RGZ 67, 61: Ergänzungspfleger für Minderjährige bei Erbengemeinschaft

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RGZ 67, 61: Ergänzungspfleger für Minderjährige bei Erbengemeinschaft. Erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.

RGZ 67, 61: Ergänzungspfleger für Minderjährige bei Erbengemeinschaft

Die Entscheidung ist grundlegend für Fragen der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft bei der Minderjährige beteiligt sind. Der Minderjährige wird in der Regel durch einen Ergänzungspfleger vertreten. In der Bestallungsurkunde ist der Ergänzungspfleger regelmäßig nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.

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17. Müssen, falls zum Zwecke der Erbteilung das Gesamteigentum der Miterben an einem Nachlassgrundstück in Bruchteilseigentum umgewandelt werden soll, die beteiligten Minderjährigen durch mehrere Pfleger vertreten werden, oder ist die Vertretung durch nur einen Pfleger zulässig?
BGB § 181

V. Zivilsenat. Beschl. v. 9. November 1907 i.S. S.’sche Grundbuchsache. Beschw.-Rep. V 154/07.

I. Amtsgericht I München
II. Landgericht I daselbst

Gründe:

Der 1905 zu München verstorbene Schlossermeister S. hat als Erben hinterlassen seine Witwe, einen großjährigen Sohn und vier noch minderjährige Kinder. Die Erben haben sich durch notariellen Vertrag vom 2. Mai 1907 über das zum Nachlasse gehörige Anwesen auseinandergesetzt und bestimmt, dass dieses ihnen nach der Größe der Erbteile las Miteigentum zu Bruchteilen zustehen solle. Dementsprechend haben die Beteiligten die Auflassungserklärungen

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dahin abgegeben, dass das Eigentum zu 1/4 auf die Witwe und zu je 3/20 auf die fünf Kinder übergehen solle. Bei Abschluss des Vertrages und Abgabe der Auflassungserklärungen sind die vier minderjährigen Kinder durch einen Pfleger vertreten gewesen. Die Verhandlungen sind vormundschaftsgerichtlich genehmigt worden.

Das Amtsgericht München I hat durch Verfügung vom 13. Juli 1907 die beantragte Eintragung des Eigentumsübergangs abgelehnt, weil es nach § 181 BGB der Bestellung eines besonderen Pflegers für jedes der vier minderjährigen Kinder bedurft habe. Das Landgericht München I hat die von der Witwe und dem Pfleger eingereichte Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Es ist dann von der Witwe weitere Beschwerde beim bayerischen Obersten Landesgericht eingelegt. Auch dieses erachtet die Beschwerde für unbegründet und würde sie zurückweisen; es sieht sich hierin jedoch durch den Beschluss des Oberlandesgerichtes zu Colmar, mitgeteilt in der Rechtsprechung der Oberlandesgericht Bd. 6 S. 39, behindert und hat deshalb die weitere Beschwerde dem Reichsgericht vorgelegt.

In Übereinstimmung mit dem Obersten Landesgericht zu München muss die weitere Beschwerde für unbegründet erachtet werden.

Das Anwesen stand im Gesamteigentum der Erben, und dieses wollte durch den notariellen Vertrag in Bruchteilseigentum der einzelnen Erben umgewandelt werden. Den Gegenstand des Vertrages bildete daher eine teilweise Erbauseinandersetzung, und es bedurfte für die Umwandelung des Gesamteigentums in Bruchteilseigentum der Auflassung (Entsch. des RG’s in Zivilsachen Bd. 57 S. 432). Bei dem Vertrage wie bei der Auflassung gab der Pfleger als Vertreter eines jeden einzelnen Mündels die erforderlichen Erklärungen ab und nahm solche zugleich als Vertreter der übrigen Mündel entgegen. Er schloss jeden Rechtsgeschäfte mithin ab im Namen eines jeden einzelnen Mündels mit sich als gleichzeitigem Vertreter auch der übrigen Mündel. Dies war nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 181 BGB unstatthaft, sofern entweder:
a) dem Pfleger nicht ein anderes gestattet war
b) das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit bestand.

Dass die Vorschrift des § 181 auch für den Vormund und den Pfleger gilt, kann nicht zweifelhaft sein; beide sind „Vertreter“ des

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Mündels, da ihnen kraft Gesetzes „Vertretungsmacht“ zusteht. Überdies ist in § 1915 BGB bestimmt, dass auf die Pflegschaft die für die Vormundschaft geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung finden, und es ist dann in § 1795, nachdem zunächst für einzelne Fälle die Vertretungsbefugnis des Vormunds eingeschränkt, ausdrücklich hervorgehoben, dass im übrigen „die Vorschrift des § 181 BGB unberührt bleibe“. Es kann sich daher nur fragen, ob einer jeder beiden in § 181 BGB vorgesehenen Ausnahmefälle hier vorliegt. Auch dies ist zu verneinen.

Dem Pfleger war zunächst nicht „gestattet“, den Vertrag für die mehreren Mündel abzuschließen. Unerheblich ist der Umstand, dass der der Auflassung zugrunde liegende Vertrag vormundschaftsgerichtlich genehmigt wurde. Von der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung hing die Wirksamkeit des Vertrages ab (§ 182 BGB); die Genehmigung musste zur Erklärung des Vertreters hinzutreten; es bedurfte der genehmigten und genehmigenden Erklärung, wenn anders der Vertrag für die Mündel überhaupt wirksam werden sollte. Die Genehmigung erfüllte das Erfordernis des § 1822 Nr. 2 BGB; allein so wenig sie eine Anfechtung der Erklärung wegen eines Willensmangels hindern konnte, ebenso wenig konnte sie einen nach Lage der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften im Einzelfalle vorhandenen Mangel in der Vertretungsmacht beseitigen. Sondervorschriften, die dem vormundschaftlichen Gericht die Ermächtigung gäben, für die rechtsgeschäftliche Vertretung der mehreren Mündel eine Ausnahme von der Vorschrift der § 181 BGB zu gestatten oder durch die eigene Genehmigung dem Mangel abzuhelfen, enthält das Bürgerliche Gesetzbuch nicht. In dieser Beziehung ist insbesondere auch nicht die Vorschrift des § 1775 von Bedeutung, wonach der Regel nach für mehrere Geschwister nur ein Vormund bestellt werden soll; sie schließt nicht aus, dass verschiedene Vormünder oder Pfleger für die einzelnen Mündel bestellt werden müssen, sofern dies durch die Umstände des Falles geboten ist. Dies aber war vorliegend mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 181 a.a.O. der Fall. Bloße Zweckmäßigkeitsgründe können nach Lage der Gesetzgebung eine abweichende Auffassung nicht rechtfertigen. Nach Dernburg, der in seinem Bürgerlichen Bd. 1 S. 557 Anm. 5 die Ansicht des Oberlandesgerichts Colmar als zweckmäßig bezeichnet, betont, dass die

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Schranken des § 181 auch für die gesetzlichen Vertreter gelten, und er erklärt insbesondere in Bd. 4 S. 372 Anm. 8 bezüglich der Erbauseinandersetzung unter Geschwistern, dass jeder Teil einen besonderen Vertreter haben müsse. Die gleiche Auffassung wird durchweg auch sonst in der Literatur vertreten,

vgl. Planck, 3. Aufl. Bd. 1 S. 816, Bd. 3 S. 673; v. Staudinger, 2. Aufl. Bd. 1 S. 505; Goldmann u. Lilienthal, 2. Aufl. Bd. 1 S. 204,

und sie entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts

Vgl. Jahrb. für Entsch. des KG’s Bd. 2 A S. 34, 101, 280,, Bd. 23 A S. 89.

Eine abweichende Auffassung liegt auch nicht den Entsch. des RG’s in Zivils. Bd. 58 S. 299 und Bd. 61 S. 139 zugrunde. Hier handeltes sich für bestimmte Fälle um rechtsgeschäftliche Befugnisse des Testamentsvollstreckers, die aus dem mit der Anordnung der Testamentsvollstreckung vom Erblasser verfolgten Zwecke und damit auch dem Willen des Erblassers selbst hergeleitet wurden. Für den vorliegenden Fall können solche Erwägungen nicht Platz greifen.

Liegt hiernach der erste Ausnahmefall des § 181 nicht vor, so fehlt es weiter auch an den Voraussetzungen für den zweiten Ausnahmefall. Die Teilung des Anwesens bildete kein „Rechtsgeschäft, das ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit bestand“. Die gegenteilige Auffassung, die in der Deutschen Juristen-Ztg. 1902 S. 267 vertreten ist, findet im Gesetz keine Stütze. Das Anwesen stand im Gesamteigentum der Miterben; ein Anspruch auf Umwandelung in Bruchteilseigentum stand keinem Erben zu. Der einzelne Miterbe konnte lediglich zwecks Auseinandersetzung die Aufhebung der Gemeinschaft durch Zwangsversteigerung beanspruchen, nicht aber Zuteilung von Bruchteilseigentum (§§ 2042, 753 BGB). Sollte letzteres durch Vertrag und Auflassung geschaffen werden, so handelte es sich weder überhaupt noch ausschließlich um die Erfüllung einer Verbindlichkeit; es wurde nicht eine geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt (§ 362 BGB) und dadurch ein Schuldverhältnis zum Erlöschen gebracht.

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