Finanzamt bewertet Haus zu hoch – und jetzt? von Fachanwalt für Erbrecht Gerhard Ruby.
Finanzamt bewertet Haus zu hoch – und jetzt?
Bei einem Todesfall geht ein Haus auf die Erben über. Für die Erbschaftsteuer muss der Wert des Hauses festgestellt werden. Diesen Wert ermittelt die Bewertungsstelle des Lagefinanzamtes nach dem Bewertungsgesetz (BewG). Immer wieder kommt es vor, dass der sog. Grundbesitzwertbescheid, den an die Erben verschickt wird, nach Ansicht der Erben viel zu hoch ausfällt. Sie müssen dann gegen den Grundbesitzwertbescheid Einspruch einlegen, sonst wird er für die Erbschaftsteuer, die vom Erbschaftsteuerfinanzamt festgesetzt wird, bindend. Die Erbschaftsteuer wird in der Regel von einem anderen Finanzamt als dem Lagefinanzamt festgesetzt. Lagefinanzamt ist das Finanzamt, in dessen Zuständigkeitsbereich das zu bewertende Haus oder Grundstück liegt. Die Erbschaftsteuer wird von den sog. Erbschaftsteuerfinanzämtern festgesetzt, die für mehrere Finanzamtsbezirke zuständig sind.
Gegen den Grundbesitzwertbescheid kann von den Steuerpflichtigen Einspruch eingelegt werden. Der Einspruch kann aber zwingend nur mit einem Sachverständigengutachten begründet werden. Was dabei zu beachten ist, legt der nachfolgende Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder vom 7.12.2022 fest:
Gleich lautende Erlasse betr. Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts; Anwendung des § 198 BewG in der Fassung des Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetzes vom 16. Juli 2021 (BGBl. I S. 2931)
Vom 7. Dezember 2022 – Oberste Finanzbehörden der Länder S 3229; S 3014 -(BStBl. I S. 1671)
I. Allgemeine Grundsätze
Abweichend von der Wertermittlung nach den §§ 179 und 182 bis 196 BewG ist der niedrigere gemeine Wert (Verkehrswert/Marktwert) am Bewertungsstichtag festzustellen, wenn der Steuerpflichtige diesen nachweist (§ 198 BewG). Den Steuerpflichtigen trifft die Nachweislast für einen niedrigeren gemeinen Wert und nicht eine bloße Darlegungslast. Mit der bloßen Vorlage von Auszügen aus der Kaufpreissammlung kann ein niedrigerer gemeiner Wert nicht nachgewiesen werden.
Der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann für die nach §§ 179 und 182 bis 196 BewG bewerteten wirtschaftlichen Einheiten geführt werden, wobei der Nachweis die jeweils gesamte wirtschaftliche Einheit umfassen muss. Bei Grundstücken im Zustand der Bebauung ist der Verkehrswertnachweis für die gesamte wirtschaftliche Einheit unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten zulässig.
II. Sachverständigengutachten
Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann ein Gutachten dienen. Das Gutachten ist
–vom zuständigen Gutachterausschuss i.S.d. §§ 192 ff. des Baugesetzbuchs,
–von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken oder
–von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind,
zu erstellen.
Die nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten deutschen Zertifizierungsstellen für Sachverständige für die Wertermittlung von Grundstücken und deren Akkreditierungsumfang sind tagesaktuell auf der Internetseite der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) dargestellt. Im europäischen Ausland akkreditierte Zertifizierungsstellen sind über die Internetseite der Europäischen Kooperation für Akkreditierung (EA) in Verbindung mit den Internetseiten der nationalen Akkreditierungsstellen abrufbar.
Die öffentliche Bestellung oder Zertifizierung muss im Zeitpunkt der Erstellung des Sachverständigengutachtens gegeben sein. Im Rechtsbehelfsverfahren kann ein erneutes Gutachten eingereicht werden, das die Anforderungen an die Qualifikation des Gutachters erfüllt.
Die Nachweislast des Steuerpflichtigen umfasst auch den Qualifikationsnachweis des Gutachters.
Das Gutachten ist für die Feststellung des Grundbesitzwerts nicht bindend, sondern unterliegt der Beweiswürdigung durch das Finanzamt. Enthält das Gutachten Mängel (z.B. methodische Mängel oder unzutreffende Wertansätze), ist es zurückzuweisen; ein Gegengutachten durch das Finanzamt ist nicht erforderlich. Zur Ordnungsmäßigkeit eines Sachverständigengutachtens gehören methodische Qualität und eine zutreffende Erhebung und Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen. Für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts durch ein Gutachten gelten die auf Grund des § 199 Abs. 1 BauGB erlassenen Vorschriften (Immobilienwertermittlungsverordnung – ImmoWertV). Nach Maßgabe dieser Vorschriften sind sämtliche wertbeeinflussenden Umstände zur Ermittlung des gemeinen Werts (Verkehrswerts) von Grundstücken zu berücksichtigen. Hierzu gehören auch die den Wert beeinflussenden Rechte und Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art, wie z.B. Grunddienstbarkeiten und persönliche Nutzungsrechte. Mit Ausnahme des Nachweises der üblichen Miete (> R B 186.5 Abs. 5 ErbStR 2019) kommt ein wertmindernder Nachweis zu einzelnen in den §§ 179 und 182 bis 196 BewG enthaltenen Bewertungsgrundlagen, z.B. hinsichtlich der Bewirtschaftungskosten, nicht in Betracht.
III. Stichtagsnaher Kaufpreis
Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann gem. § 198 Abs. 3 BewG auch ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück dienen, wenn die maßgeblichen Verhältnisse hierfür gegenüber den Verhältnissen am Bewertungsstichtag unverändert sind. Maßgeblich für die jeweilige Jahresfrist ist das Datum des notariellen Kaufvertrages.
Eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids über die Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt nur in Betracht, wenn das Grundstück schon vor der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung verkauft wurde, der Verkauf dem für die Feststellung zuständigen Bediensteten des Finanzamts beim Erlass des Feststellungsbescheides jedoch nicht bekannt war und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsache trifft. Wird der Grundstückskaufvertrag hingegen erst nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung abgeschlossen, liegt eine nachträglich entstandene Tatsache vor, die nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führt.
Eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids über die Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kommt in Betracht, wenn für das zu bewertende Grundstück nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung des Grundbesitzwerts und innerhalb eines Jahres nach dem Bewertungsstichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ein Kaufpreis zustande gekommen ist und sich die maßgeblichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des notariellen Kaufvertrages gegenüber den Verhältnissen am Bewertungsstichtag nicht verändert haben. Ein derartiger Kaufpreis hat durch das Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz vom 16. Juli 2021, veröffentlicht am 22. Juli 2021 im BGBl. I S. 2931, Eingang in den Tatbestand des § 198 Abs. 3 BewG gefunden. Ein derartiger Verkauf stellt somit ein Ereignis dar, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
IV. Konkurrenz zwischen Sachverständigengutachten und stichtagsnahem Kaufpreis
Liegen im Rahmen des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts gleichzeitig ein zeitnah zum Bewertungsstichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommener Kaufpreis und ein Sachverständigengutachten vor, ist der Grundbesitzwertfeststellung der Kaufpreis zugrunde zu legen. Der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr vereinbarte bzw. erzielte Kaufpreis liefert den sichersten Anhaltspunkt für den gemeinen Wert.
V. Anwendung
Der Erlass ist auf Bewertungsstichtage nach dem 22. Juli 2021 für alle offenen Fälle anzuwenden. Für Bewertungsstichtage vor dem 23. Juli 2021 sind weiterhin R B 198 ErbStR 2019 und die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Berücksichtigung von Sachverständigengutachten zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Grundbesitzwerts vom 2. Dezember 2020, BStBl. 2021 I S. 146, anzuwenden.