Familienfideikommiss: Adelsprivilegien beim Vererben wurde abgeschafft. Erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
Familienfideikommiss: Adelsprivilegien beim Vererben abgeschafft
1. Begriff
Das Familienfideikommiss (von lateinisch fidei commissum, der Treue Anvertrautes) ist eine geschichtliche Rechtseinrichtung des Erb- und Sachenrechts, die in Deutschland seit 1900 und Österreich seit 1938 aufgelöst ist. Man kann es wie folgt definieren:
„Ein Familienfideikommiss ist ein durch privates Rechtsgeschäft gebundenes Sondervermögen, das grundsätzlich unveräußerlich und unbelastbar ist, von bestimmten Familienmitgliedern nacheinander in einer von vornherein festgelegten Folgeordnung genutzt wird und dazu bestimmt ist, die wirtschaftliche Kraft und das soziale Ansehen einer Familie dauernd zu erhalten. Die Fideikommisse verdanken ihre Entstehung dem Wunsch der grundbesitzenden Familien, insbesondere des Adels, ihren Besitzstand geschlossen zu erhalten.“
Erbrechtlich ist ein Familienfideikommiss eine Anordnung des Erblassers, nach der das Eigentum an seinem Nachlass in Obereigentum und Nutzungseigentum aufgespalten werden sollte. Dabei wurde einer Person eine Art Nießbrauch an dem Nachlass eingeräumt. Der Familie als ganze blieb zum Erhalt des Familieneigentums aber das Obereigentum am Nachlass.
2. Sozialgeschichtliche Bedeutung
Die Familienfideikommisse wurden zum Erhalt des Familienvermögens adeliger Familien über Generationen hinweg eingesetzt. Schlösser, Burgen und Herrensitze mit den dazugehörigen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben waren oft in den Familienfideikommissen gebunden. Sie diente vor allem auch dazu, adelige Söhne, die schlecht besoldete, aber prestigeträchtige und einflussreiche Ämter in Staat und Heer einnahmen, finanziell aus dem Familienvermögen zu versorgen. Im 19. Jahrhundert gerieten die Familienfideikommisse in die Kritik, weil sie durch das sie betreffende Verfügungsverbot nicht am Güteraustausch teilhaben konnten und damit das Wachstum des Sozialproduktes bremsten. Da sie auch einem Belastungsverbot unterlagen, konnten sie ebenfalls nicht als Realkreditsicherheiten eingesetzt werden. Auch behinderte das Belastungsverbot die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit. Ferner wurden die Familienfideikommisse als Sonderrecht des Adels kritisiert. Zudem wurden die Familienfideikommisse auch in Ansehung der Eigentumsfreiheit als eine zu starke Einschränkung empfunden. Durch die Familienfideikommisse konnte die „kalte Hand“ des Erblassers über Generationen hinweg das Schicksal des Eigentums ohne Mitwirkung der das Eigentum innehaltende Familie lenken.
3. Geschichte der Familienfideikommisse
Im Römischen Recht war das Fideikommiss eine testamentarische Verfügung, die dem Erben aufträgt, das Geerbte nach bestimmter Zeit ganz oder teilweise an einen Dritten abzutreten.
Mit der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland entstand ein Bedürfnis, die in den zuvor herrschenden Rechtsordnungen übliche Rechtsfolge von Todes wegen über den Mannesstamm nach Parentelen vor der Testier- und Eigentumsfreiheit des gemeinen Rechts zu schützen. Es wurde daher dem Erblasser ermöglicht, als Stifter eines Familienfideikommisses einen Teil des Vermögens abzusondern und der römisch-rechtlichen Eigentumsordnung zu entziehen. In Bezug auf Stammgüter war dies bereits durch Observanz und Familienvereinbarung bei Einzug des römischen Rechts in Deutschland anerkannt. Die Familienfideikommisse entwickelten sich aus testamentarischen Anordnungen, die Teilungs- und Veräußerungsverbote enthielten. Daraus wurde die Fiktion einer successio ex providentia et pacto maiorum (durch Nachfolge aus Vorsicht und Vertrag der Vorfahren) gegründet. Die Rechtsgültigkeit solcher Anordnungen wurde aus der römisch-rechtlichen fideikommissarischen Substitution und in Analogie zum Investiturvertrag abgeleitet. Seit nicht nur altadelige Familien den Nachlass betreffende Teilungs- und Veräußerungsverbote aussprechen konnten, entstanden neben den Stammgütern die Familienfideikommisse.
Durch das preußische Edikt von 9. Oktober 1807 wurde eine Auflösung eines Familienfideikommisses durch Familienbeschluss zugelassen. Dadurch konnte die Familie die Anordnungen, welche der Stifter des Familienfideikommisses nachfolgenden Generationen anheim gegeben hatte, aufheben und ihre volle Verfügungs- und Testierfreiheit über das Vermögen wiederherstellen. In den durch Napoleon I. besetzten deutschen Landesteilen wurde das Familienfideikommiss gänzlich abgeschafft oder sehr stark eingeschränkt. Seit dem Wiener Kongress sind aber Familienfideikommisse auch dort wieder zugelassen worden.
Bereits die Paulskirchenverfassung von 1848 forderte die Auflösung der Familienfideikommisse. Mit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches zum 1. Januar 1900 wurde die bürgerliche Rechtseinheit in den deutschen Gebieten, die das Kaiserreich umfasste, eingeführt. Nach Art. 59 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch blieben das Recht der Bundesstaaten über die Familienfideikommisse unberührt. Seit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung setzte man sich die Abwicklung des gebundenen Vermögens erneut als Ziel.
4. Auflösung 1938
Doch erst 1938 wurden die bis heute geltenden Bereinigungsvorschriften erlassen. Das Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen (RGBl. I 1938, 825) vom 6. Juli 1938 und der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen (RGBl. I 1939, 509) vom 20. März 1939 regelten das weitere Schicksal der gebundenen Vermögen.
Noch heute gibt es bei einigen Oberlandesgerichten (zum Beispiel dem OLG München, dem OLG Jena oder einem Kasseler Senat des OLG Frankfurt) eine Spezialzuständigkeit eines Senates hinsichtlich Rechtsstreitigkeiten, die Fideikommisse betreffen. Beim Bundesgerichtshof ist der V. Zivilsenat zuständig.
Dennoch gilt der Auflösungsprozess soweit als abgeschlossen; zum 23. November 2007 wurde das Gesetz zur Aufhebung von Fideikommiss-Auflösungsrecht erlassen, welches die Auflösungsgesetze soweit aufhebt und ersatzlos streicht, da sie nicht mehr erforderlich sind.
5. Ausgestaltung der Familienfideikommisse
Unter einem Familienfideikommiss wird eine Anordnung des Erblassers verstanden, kraft derer ein Teil des Nachlasses vom Rest mit der Wirkung ausgesondert wird, dass der ausgesonderte Teil des Nachlasses rechtlich in ein Ober- und ein Nutzungseigentum aufgespalten wird. Das Nutzungseigentum stand immer nur einem Familienmitglied zu. Die Familie als Ganzes behielt das Obereigentum. Demnach ist derjenige, welcher aus dem Familienfideikommiss begünstigt worden ist, weder zur Verfügung noch zur Belastung des Eigentums befugt gewesen (gebundenes Vermögen). Der aus dem Familienfideikommiss Begünstigte konnte über sein Nutzungseigentum auch nicht frei von Todes wegen verfügen. Das vermögensrechtliche Schicksal des „Nießbrauchs“ an dem gebundenen Vermögen bestimmte sich nach der Sukzessionsordnung der Stiftungsurkunde. Der Stifter des Familienfideikommisses konnte zwischen Senioraten, Majoraten, Minoraten und Primogenituren wählen. Eine Besonderheit in Mecklenburg war die weibliche Erbfolge nach dem Erbjungfernrecht. Das Familienfideikommiss steht den Lehen, Stammgütern und Familienstiftungen nahe.
6. Errichtung und Aufhebung
Es konnten nur solche Gegenstände dem Familienfideikommiss gewidmet werden, mit denen Ackerbau und Viehzucht verbunden war und die keiner Grundherrschaft unterworfen waren. Herrenhäuser und ähnliche Gebäude konnten dem Familienfideikommiss aber ebenso wie Familienarchive und Bibliotheken zugeschlagen werden. Seit der Aufhebung der Grundherrschaft in Preußen entstand die paradoxe Situation, dass wegen des Edikts von 1807 einerseits Familienfideikommisse durch Familienbeschluss aufgelöst werden konnten, anderseits aber jeder Bauer ein Familienfideikommiss stiften konnte. Um einerseits die Versorgungsfunktion der Familienfideikommisse aufrecht zu erhalten, musste das gebundene Vermögen einen Mindestertrag abwerfen. Um anderseits dem wirtschaftlichen Verkehr nicht zu viel Vermögen zu entziehen, war der Ertrag aber auf eine Höchstgrenze beschränkt.
7. Nachfolgeeinrichtungen
Auch heute noch kann ein Erblasser ein Interesse daran haben, dass der Nachlass in der Familie bleibt. Dies kann er im deutschen Recht durch Anordnung einer Vorerbschaft teilweise erreichen. Die Vorerbschaft ist aber auf die Dauer von 30 Jahren beschränkt. Diese Zeitbeschränkung gilt allerdings unter anderem in dem häufigen Fall nicht, in dem der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben eintritt und der Nacherbe bereits vor dem Tod des ursprünglichen Erblassers geboren war. Auch mit der Gründung von Familienstiftungen bzw. Familienvermögensgesellschaften und der Eintragung von Nießbrauchsrechten zugunsten einzelner Familienmitglieder oder mit einer Einräumung von vorgemerkten Vorkaufsrechten an eine Familienstiftung kann dieses Ziel teilweise erreicht werden.