Ergänzungspfleger, wenn der überlebende Elternteil Alleinerbe ist? Erklärt von Fachanwalt für Erbrecht Gerhard Ruby, Villingen, Rottweil, Radolfzell, Konstanz
Minderjährige: Ergänzungspfleger, wenn der überlebende Elternteil Alleinerbe ist?
Muss für ein minderjähriges Kind ein Ergänzungspfleger bestellt werden, wenn sein Vater verstorben ist und seine Mutter als der überlebende Elternteil zum Alleinerben eingesetzt ist, damit seine Pflichtteilsansprüche gesichert werden?
Eine Ergänzungspflegschaft ist nur anzuordnen, wenn der sorgeberechtigte Elternteil die Pflichtteilsansprüche gefährdet. Die Ergänzungspflegschaft umfasst auch dann in erster Linie nur die Sicherung des Pflichtteils, selbst wenn das Familiengericht die Pflegschaft zur Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs angeordnet hat. Ob und in welcher Höhe minderjährige Kinder, die gegenüber einem Elternteil pflichtteilsberechtigt sind, ihren Pflichtteil auch einfordern und durchsetzen, bleibt grundsätzlich ihnen nach Eintritt der Volljährigkeit überlassen und unterliegt nicht dem Ermessen des Pflegers oder des Vormundschaftsgerichts. Deren Aufgabe ist es, den Pflichtteilsanspruch, sofern er gefährdet ist, in der möglichen oder voraussichtlichen Höhe zu sichern, nur in Ausnahmefällen, ihn auch durchzusetzen.
Im einzelnen:
Das Kind kann nach § 2303 BGB von seiner Mutter, unter deren elterlicher Gewalt es nach § 1684 BGB steht, als der alleinigen Testamentserbin seines Vaters den Pflichtteil verlangen. Die Stellung dieses Verlangens ist keine Pflicht, sondern nur ein Recht des Kindes. Es bedarf daher der Prüfung ob ein Anlass zur Erhebung des Pflichtteilsanspruchs vorliegt. Die Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt ist an dieser Prüfung nicht gehindert. Die Entscheidung, ob der Pflichtteilsanspruch des Kindes geltend gemacht werden soll, ist weder ein Rechtstreit noch ein Rechtsgeschäft, an dessen Vornahme die Mutter nach § 181 BGB verhindert wäre. Es ist nur eine Angelegenheit, in der das Interesse der Kinder zu dem der Mutter als Inhaberin von der elterlichen Gewalt möglicherweise im erheblichen Gegensatz steht. Ein solcher Gegensatz schließt aber die Vertretung des Kindes durch die Mutter nicht von vorn herein aus. Er kann nur nach § 1796 BGB dem Familiengericht Veranlassung geben, der Mutter die Vertretung in dieser Angelegenheit zu entziehen. Die Pflegschaft nach § 1909 BGB könnte also nicht ohne weiteres, sondern nur dann angeordnet werden, wenn der Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt nach § 1796 BGB die Vertretungsmacht entzogen wäre. Dabei wird wohl anzuerkennen sein, dass, das Kind ein Interesse an der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs hat, und wenn die Mutter diese Verbindlichkeit nicht erfüllt, woran sie durch § 181 BGB nicht gehindert ist, ein erheblicher Interessengegensatz besteht. Dass aber das Kind ein Interesse an der Geltendmachung der Pflichtteilsforderung hat, bedarf besonderer Begründung und kann nicht nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen beurteilt werden. Bei normalen Verhältnissen erhalten die Kinder durch die Pflege des überlebenden Elternteils auf dessen Kosten und durch die spätere Beerbung desselben wirtschaftliche Vorteile, die dem Vorteil der Erlangung des Pflichtteilskapitals an Wert nicht nachstehen. Die Kinder genießen dadurch, dass der alleinerziehende Elternteile diese Vermögensvorteile freiwillig aus elterlicher Verbundenheit zuwendet, einen persönlichen Gewinn der beeinträchtigt werden kann, wenn das Kind im Widerspruch mit dem letzten Willen des verstorbenen Vaters die Mutter zwingt, ihm ein Kapital auszuzahlen und sich dadurch auf einen formellen Rechtstandpunkt zu stellen, wie ihn Fremde gegeneinander einnehmen. Auch rein wirtschaftlich können bei normalen Verhältnissen die dem Kind durch die Auszahlung des Kapitals erwachsenen Vorteile geringer sein, als die Vorteile, die es haben würde, wenn das Vermögen ohne Abzug als Grundlage für die Fortsetzung des gemeinschaftlichen Haushalts in der Hand der Mutter bleibt, und dann später im Wege der Erbfolge oder als lebzeitige Zuwendung auf die Kinder übergeht. Auf diesen Gesichtspunkten beruht auch der weit verbreitete Übung, nach welcher Ehegatten zugunsten des überlebenden Ehegatten Testamente errichten, durch welche das Pflichtteilsrecht der Kinder verletzt wird. Das Gesetz selbst hat diese Sitte in § 2269 BGB als bestehend anerkannt. Es wird also wesentlich darauf ankommen, ob die Mutter das durch das Testament des Vaters in sie gesetzte Vertrauen nach Charakter, Lebens- und Wirtschaftsführung verdient, oder ob Besorgnis besteht, dass die etwa später angezeigte Erhebung und Verwirklichung des Pflichtteilsanspruchs gefährdet sein würde, wenn er nicht jetzt schon gesichert wird. Aus der kurzen, dreijährigen Verjährungsfrist folgt diese Besorgnis übrigens nicht, da die Verjährung der Ansprüche zwischen Eltern und Kinder nach § 207 Abs. 1 Nr. 2 BGB bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Kindes gehemmt ist. Es wird sich aber in diesen Fällen empfehlen, dem Kind nach erreichter Volljährigkeit von dem Rechtsverhältnis und dem ihnen zustehenden Pflichtteilsanspruch Kenntnis zu verschaffen.
Normalerweise haben die Eltern das ihrer Verwaltung unterliegende Kindesvermögen, das das Kind erbt, zu verzeichnen. Ist der überlebende Ehegatte zum Alleinerben eingesetzt trifft ihn diese Pflicht für den Pflichtteil nicht. Allerdings könnten die Kinder ihren Pflichtteil geltend machen und zu diesem Zweck Auskunft über den Nachlass vom Erben gemäß § 2314 BGB verlangen. Allein der Anspruch auf den Pflichtteil besteht lediglich in einem obligatorischen Anspruch gegen den Erben auf Zahlung einer Geldsumme. welche der Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils entspricht. Solange nicht ein nach § 1909 BGB für das Kind bestellter Ergänzungspfleger auch tatsächlich den Pflichtteil verlangt, solange kann auch kein Vermögen des Kindes verzeichnet werden.
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