Die herausgeschnittene Testamentszeile. Erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
Die herausgeschnittene Testamentszeile
Eine kinderlose Frau errichtete ein eigenhändiges Testament, das, soweit die Urkunde noch existent ist, folgenden Text hat:
„Hiermit setze ich … meine Neffen M und C jeweils zur Hälfte zu Erben ein“.
Die Urkunde, die auf einem linierten DIN-A4-Blatt niedergeschrieben ist, ist insoweit unvollständig, als zwischen den Textteilen „Hiermit setze ich“ und „meine Neffen“ ein Teil des Blattes im Umfang von etwas mehr als einer Zeile mittels eines scharfen Werkzeugs herausgeschnitten wurde. Was die Frage anging, wer das Loch in das Testament geschnitten hatte, so kamen grundsätzlich die Erblasserin selbst, irgendwelche Dritte oder auch die Beteiligten zu 1 und 2 in Betracht. Die Möglichkeit, dass die Erblasserin von vornherein ein Blatt mit Loch gewählt hatte, war demgegenüber nach lebensnaher Betrachtung auszuschließen. Auf Basis dieser Urkunde begehrten die beiden Neffen beim Nachlassgericht einen gemeinschaftlichen Erbschein, der sie als Miterben zu jeweils ½ ausweisen sollte. Gegen den Vorbescheid des Nachlassgerichts, der die Erteilung des beantragten Erbscheins ankündigte, legten die Beteiligten zu 3 und 4, andere als gesetzliche Erben in Betracht kommende Verwandte der Erblasserin, Beschwerde ein. Der Vorbescheid wurde vom LG aufgehoben. Hiergegen wendeten sich die Beteiligten zu 1 und 2 mit ihren weiteren Beschwerden, die das OLG zurückwies. Auf der eigenhändig verfassten Urkunde war eine möglicherweise wichtige Zeile herausgeschnitten. Laut Gericht muss in einem solchen Fall versucht werden, den Text und damit den Willen des Erblassers zu rekonstruieren. Gelingt dies nicht, haben die im Testament bedachten Erben Pech – so geschehen in diesem Fall. Laut Gericht blieb unklar,
„ob der verbliebene Text überhaupt vom Testierwillen der Erblasserin getragen ist.“