Corpus Iuris Civilis. Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby
Corpus Iuris Civilis
Man könnte sagen er ist die Bibel der Juristen. Es ist ein um 500 geschriebenes oströmisches Gesetzeswerk, in dem gerade auch das Erbrecht eine wichtige Rolle spielt (siehe unten). Der Corpus Iuris Civilis (C.I.C.) ist das Ergebnis einer gut 1000jährigen Rechtsentwicklung im alten Rom. Das Studium des Römischen Rechts bzw. des C.I.C. führt zu einem vertieften Verständnis, weil es die Wurzel des heutigen Rechts ist
Viele moderne gesetzliche Regelungen gehen auf die antiken Römer zurück. Der Corpus Iuris Civilis, eine rund 1500 Jahre alte Rechtsammlung überrascht durch ihre Modernität. Selbst die heutigen Gesetzbücher in Lateinamerika und Ostasien fußen auf diesem Werk. Wird heute in Japan, Korea oder China Recht gesprochen, fußt dies zum großen Teil auf Regelungen des antiken Rom. Denn Asien orientiert sich in seinen Rechtsordnungen an westlichen Standards – und die europäische Rechtstradition wurzelt im Römischen Recht, dessen Leitbegriffe – wie Freiheit, Schutz der Persönlichkeit und des Eigentums, Vertragstreue etc. – auch die unseren sind. Rund 80 Prozent der Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegt Römisches Recht zugrunde
Das Gesetzeswerk wurde im Auftrag des oströmischen Kaisers Justinian zwischen 528 und 534 n. Chr. unter Bezug auf wesentlich ältere Quellen zusammengestellt. Den ersten Teil bilden die „Institutionen“, ein Lehrbuch, das nach der Zahl der Auflagen zum führenden Dutzend der Weltliteratur gehört. Die „Digesten“, was etwa „Geordnete Sammlung“ bedeutet, sind mit ihren 50 Büchern das Herzstück des Corpus Iuris. Sie bestehen aus Fragmenten rechtswissenschaftlicher Schriften aus der Zeit von ca. 100 vor bis 300 nach Christus. Sie formulierten Rechtsfragen und -lösungen konzentriert in wenigen Zeilen. Unsere Zeit umit ihren Gesetzen und Urteilen ist viel geschwätziger. Die heutige Rechtsprechung braucht meist viele Seiten.
Das „Corpus Iuris Civilis“ (zu deutsch: „Körper oder Bestand des zivilen Rechts“) geriet über Jahrhunderte in Vergessenheit; es erfuhr Ende des 11. Jahrhunderts ausgehend von Bologna eine Renaissance und erlangte maßgebliche Bedeutung in fast ganz Europa; in Teilen Deutschlands galt es bis 1900. Im Gegensatz zum Germanischen Recht, das etwa mit Gottesurteilen arbeitete, gingen die römischen Juristen rational vor. Sie prüften genau, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit eine bestimmte Rechtsfolge eintritt.
Auch das Erbrecht kommt im Corpus Iuris nicht zu kurz. Es handelt sich dabei um die Übersetzung der Digestenbücher 28 bis 34, die das römische Erbrecht zum Gegenstand haben. Von dem, der testiert, ist für die Zeit der Testamentserrichtung Vollbesitz seiner Geisteskraft, nicht aber körperliche Gesundheit zu verlangen. Diese Aussage, die vor rund 2.000 Jahren getroffen wurde, wirkt auch heute noch modern. Hier sind die Formen des heutigen Erbrechts bereits vorgebildet. Teilweise waren die Regeln unbürokratischer als heute: Wer nach dem Römischen Recht etwas vererben wollte, konnte das durch mündliche Erklärung vor Zeugen tun. Auch heute noch gilt ein weiteres Prinzip aus dem antiken Rom: Es muss immer nach dem ernsthaften Willen des Erblassers entschieden werden. Wenn das nicht möglich ist, muss eine Lösung gefunden werden, die seinem Willen möglichst nahe kommt. Übrigens findet römisches Recht seit langem auch beim Europäischen Gerichtshof Beachtung.
Vom Corpus Iuris Civilis sind so entscheidende und nachhaltige Einflüsse auf die weltweite Rechtsentwicklung ausgegangen wie von keinem anderen Gesetzgebungswerk. Nicht nur Juristen sehen es nach der Bibel sogar als das wichtigste „Buch“ des Abendlandes an. Derzeit wird der C.I.C. gerade neu ins Deutsche übersetzt. Eine in deutsch bereits vorliegende Übersetzung ist rund 180 Jahre alt und nicht auf dem neuesten Stand der Rechtsforschung. Die Krupp-Stiftung förderte dieses Langzeitprojekt zur Übersetzung des Corpus Iuris Civilis bislang mit 465.000 Euro und unterstützt die wissenschaftliche Arbeit noch bis zum Jahr 2020.