Nießbrauch: Schenke, aber herrsche!
Nießbrauch: Schenke, aber herrsche!
Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Spezialist für Erbrecht.
1. Was ist Nießbrauch?
Nießbrauch ist das Recht, eine Sache zu nuten und den Eigentümers dabei auszuschließen. Der Nießbraucher hat das Sagen, auch wenn er die Sache an den Eigentümer verschenkt hat („Schenke aber herrsche“).
Juristischer formuliert: Der Nießbrauch (eine Lehnübersetzung des lat. usus fructus, „Gebrauch (und) Fruchtgenuss“; vgl. den auch im Alltag gebräuchlichen Ausdruck „Nutznießer“) ist im deutschen Sachenrecht (§ 1030 bis § 1089 BGB) das unveräußerliche, aber auch nicht vererbliche absolute Recht, die Nutzungen (§ 100 BGB) einer fremden Sache oder eines fremden Rechts zu ziehen.
In der Schweiz wird für dieses Rechtsinstitut die Bezeichnung Nutzniessung verwendet. Sie ist in Art. 745 ff. ZGB geregelt.
In Österreich nennt sich dieses Recht Fruchtgenußrecht und wird mit § 509 ff. des ABGB geregelt.
2. Allgemeine Definition
Das Eigentum an einer Sache verleiht dem Eigentümer normalerweise im Wesentlichen drei Rechte:
- Nutzung,
- Fruchtziehung und
- Verfügung (Veräußerung).
Besteht an einer Sache aber ein Nießbrauch, hat der Nießbraucher das Recht zur Nutzung und zur Fruchtziehung (lat. usus fructus, dt. Nutznießung). Dem Eigentümer verbleibt nur das Verfügungsrecht (rechtliche Verfügungsgewalt). Selbst dieses kann man durch ein grundbuchlich abgesichertes Rückforderungsrecht am Eigentum ausschließen, wenn man das Haus auf die Kinder überträgt.
Auf diese Weise wird das Eigentum als dingliches Vollrecht, also die rechtliche Herrschaft über die Sache, sozusagen „aufgespalten“. Es entstehen die Rechtsfiguren des „bloßen Eigentümers“ (lat. nudus dominus, frz. nu propriétaire, span. nudo propietario, Inhaber des nießbrauchbeschwerten Eigentums) und des „Nießbrauchers“. Ersterer behält das „bloße Eigentum“ (nacktes Eigentum = nuda proprietas, eine Form des nudum ius) an der Sache, deren Nutzungsziehung (umfassende Nutzung einschließlich der Fruchtziehung) hingegen beim Nießbrauchsberechtigten („wirtschaftlicher Eigentümer“) liegt. Die Bestellung des Nießbrauchs bedarf regelmäßig derselben Form wie der Eigentumserwerb. Bei Grundstücken ist also der Mitwirkung eines Notars und der Eintragung in das entsprechende öffentliche Register (Grundbuch etc.) erforderlich.
Der Nießbrauch im deutschen Recht
3. Der Nießbraucher ist „wirtschaftlicher Eigentümer“
Der Nießbrauch gewährt dem Nießbraucher nicht nur einzelne Nutzungsrechte, sondern das Recht zur umfassenden Nutzung des belasteten Gegenstands. Darin enthalten ist die Ziehung von „Früchten“ (§ 99 BGB), also der Erzeugnisse und sonstigen Ausbeute des Gegenstandes: Sachfrüchte sind z. B. die Ernte bei einem landwirtschaftlichen Grundstück oder die abgebauten Steine eines Steinbruches, Rechtsfrüchte die Miet- und Pachtzinsforderungen.
Der Nießbrauch ist folglich das dingliche, also absolut wirkende Gegenstück zur schuldrechtlichen Pacht: Der Berechtigte hat nicht nur einen Anspruch auf Nutzungsziehung gegen seinen Vertragspartner, sondern ein Recht auf Nutzungsziehung an dem belasteten Gegenstand, das gegenüber jedermann wirkt. Der Nießbraucher wird daher häufig auch als „wirtschaftlicher Eigentümer“ der Sache bezeichnet.
Der Nießbrauch ist regelmäßig unveräußerlich und unübertragbar (Ausnahme: § 1059a BGB). Seine Ausübung kann aber einem Dritten überlassen werden (§ 1059 BGB). Der Nießbrauch ist daher auch pfändbar.
4. Bestellung des Nießbrauchs
Die Bestellung des Nießbrauchs hat, soweit spezielle Regelungen fehlen, in den Formen zu erfolgen, die für Verfügungsgeschäfte am jeweiligen Gegenstand vorgeschrieben sind:
- an unbeweglichen Sachen (Immobilien, Liegenschaften) gemäß § 873 BGB durch Einigung und Eintragung ins Grundbuch;
- an beweglichen Sachen (Mobilien, Fahrnis) gemäß § 1032 BGB grundsätzlich durch formlose Einigung und Übergabe der Sache (mit Verweis auf Vorschriften über die Übereignung beweglicher Sachen in Satz 2 der Vorschrift);
- an Rechten, soweit übertragbar, gemäß § 1069 BGB nach den Vorschriften über die Übertragung des jeweiligen Rechts (z. B. bei Forderungen: Abtretung);
- an Inhaber- und Orderpapieren: vgl. § 1081 BGB;
- an einem Vermögen (z. B. am Nachlass, Unternehmen usw.) gemäß § 1085 BGB nach den für die einzelnen Vermögensbestandteilen geltenden Regelungen an jedem einzelnen Vermögensgegenstand gesondert.
- Ausnahmsweise kann ein Nießbrauch auch kraft Gesetzes entstehen.
5. Was ist der Unterschied zwischen ein Bruchteils- und einem Quotennießbrauch?
Der Nießbrauch kann auch statt am gesamten Eigentum nur an einem Miteigentumsanteil bestellt werden (Bruchteilsnießbrauch) oder sich nur auf einen Teil der Grundstücksnutzungen beziehen (Quotennießbrauch).
Beim Bruchteilsnießbrauch wird immer nur ein Bruchteil des Eigentums (z.B. an einem Grundstück) ganz oder teilweise mit dem vollen Nießbrauch belastet (z.B. 1/5 Miteigentum wird voll mit Nießbrauch belastet), während beim Quotennießbrauch z.B. das ganze Grundstück belastet wird, aber eben nur mit einem teilweisen Nießbrauch, dem Bruchteil eines Nießbrauchs also.
Der Nießbraucher wird gegen Beeinträchtigungen und Störungen seines Rechts wie der Eigentümer geschützt.
Wie jedes Verfügungsgeschäft ist auch die Bestellung eines Nießbrauches zwar ohne rechtlichen Grund wirksam (Abstraktionsprinzip). Allerdings ergibt sich dann grundsätzlich ein bereicherungsrechtlicher Rückübertragungsanspruch (§§ 812 ff. BGB). Um dauerhaft (kondiktionsfest) zu sein, liegt der Bestellung daher regelmäßig ein von ihr zu trennendes Verpflichtungsgeschäft zu Grunde, das sie erfüllt (Kauf, Schenkung, Vermächtnis usw.).
6. Steuerliche Behandlung
Bei der steuerlichen Beurteilung der Einräumung eines unentgeltlichen Nießbrauchsrechts z. B. an einem Grundstück ist zwischen Zuwendungs- und Vorbehaltsnießbrauch zu unterscheiden:
6.1 Zuwendungsnießbrauch
Beim Zuwendungsnießbrauch bestellt der Eigentümer an seinem Grundstück einen Nießbrauch zugunsten des Berechtigten. Künftig erzielt der Nießbraucher und nicht mehr der Eigentümer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Allerdings kann der Nießbraucher im Fall des Zuwendungsnießbrauchs keine Abschreibungen geltend machen.
Schenkungsteuerlich ist der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs beim Empfänger zu versteuern.
6. 2 Vorbehaltsnießbrauch
Ein Vorbehaltsnießbrauch liegt vor, wenn bei der Übertragung z. B. eines Grundstücks zugleich ein Nießbrauchsrecht für den bisherigen Eigentümer an dem übertragenen Grundstück bestellt wird.
6.2.1 Einkommensteuer:
Bei einem Mietwohngrundstück erzielt dann weiterhin der Schenker (z. B. die Eltern) die Vermietungseinkünfte, obwohl das beschenkte Kind als Eigentümer im Grundbuch steht. Der Schenker kann – wie bisher – von den Mieteinnahmen alle von ihm getragenen Grundstücksaufwendungen einschließlich der Gebäude-AfA als Werbungskosten steuermindernd abziehen. Solange der Nießbrauch besteht, erzielt der Beschenkte keine Einkünfte und kann mit dem Grundstück zusammenhängende Aufwendungen nicht steuerlich geltend machen.
6.2.2 Erbschaftsteuer:
Die Nießbrauchsbelastung kann für Zwecke der Schenkungsbesteuerung seit dem 1.1.2009 von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden.
6.2.3 Haftpflichtversicherung abklären
Wenn Sie Immobilieneigentum an Kinder übertragen, sollten Sie mit Ihrem Versicherer abklären, ob sie einen erweiterten Versicherungsschutz brauchen.
Wenn Sie z.B. eine Mietimmobilie übertragen kann es passieren, dass er Grundeigentums-Haftpflichtversicherer zwar einen Schaden für den neuen Eigentümer bezahlt, aber dann versucht, den Nießbraucher in Regress zu nehmen. Hier ist eine Versicherungsschutz für Eigentümer und Nießbraucher oft durch einen Zuschlag zu erhalten. Klären Sie das schriftlich mit Ihrer Versicherung ab.
Auch bei einer Privatimmobilie sind diese Fragen abzuklären. Zwar ist hier ein Schadensfall, z.B. Beinbruch eines Fußgängers wegen Verletzung der Schneeräumungspflicht, über die private Haftpflichtversicherung des Eigentümers abgesichert, aber auch diese könnte den Nießbraucher in Regress nehmen. Klären Sie also ab, ob Ihre Versicherung das Risiko sowohl für Eigentümer und Nießbraucher abdeckt oder ob es möglich ist das Zusatzrisikio durch eine Erhöhung der Versicherungsprämie abzusichern.
Auf mündliche Auskünfte Ihres Versicherungsvertreters sollten Sie sich dabei nicht verlassen, sondern schriftliche Zusagen der Versicherung verlangen.
7. Nießbrauch bei vorweggenommener Erbfolge
In der Praxis wird der Nießbrauch häufig bei der Vermögensübertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge eingesetzt. Der Übertragende verschafft dem Nachfolger zwar das Eigentum an den Gegenständen, behält sich aber zu seinen Lebzeiten den Nießbrauch vor.
Damit die Früchte gezogen werden können, hat der Nießbraucher gegen den Eigentümer ein Recht zum Besitz. Zwischen dem Eigentümer und dem Nießbraucher besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis, das den Nießbraucher verpflichtet, ordnungsgemäß zu wirtschaften, die Sache zu erhalten und sie zu versichern. Auch hat der Nießbraucher die gewöhnlichen öffentlichen und privatrechtlichen Lasten zu tragen. Verwendungen, die über die gewöhnliche Unterhaltung hinausgehen, kann der Nießbraucher vom Eigentümer ersetzt verlangen, wenn die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen.
Die neuere Interpretation des § 1041 BGB durch das BGH-Grundsatzurteil V ZR 392/02 erlegt dem Nießbraucher nur solche Pflichten bzw. Unterhaltszahlungen auf, die „regelmäßig, und zwar wiederkehrend innerhalb kürzerer Zeitabstände“ fällig werden (Urteil vom 6. Juni 2003). Diese Formel ist seitdem vom BGH angewendet worden, so in AZ VIII ZR 311/04, das außerdem besagt, dass auch ein bei dem Nießbraucher zur Miete wohnender Eigentümer neben der Miete gegebenenfalls die größeren Modernisierungsmaßnahmen und Arbeiten an Dach und Fach selbst zu erbringen hat, wobei der Nießbraucher nicht in Vorleistung gehen muss („dolo … petit – Prinzip“). Dies schützt zwar den Nießbraucher, kann aber bedeuten, dass dem Eigentümer beträchtliche Ausgaben entstehen könnten, ohne dass er ein Verfügungsrecht über die Immobilie hat.
Ein Urteil des Bundessozialgerichts ( B 14/7b AS 46/06 R) schützt andererseits den Eigentümer einer mit einem Nießbrauch belasteten Immobilie im Falle der Inanspruchnahme von Grundsicherung: Die staatliche Leistung wird als Zuwendung und nicht als Darlehen gewährt.
8. Nießbrauchsvermächtnis
Der Nießbrauch kann testamentarisch als Vermächtnis ausgesetzt werden, z.B.:
Ich vermache meiner Lebensgefährtin Irene Müller den lebenslangen, unentgeltlichen Nießbrauch an allen Immobilien, die sich in meinem Nachlass befinden. Die Nießbraucherin hat alle Lasten der Grundstücke zu tragen. Mit diesem Inhalt ist der Nießbrauch auf Kosten des Nachlasses in das Grundbuch einzutragen.
Erbschaftsteuerlich kann der Vermächtnisnehmer zwischen der einmaligen Versteuerung nach dem Gesamtwert des Nießbrauchs oder einer jährlichen Versteuerung nach dem Jahreswert des Nießbrauchs wählen (§ 23 ErbStG).
9. Eigentümer oder Nießbraucher – Wer zahlt was?
a) Im Vertrag nachsehen
Gibt es Streit zwischen Eigentümer (z.B. Sohn) und Nießbraucher (z.B. Eltern), wer welche Kosten zu zahlen hat, ist zunächst im Übergabevertrag nachzuschauen. Ist dort die Kostentragungspflicht geregelt, ist die vertragliche Regelung maßgebend.
b) Im Gesetz nachsehen
Fehlt eine vertragliche Regelung, ist das Gesetz zu Rate zu ziehen. Nach §§ 1093, 1041 BGB trägen der Nießbraucher bzw. der Wohnungsberechtigte nur die gewöhnlichen Kosten der Unterhaltung der genutzten Sache und nicht außergewöhnliche Unterhaltungskosten.
Gewöhnliche Unterhaltungskosten, die der Nießbraucher/Wohnungsberechtigte zu tragen hat sind
- Kleinreparaturen (Schulbeispiel: Ein einziger Dachziegel ist defekt)
- Schönheitsreparaturen
- Stromkosten
- Müllabfuhr
- Heizung
- Kanalgebühren
- Wasser
- Schornsteinfeger
- Heizung
- Gebäudebrandversicherung
- Grundsteuer
Vom Eigentümer sind hingegen die außergewöhlichen Kosten zu tragen, nämlich zum Beispiel
- umfangreiche Erneuerungsmaßnahmen (Schulbeispiel: Das ganze Dach wird neu eingedeckt)
- Treppenhaussanierung
- Erneuerung der Stromzähleranlage
- Erneuerung der Stromanlagen im Haus
- Erneuerung der Wasserrohre im gesamten Haus
- Wärmedämmung des Hauses
- Fenstererneuerung
- Heizungsmodernisierung
- Erschließungskosten