Pflichtteil: Unternehmensbewertung und latente Steuerlast

■ Pflichtteil: Fiktion der Geldverwertung

Nach obergerichtlicher Rechtsprechung (z. B. OLG Hamm, Beschl. v. 22.04.2013, 10 U 149/12) ist bei der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs stets zu unterstellen, dass der Nachlass in Geld umgesetzt wird. Es kommt daher nicht auf den tatsächlichen Verbleib der Nachlassgegenstände beim Erben an, sondern auf deren hypothetischen Veräußerungswert. Dies hat Konsequenzen für die Bewertung – insbesondere im Hinblick auf „latente Steuern“.

■ Was sind latente Ertragsteuern?

Latente Ertragsteuern sind Steuerlasten, die sich im Falle einer fiktiven Veräußerung des Nachlasses ergeben würden – insbesondere durch die Aufdeckung stiller Reserven. Solche stillen Reserven sind Differenzen zwischen Buchwert und tatsächlichem Verkehrswert (z. B. bei Immobilien, Unternehmensbeteiligungen oder Wertpapieren).

■ Latente Steuern beim Pflichtteil abzugsfähig?

Die Rechtsprechung ist hierzu uneinheitlich:

  • Der BGH (vgl. NJW 2005, 1648) sieht latente Steuern grundsätzlich nicht als Abzugsposition beim Pflichtteil.
  • Das OLG Hamm (u. a. BeckRS 2012, 8586) und das OLG München vertreten hingegen, dass latente Ertragsteuern im Rahmen der Pflichtteilsberechnung in Abzug zu bringen sind, da eine fiktive Veräußerung zu unterstellen sei.

■ Unternehmensbewertung gemäß IDW S 13

Der IDW S 13 regelt die Unternehmensbewertung zur Bestimmung von Ansprüchen im Familien- und Erbrecht. Danach:

  • Ist bei einer fiktiven Veräußerung auch eine latente Steuerbelastung zu berücksichtigen.
  • Zusätzlich zu berücksichtigen: Ein etwaiger abschreibungsbedingter Steuervorteil beim Erwerber, der aus erhöhten Anschaffungskosten resultiert, kann werterhöhend wirken.

■ Bewertungsmethode entscheidend

Nach der h. M. in Rechtsprechung und Literatur kommt es auf die Wahl der Bewertungsmethode an:

  • Bei der Ertragswertmethode mit Fortführungsprognose: Keine latente Steuerlast.
  • Bei der Vergleichswert- oder Liquidationsmethode: Abzug latenter Steuern angemessen.
  • Entscheidend ist, ob der Bewertungsansatz auf einem Verkauf zum Erbfallzeitpunkt basiert.

■ Beispiel

Eine nicht selbstgenutzte Immobilie (Anschaffungspreis: 200.000 €) ist am Todestag 600.000 € wert.

  • Fiktiver Veräußerungsgewinn: 400.000 €
  • Einkommensteuerpflichtiger Gewinn (bei Verkauf binnen 10 Jahren): 400.000 € x 42 % = 168.000 €
  • Latente Steuerlast: 168.000 €, die den Pflichtteilswert mindern können.

■ Fazit

Es ist stets der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls gemäß § 2311 Abs. 1 BGB zu bestimmen. Dabei ist auf eine fiktive Veräußerung abzustellen. Latente Steuerlasten sind daher unter bestimmten Umständen pflichtteilsrelevant. Sie müssen jedoch gegen mögliche Steuervorteile aufgerechnet werden.

Praxistipp für Anwälte: Der steuerliche Effekt kann erheblich sein. Eine detaillierte Bewertung unter Hinzuziehung eines Gutachters nach IDW S 1 bzw. S 13 ist dringend zu empfehlen. Ob und in welcher Höhe latente Steuern abzugsfähig sind, hängt immer vom Einzelfall ab.

Fanden Sie diesen Artikel hilfreich?

Erbrechtkanzlei Ruby – Wir machen nur Erbrecht – Wir helfen Ihnen – Überall in Deutschland – Tel. 07721 / 9930505

Wichtig: Auch wenn sich auf unserer Homepage vieles für Sie einfach darstellen mag, fehlt auch dem intelligentesten Laien der Gesamtüberblick im Erbrecht. Oft werden schwierigste Punkte, die scheinbar im Vordergrund stehen, verstanden, grundlegende andere Probleme, die für den konkreten Fall wirklich entscheidend sind, aber gar nicht gesehen. Wir empfehlen Ihnen daher, unsere günstige Erstberatung, bei der sie auf jeden Fall eine Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung kostenlos erhalten. Sparen Sie nicht am falschen Ort. Oft müssen die Erben später viele Jahre prozessieren und Zigtausende an Anwalts- und Gerichtskosten zahlen, nur weil der Erblasser die geringen Erstberatungskosten sparen wollte.

Das könnte Sie auch interessieren