Irrtum über erbrechtliche Rechtsfolgen. Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
Anfechtung bei Irrtum über erbrechtliche Rechtsfolgen?
Ein Irrtum, der zur Anfechtung berechtigt liegt vor, wenn der Erklärende unbewusst nach außen etwas anderes erklärt hat, als er wirklich erklären wollte. Er war dann über den Inhalt seiner nach außen abgegebenen Erklärung im Irrtum. Ein solcher Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende mit seiner Erklärung eine andere erbrechtliche Rechtsfolge auslösen wollte, als er tatsächlich mit seiner Erklärung ausgelöst hat. Ein solcher Rechtsfolgenirrtum ist als Inhaltsirrtum beachtlich und berechtigt zur Anfechtung nach § 119 As. 1 BGB.
Beispiel
Schlägt z.B. eine befreite Vorerbin aufgrund notarieller Falschberatung die Erbschaft in der Annahme aus, dadurch gerieten im Testament angeordnete Auflagen in Wegfall und sie sei dann “befreiter” gesetzlicher Erbe, kann darin ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum liegen. So war es in einem vom OLG Düsseldorf als Rechtsbeschwerdegericht entschiedenen Fall in einem Erbscheinverfahren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. 9. 1997 – 3 Wx 287–97). Dort hatte die Erblasserin ihre alleinige befreite Vorerbin, ihre Enkeltochter mit Auflagen beschwert. Für den Fall, dass die Enkelin diese Auflagen nicht akzeptieren würde, sollten die Ersatzerben, zwei andere Personen zu je 1/2 zum Zuge kommen. Die Enkeln erklärte in der vom Notar entworfenen Ausschlagungserklärung:
“. . . Ich schlage hiermit die Erbschaft als Testamentserbin aus. Durch meine Ausschlagung tritt die gesetzliche Erbfolge ein . . .”.
Sie glaubte aufgrund der Falschberatung jetzt gesetzliche Erbin zu sein, und zwar ohne die Auflagen. Das war das von ihr Gewollte. In Wirklichkeit hatte sie aber etwas völlig anderes erklärt, was ihr das Nachlassgericht auch postwendend mitteilte, nämlich dass die Erbschaft nunmehr den beiden Ersatzerben anfalle. Daraufhin erklärte die Enkelin die Anfechtung der Ausschlagung.
Erst Oberlandesgericht akzeptierte Anfechtung
Amtsgericht und Landgericht wiesen die Anfechtung zurück. Erst beim Oberlandesgericht fand die Enkelin Gehör. Das Oberlandesgericht hielt das Vorliegen eines beachtlichen Inhaltsirrtums gem. § 119 Abs. 1 BGB für möglich. Sofern die Enkelin aufgrund des notariellen Beratungsfehlers mit der Ausschlagung bewirken wollte, dass sie “unmittelbar” durch die Ausschlagungserklärung gesetzliche Erbin werde, läge ein solcher Inhaltsirrtum vor. Auch hatte die Enkelin in der Anfechtungserklärung ausgeführt, ihr sei die Wirkung der Ausschlagungserklärung nicht klar gewesen, dass infolge der Ausschlagung die Erbschaft demjenigen anfällt, der zum Erben berufen ist, wenn der Ausschlagende zur Zeit des Erbfalls schon nicht mehr gelebt hätte, also den beiden Ersatzerben. Das Oberlandesgericht hielt es also für nicht ausgeschlossen, dass die Enkelin „ihrer Ausschlagungserklärung unmittelbare rechtsgeschäftliche Wirkungen beimaß, die diese nicht entfaltet.“
Das Oberlandesgericht führte weiter aus:
„Nicht ausgeschlossen ist nämlich, dass sie – laienhaft – in dem Irrtum handelte, unmittelbare tatbestandliche Folge der Ausschlagung sei der Wegfall der Auflagen und der Erhalt der befreiten Stellung als gesetzliche Erbin, und ihr gerade nicht klar war, dass der Eintritt der gesetzlichen Erbenstellung allein von außerhalb der Ausschlagungserklärung liegenden Umständen abhängig ist.
Ein solcher Irrtum berechtigte nach § 119 Abs. 1 BGB zur Anfechtung. Denn er beschränkte sich nicht allein auf die außerhalb des – vorgestellten – Tatbestandes der Erklärung liegende Sekundärfolge, wem der Wegfall der testamentarischen Erbenstellung zugute kommt. Er beträfe vielmehr den – vorgestellten – rechtsgeschäftlichen Inhalt der Erklärung. Ein solcher Irrtum wäre den höchstrichterlich entschiedenen Fällen gleichzustellen, in denen zu Recht ein beachtlicher Inhaltsirrtum bejaht wurde, weil der Ausschlagende glaubte, die Ausschlagung sei das Rechtsgeschäft, mit dem er unmittelbar seinen Erbteil auf eine andere Person übertragen bzw. mit Auflagen beschränkte Erbteile in Pflichtteilsansprüche umwandeln könne.“