Die Zwangs- oder Teilungsversteigerung ist beendet, der Zuschlag erteilt und rechtskräftig. Der Ersteher nimmt als neuer Eigentümer das von ihm ersteigerte Haus in Besitz. Darin befinden sich aber noch jede Menge Möbel und vielleicht sogar wertvolle Antiquitäten oder Schmuckgegenstände. Was ist damit? Hier gibt ein Urteil des BGH vom 23.6.2017 – V ZR 175/16, nachzulesen in NJW 2017, 3656 Auskunft und Hilfe und man kann dem Ersteher nur raten:
Der Ersteigerer sollte stets die auf dem Grundstück vorgefundenen Sachen und ihren Zustand in einem Inventar dokumentieren.
oder wie es der BGH in seinem Leitsatz ausdrückt:
Nimmt der Ersteher die ersteigerte Immobilie eigenmächtig in Besitz, trifft ihn die Obliegenheit, ein Verzeichnis über die in der Immobilie vorgefundenen, von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Gegenstände zu erstellen und deren Wert schätzen zu lassen. Kommt er dem nicht nach, muss er beweisen, inwieweit die Angaben des Schuldners zu dem Bestand, Zustand und Wert der Gegenstände, die sich im Zeitpunkt der Räumung in dem Haus befunden haben sollen, unzutreffend sind, soweit dessen Angaben plausibel sind.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin und ihr Ehemann waren Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks. Nach Anordnung der Zwangsversteigerung erhielt der Beklagte den Zuschlag. Er nahm das Haus ohne Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers in Besitz und ließ es durch eine private Firma räumen. Einen Teil der vorgefundenen Einrichtungs- und Kunstgegenstände gab er in ein Auktionshaus. Dann wurde das Haus abgerissen.
Die Klägerin hat zunächst – aus eigenem und abgetretenem Recht – von dem Beklagten die Herausgabe einer Vielzahl von Gegenständen verlangt, im Wesentlichen Bilder und Möbelstücke, die sich in dem Haus befunden haben sollen. Zuletzt hat sie Schadensersatz iHv 567.825 Euro wegen Nichtherausgabe von Gegenständen, weitere 500 Euro wegen unberechtigter Wegnahme eines Geldscheins sowie Schadensersatz iHv 30.140,82 Euro wegen Beschädigungen an den zurückgegebenen Gegenständen verlangt.
Aus den Gründen:
Der Beklagte haftet dem Grunde nach. Indem dieser das in der Zwangsversteigerung erworbene Haus ohne die in § 885 ZPO vorgeschriebene Hinzuziehung eines Gerichtsvollziehers in Besitz genommen und die vorgefundenen Einrichtungs- und Kunstgegenstände eigenmächtig hat wegschaffen lassen, hat er gegenüber der Klägerin und ihrem Ehemann in verbotener Eigenmacht gehandelt (§§ 858 I, 823 II BGB) und deren Eigentum verletzt (§ 823 I BGB). Sie sind Eigentümer des in dem Haus befindlichen Mobiliars geblieben, da sich der Zuschlag gem. §§ 90, 55, 20 II ZVG iVm § 1120 BGB hierauf nicht erstreckte. Der Beklagte ist daher, soweit er die in Besitz genommenen Einrichtungs- und Kunstgegenstände nicht mehr oder nicht mehr unbeschädigt herausgeben kann, dem Grunde nach zum Ersatz des der Klägerin und ihrem Ehemann daraus entstandenen Schadens verpflichtet.
Dabei ist die Klägerin nicht einmal für den Bestand der in dem Haus befindlichen Objekte sowie für deren Zustand und Wert im Zeitpunkt der Inbesitznahme durch den Beklagten beweispflichtig.
Grundsätzlich hat nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung derjenige, der einen anderen wegen verbotener Eigenmacht auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, die anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Allerdings hat der BGH in den Fällen der so genannten kalten Räumung, wenn also ein Vermieter die Wohnung seines Mieters ohne Vorliegen eines gerichtlichen Räumungstitels in verbotener Eigenmacht in Besitz nimmt, eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast zulasten des Vermieters angenommen. Diesen trifft für die in der Wohnung befindlichen Gegenstände eine (nach-)vertragliche Obhutspflicht iSv § 241 II BGB, zu der auch die Pflicht gehört, die Interessen des durch Ortsabwesenheit und mangelnde Kenntnis von der Inbesitznahme an einer eigenen Interessenwahrnehmung verhinderten Mieters zu wahren. Er hat deshalb nicht nur dafür Sorge zu tragen, dass an den in Besitz genommenen Gegenständen keine Beschädigungen oder Verluste eintreten; vielmehr obliegt es ihm auch, bei der Inbesitznahme ein aussagekräftiges Verzeichnis der verwahrten Gegenstände aufzustellen und deren Wert schätzen zu lassen, um dem Mieter eine Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen. Ein Verzeichnis ist nur dann entbehrlich, wenn es sich ersichtlich um verbrauchte und damit offenkundig wertlose (Einrichtungs-)Gegenstände handelt, an deren Dokumentierung der Mieter bereits auf den ersten Blick schlechthin kein Interesse haben kann. Kommt der Vermieter der Inventarisierungspflicht nicht nach, geht der Schadensausgleich des Mieters auch dahin, dass der Vermieter verpflichtet ist zu beweisen, in welchem Umfang Bestand, Zustand und Wert der der Schadensberechnung zugrunde gelegten Gegenstände von den Angaben abweichen, die der Mieter hierzu gemacht hat, soweit dessen Angaben plausibel sind (vgl. BGH, NJW 2010, 3434 Rn. 15 ff.).
Diese Grundsätze gelten entsprechend, wenn ein Ersteher in der Zwangsversteigerung die ersteigerte Immobilie und die von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Einrichtungsgegenstände ohne Hinzuziehung des Gerichtsvollziehers eigenmächtig in Besitz nimmt.
Es fehlt nicht an der für eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast erforderlichen Sonderverbindung zwischen dem Ersteher und dem Zwangsversteigerungsschuldner. Eine solche wird zwar nicht schon allein durch den Zuschlag an den Ersteher (§ 90 ZVG) begründet. Der Zuschlagsbeschluss, der nach § 93 I ZVG ein Vollstreckungstitel auf Räumung und Herausgabe des Grundstücks ist (vgl. Senat, NJW-RR 2017, 260 Rn. 13), bildet aber die Grundlage der Sonderverbindung, die mit dem Vollstreckungszugriff zur Entstehung gelangt. Durch den Vollstreckungszugriff entsteht zwischen dem Ersteher als Vollstreckungsgläubiger und dem Schuldner eine gesetzliche Sonderbeziehung privatrechtlicher Art, aus der Sorgfaltspflichten gegenüber dem anderen Teil erwachsen (vgl. BGH, NJW-RR 2015, 850; BGHZ 162, 143 [148] = NJW 2005, 1121). Ein Vollstreckungszugriff liegt aber nicht nur dann vor, wenn der Ersteher das in den §§ 885, 885 a ZPO für die Zwangsvollstreckung vorgeschriebene Verfahren einhält, er also den Schuldner durch den Gerichtsvollzieher aus dem Besitz des Grundstücks setzen und sich in dessen Besitz einweisen lässt (§ 885 I 1 ZPO). Um einen eine Sonderverbindung begründenden Vollstreckungszugriff handelt es sich vielmehr auch dann, wenn der Ersteher das von dem Gesetz vorgesehene formalisierte Räumungsverfahren nicht einhält und sich stattdessen an die Stelle eines Gerichtsvollziehers setzt, indem er die Immobilie eigenmächtig gegen oder ohne den Willen des Schuldners in Besitz nimmt.
Aus der durch den Vollstreckungszugriff begründeten Sonderverbindung und den daraus erwachsenen Sorgfaltspflichten folgt die Pflicht des Erstehers, die Interessen des Schuldners zu wahren und diesem die Sicherung seiner Ansprüche zu ermöglichen. Bei einem Vollstreckungszugriff unter Einhaltung des vorgeschriebenen Verfahrens werden die Interessen des Schuldners dadurch gewahrt, dass der Gerichtsvollzieher die beweglichen Sachen, die nicht Gegenstand des Zuschlagsbeschlusses sind, dem Schuldner bzw. einer Ersatzperson übergibt (§ 885 II ZPO), bei Abwesenheit des Schuldners oder einer Ersatzperson die vorgefundenen Gegenstände in Verwahrung bringt (§ 885 III ZPO) oder diese nach Dokumentation in einem Protokoll in der Immobilie belässt (§ 885 a II ZPO). Erfolgt der Vollstreckungszugriff auf die ersteigerte Immobilie unter Umgehung des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens, ändert dies nichts daran, dass der Ersteher aufgrund der bestehenden Sonderverbindung auf die Interessen des Schuldners Rücksicht zu nehmen hat. Ihn trifft daher die Obliegenheit, ein Verzeichnis über die in der Immobilie vorgefundenen von dem Zuschlagsbeschluss nicht erfassten Gegenstände zu erstellen, das einen zuverlässigen Überblick über den vorhandenen wesentlichen Bestand und Zustand der Sachen bietet (vgl. BT-Drs. 17/10485, 31 zu § 885 a II ZPO), und deren Wert schätzen zu lassen. Die Erstellung eines Verzeichnisses ist nur dann entbehrlich, wenn sich in der Immobilie nur verbrauchte und für eine weitere Verwendung ersichtlich unbrauchbare Sachen befinden, an deren Dokumentierung und Aufbewahrung der Schuldner bereits auf den ersten Blick schlechthin kein Interesse haben kann (vgl. BGH, NJW 2010, 3434 Rn. 16 sowie §§ 885 III 2, 885 a III 2 ZPO). Kommt der Ersteher der Obliegenheit zur Dokumentation nicht nach, hat er im Streitfall – ebenso wie der Vermieter bei der „kalten Räumung“ – zu beweisen, inwieweit die Angaben des Schuldners zu dem Bestand, Zustand und Wert der Gegenstände, die sich im Zeitpunkt der Räumung in dem Haus befunden haben sollen, unzutreffend sind, soweit dessen Angaben plausibel sind (vgl. BGH, NJW 2010, 3434 Rn. 17).
Danach trägt grundsätzlich der Beklagte, der seiner Obliegenheit zur Erstellung eines Verzeichnisses nicht nachgekommen ist, die Darlegungs- und Beweislast für sein Vorbringen, dass sich die von der Klägerin benannten Gegenstände bei der Inbesitznahme des Hauses nicht mehr darin befunden hätten oder wegen massiver Schäden wertlos gewesen seien und dass die zurückgegebenen Möbelstücke und Kunstgegenstände bei Inbesitznahme bereits die beanstandeten Beschädigungen aufgewiesen hätten.