Ergänzende Testaments- oder Erbvertragsauslegung. Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht, Süddeutschland
Keine ergänzende Testamentsauslegung ohne Andeutung
Ergänzende Testaments- oder Erbvertragsauslegung
Frage:
Mein Mann ist 1999 verstorben. Seine Tante ist 1989 verstorben. Die Tante hatte meinen Mann und mich zu Nacherben eingesetzt. Die Tante war in zweiter Ehe mit dem 1944 verstorbenen H verheiratet. Aus der Ehe der Tante mit ihrem zweiten Ehemann H ging der 1931 geborene, im Jahr 2011 ledig und kinderlos verstorbene A hervor. A stand unter Betreuung und war nicht testierfähig. Die Tante und ihr zweiter Ehemann H schlossen 1940 einen Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und als Erben des Überlebenden einen Sohn der Erblasserin aus erster Ehe (1945 ledig und kinderlos vorverstorben), ferner den gemeinsamen Sohn A und etwaige weitere gemeinsamen Kinder einsetzten.
1988 errichtete die Tante ein Testament, in dem sie A zum nicht befreiten Vorerben sowie meinen Mann als ihren Neffen und mich zu Nacherben einsetzte. Wie gesagt, ist mein Mann 1999 verstorben. Ich habe einen Alleinerbschein beantragt, der mich als Alleinerbin mit dem Zusatz ausweist, dass der Nacherbfall durch den Tod des Vorerben A im Jahr 2011 eingetreten ist. Dieser Antrag wurde vom Nachlassgericht zurückgewiesen. Kann das richtig sein?
Antwort:
Ja, die Zurückweisung Ihres Antrags ist korrekt. Es ist davon auszugehen, dass die Tante als Erblasserin mit ihrem Testament eine Beschränkung des A auf eine Position als Vorerbe nicht mehr vornehmen konnte, § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Erbeinsetzung des Sohnes A im Erbvertrag aus dem Jahr 1940 war eine vertragsmäßige Verfügung, die durch die Einsetzung zum Vorerben nicht mehr geschmälert werden durfte. Eine ergänzende Auslegung des Testaments zur Schließung der Lücke, die dadurch entstand, dass die spätere geistige Behinderung des Sohnes A nicht vorausgesehen wurde, und die Eheleute daher anders testiert hätte, scheidet aus, wenn im wenn im Erbvertrag kein Anhalt bzw. keine Andeutung dafür vorhanden ist. Den Eheleuten ist es ersichtlich auf eine gleichmäßige Erbeinsetzung ihrer Kinder angekommen. Es liegt zwar nahe, dass die Eheleute anders verfügt hätten, wenn sie die spätere Entwicklung vorausgesehen hätten. Es fehlt jedoch eine Andeutung im Erbvertrag, wie sie bei entsprechender Kenntnis testiert hätten. Daher scheidet eine ergänzende Erbvertragsauslegung aus. Die mangelnde Vereinbarung einer Abänderungsbefugnis des überlebenden Ehegatten kann nicht durch eine ergänzende Vertragsauslegung umgangen werden.
Tipp:
Lesen Sie OLG Düsseldorf vom 6. 12. 2011, 3 Wx 261/11