - Die Übergehungsanfechtung ist möglich, wenn der Erblasser einen Pflichtteilsberechtigten unbewusst übergangen hat. Der Pflichtteilsberechtigte muss nur zur Zeit des Erbfalls vorhanden sein und dieses spätere Vorhandensein muss dem Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung unbekannt gewesen sein.
z.B. der Erblasser glaubt, sein Sohn sei tot
z.B. der Pflichtteilsberechtigte wird erst später geboren
z.B. der Erblasser adoptiert nach Testamentserrichtung
z.B. der Erblasser heiratet nach Testamentserrichtung
5.1 Worin unterscheidet sich die Anfechtbarkeit einer letztwilligen Verfügung wegen Irrtums von der Anfechtbarkeit einer Willenserklärung unter Lebenden wegen Irrtums?
5.1.1 Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden, soweit der Erblasser über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtume war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte und anzunehmen ist, dass er die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben haben würde, eine Willenserklärung unter Lebenden aber nur dann, wenn außerdem anzunehmen ist, dass der Erklärende bei verständiger Würdigung des Falles die Erklärung nicht abgegeben haben würde. Bei Willenserklärungen unter Lebenden ist der Irrtum für die Willenserklärung also nur ursächlich, wenn unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und Umstände des Erklärenden, nicht jedoch von dessen etwaiger Willkür, Eigensinn und Unverstand; also unter Anlegung eines objektiven Maßstabes gerade dieser Erklärende bei verständiger Würdigung des Falles die Willenserklärung nicht abgegeben hätte. Bei Verfügungen von Todes wegen spielt dieser objektive Maßstab keine Rolle. 5.1.2 Eine letztwillige Verfügung kann ferner angefochten werden, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes bestimmt worden ist, also bei Irrtum im Beweggrund, während eine Willenserklärung unter Lebenden wegen Irrtum im Beweggrund unzulässig ist. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn der Erblasser annimmt, der Bedachte werde er Bedachte werde dauerhaft bestimmte Dienste erbringen oder ihn betreuen und pflegen, der Bedachte dies aber nicht tut.
§ 2078 BGB Anfechtung wegen Irrtums oder Drohung
(1) Eine letztwillige Verfügung kann angefochten werden, soweit der Erblasser über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte und anzunehmen ist, dass er die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage nicht abgegeben haben würde.
(2) Das Gleiche gilt, soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist.
(3) Die Vorschrift des § 122 findet keine Anwendung.§ 119 BGB Anfechtbarkeit wegen Irrtums
(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde.
(2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
6. Anfechtungserklärung
6.1 Adressat
Bei
- einer Erbeinsetzung,
- bei einer Enterbung,
- der Anordnung einer Testamentsvollstreckung und der
- Aufhebung solcher Verfügungen (der vorstehenden drei)
- sowie bei allen Verfügungen durch die kein Recht für einen anderen begründet wird, also z.B. Auflage, Teilungsverbot, familienrechtliche Anordnung des Entzugs der elterlichen Vermögensverwaltung, Berufung zum Vormund
muss die Anfechtungserklärung gegenüber dem Nachlassgericht erklärt werden. Das Nachlassgericht hat die Anfechtungserklärung dem Anfechtungsgegner, d.h. dem mitzuteilen, dem die angefochtene Verfügung unmittelbar zugute kommt.
Andere Verfügungen sind direkt gegenüber dem Anfechtungsgegner anzufechten, also z.B.
- Vermächtnisse gegenüber dem Vermächtnisnehmer
- Teilungsanordnungen gegenüber dem Teilungsbegünstigten
7. Anfechtungsfrist
Die Anfechtung hat innerhalb eines Jahres zu erfolgen. Die Frist beginnt frühestens mit dem Erbfall, im übrigen mit der Erlangung der Kenntnis von dem Anfechtungsgrund. Dazu gehört, dass der Anfechtungsberechtigte von der Verfügung, dem Irrtum bzw. der Drohung und der Kausalität derselben für die Verfügung erfährt. In jedem Fall ist die Anfechtung 30 Jahre nach dem Erbfall ausgeschlossen.