⚖️ Erbenhaftung nach § 102 SGB XII

§ 102 SGB XII Kostenersatz durch Erben
(1) Der Erbe der leistungsberechtigten Person oder ihres Ehegatten oder ihres Lebenspartners, falls diese vor der leistungsberechtigten Person sterben, ist vorbehaltlich des Absatzes 5 zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet. Die Ersatzpflicht besteht nur für die Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und die das Dreifache des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 übersteigen. Die Ersatzpflicht des Erben des Ehegatten oder Lebenspartners besteht nicht für die Kosten der Sozialhilfe, die während des Getrenntlebens der Ehegatten oder Lebenspartner geleistet worden sind. Ist die leistungsberechtigte Person der Erbe ihres Ehegatten oder Lebenspartners, ist sie zum Ersatz der Kosten nach Satz 1 nicht verpflichtet.(2) Die Ersatzpflicht des Erben gehört zu den Nachlassverbindlichkeiten. Der Erbe haftet mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalles vorhandenen Nachlasses.
(3) Der Anspruch auf Kostenersatz ist nicht geltend zu machen,
1. soweit der Wert des Nachlasses unter dem Dreifachen des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 liegt,
2. soweit der Wert des Nachlasses unter dem Betrag von 15.340 Euro liegt, wenn der Erbe der Ehegatte oder Lebenspartner der leistungsberechtigten Person oder mit dieser verwandt ist und nicht nur vorübergehend bis zum Tod der leistungsberechtigten Person mit dieser in häuslicher Gemeinschaft gelebt und sie gepflegt hat,
3. soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten würde.
(4) Der Anspruch auf Kostenersatz erlischt in drei Jahren nach dem Tod der leistungsberechtigten Person, ihres Ehegatten oder ihres Lebenspartners. § 103 Abs. 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(5) Der Ersatz der Kosten durch die Erben gilt nicht für Leistungen nach dem Vierten Kapitel und für die vor dem 1. Januar 1987 entstandenen Kosten der Tuberkulosehilfe.

🔎 Überblick

§ 102 SGB XII (früher: § 92c BSHG) regelt den sogenannten „selbstständigen Erbenregress“. Eine ähnliche Vorschrift gab es bis zum 01.08.2016 in § 35 SGB II für die Grundsicherung für Arbeitssuchende.
👉 Im Rehabilitationsrecht (SGB IX) existierte dagegen von vornherein kein Erbenregress.

Daneben kennt das Gesetz die „unselbstständige Erbenhaftung“ nach § 103 Abs. 2 SGB XII:
Bestand gegen den Hilfeempfänger selbst bereits ein Kostenersatzanspruch wegen schuldhafter Herbeiführung der Bedürftigkeit (§ 103 Abs. 1 SGB XII), so richtet sich dieser Anspruch mit dem Tod gegen die Erben.
➡️ Beide Ansprüche können nebeneinander bestehen.


💰 Welche Leistungen müssen ersetzt werden?

📅 Zeitraum

Die Erben müssen alle rechtmäßig gewährten Sozialhilfeleistungen erstatten, die innerhalb von 10 Jahren vor dem Erbfall aufgewendet wurden (§ 102 Abs. 1 SGB XII).

⚖️ Nur rechtmäßig gewährte Leistungen sind zurückzuerstatten

  • Nicht rechtmäßig: Wurden bei der Leistungsprüfung Vermögenswerte des Hilfeempfängers zu Unrecht als Schonvermögen behandelt, ist die Leistung nicht rechtmäßig. Dann ist § 102 SGB XII nicht anwendbar.
  • Darlehensweise Hilfe: Wurden Leistungen nach § 91 SGB XII darlehensweise gewährt (zur Vermeidung unbilliger Härten), handelt es sich um eine Erblasserschuld. Nach dem Tod kann der Sozialhilfeträger nur zivilrechtlich vorgehen, nicht über § 102 SGB XII.
  • Rechtswidriger Bescheid: War der Bewilligungsbescheid von Anfang an rechtswidrig, greifen nur die allgemeinen Rückforderungsinstrumente des Sozialverwaltungsrechts – insbesondere
    • § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 3 SGB X (Rücknahme),
    • § 50 SGB X (Erstattungspflicht).

Zusätzlich verpflichtet § 104 SGB XII denjenigen, der durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die zu Unrecht gewährten Leistungen verursacht hat, ebenfalls zur Erstattung – und zwar als Gesamtschuldner neben dem nach § 50 SGB X Verpflichteten.


🚫 Ausnahmen vom Erbenregress

Besonders wichtig:
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Kapitel 4 SGB XII) sind vom Erbenregress ausgenommen (§ 102 Abs. 5 SGB XII).
👉 Damit soll verhindert werden, dass ältere Menschen aus Angst vor einer späteren Belastung ihrer Erben gar keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen.


🎁 Freibetrag

Von den im 10-Jahres-Zeitraum gewährten Leistungen bleibt ein Freibetrag in Höhe des 6-fachen Eckregelsatzes unberührt.

  • Beispiel 2025: 3.378,00 €
  • Zum Vergleich: Nach der bis 2016 geltenden Regelung des § 35 SGB II betrug der Freibetrag einheitlich nur 1.700,00 €.

📌 Zusammenfassung

  • Selbstständiger Erbenregress (§ 102 SGB XII) betrifft rechtmäßige Sozialhilfeleistungen der letzten 10 Jahre.
  • Unselbstständige Erbenhaftung (§ 103 Abs. 2 SGB XII) greift bei schuldhafter Bedürftigkeitsherbeiführung durch den Erblasser.
  • Nicht rechtmäßige Leistungen können nicht über § 102 SGB XII zurückgefordert werden, sondern nur über allgemeines Verwaltungsrecht (§§ 45, 50 SGB X).
  • Ausgenommen: Grundsicherungsleistungen im Alter/bei Erwerbsminderung.
  • Freibetrag: 6-facher Eckregelsatz schützt kleinere Erbschaften.

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