Verjährungsgefahr für pflichtteilsrechtliche Ansprüche wegen Stillstand des Verfahrens bei Stufenklage
Die Stufenklage bei Pflichtteilansprüchen gehört zum Standardrepertoire des Fachanwalts für Erbrecht. Mit der Stufenklage ist die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs zuerst einmal gehemmt. Eingeklagt wird auf der ersten Stufe die Auskunft über den Nachlass, z.B. durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisse. Auf der zweiten Stufe die Wertermittlung und auf der dritten Stufe die Zahlung. Jede Stufe ist sozusagen ein eigener Prozess, aber alle werden Stufen werden zusammen eingereicht. Auch die Verjährung der noch unbezifferten Zahlungsstufe (wie hoch ist der mit der Klage verlangte Pflichtteil?) wird mit Klageeinreichung gehemmt.
Stolz hält der Anwalt das Teilurteil über die erste Stufe in Händen, mit denen der Erbe zur Auskunftserteilung mittels eines notariellen Nachlassverzeichnisses verurteilt wurde. Aber schon beginnen die Probleme. Der Verurteilte findet keinen Notar, der bereits ist das Nachlassverzeichnis zu erstellen oder aber der endlich gefundene Notar bietet einen Termin zur Aufnahme erst in 12 Monaten an. So sieht das in der Praxis leider aus.
Rechtlicher Hintergrund
Nun ist es so, dass die Stufenklage die Verjährung hemmt. Allerdings nicht dauerhaft, wie ein Blick ins Gesetz zeigt:
§ 204 BGB Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung
(1) Die Verjährung wird gehemmt durch
1. die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils,
…
(2) Die Hemmung nach Absatz 1 endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. …
Bedeutet das in unserem Fall, dass sechs Monate nach der Rechtskraft des Teilurteils zur Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses die Verjährung weiterläuft, obwohl der Notartermin doch erst viel später stattfindet?
Zu dieser Frage hat das
Landgericht Stade
in einem Urteil v. 7.1.2014 – 4 O 140/10 – Stellung genommen; und dieses Urteil hat es in sich.
Der vom LG Stade entschiedene Sachverhalt
Die Ehefrau E war verstorben (Todestag 13.8.2008). Sie hatte mit dem Witwer zwei gemeinsame Töchter. Der verwitwete Ehemann und seine verstorbene Frau hatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin war der Witwer zum alleinigen Vorerben der Ehefrau eingesetzt. Die beiden Töchter sollten nach seinem Tod Nacherben der Ehefrau werden.
Kurz vor ihrem Tod hatte die Ehefrau ein Grundstück zum Preis von 70.000 € an eine ihrer Töchter (A) verkauft. Der Kaufpreis wurde von der Tochter A auf das Konto des Vaters, also des späteren Witwers überweisen, was die Tochter A am 25.11.08 erfuhr.
Die zweite Tochter B war nach dem Tod der Mutter der Meinung, die Überweisung der 70.000 € sei rechtlich als Schenkung der Mutter zu qualifizieren. Am 14.4.2010 reichte die A ein Prozesskostenhilfegesuch für eine Stufenklage beim Landgericht ein. Tochter A verklagte den Vater im Wege der Stufenklage zunächst auf Auskunft.
Der Vater wurde im Wege der Stufenklage auf erster Stufe verurteilt:
„(…) Auskunft über den Bestand des Nachlasses der E zu erteilen, und zwar durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses, das im Einzelnen umfasst: (…)“
Das Urteil ist dem Bevollmächtigten des Vaters am 9.8.10 zugestellt worden. Am 6.9.10 beantragte die klagende Tochter A. die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils mit Zustellungsvermerk. Am 6.9.10 zeigte Rechtsanwalt und Notar …(N), gegenüber dem Gericht an, dass der Bekl. ihn mit der Erstellung eines notariellen Verzeichnisses beauftragt habe, weshalb er Einsichtnahme in die Verfahrensakten beantragte, die ihm antragsgemäß gewährt wurde. Mit weiteren Schriftsätzen vom 11.10. und 22.11.2011 bat N darum, ihm auch die Verfahrensakten zu einem beim Amtsgericht für die verstorbene E geführten Betreuungsverfahren zu übersenden, die dem Landgericht Stade jedoch nicht vorlagen, was N bereits am 13.10.2010 mitgeteilt worden war.
Mit einem am 3.6.13 beim Landgericht Stade eingegangenen Schriftsatz vom 30.5.13 erklärte die Tochter A., den beklagten Vater. von auf der Grundlage des vom Notar erstellten Nachlassverzeichnisses vom 11.9.2012 auf Zahlung des von ihr errechneten Pflichtteilsergänzungsanspruchs in der zweiten Stufe in Anspruch zu nehmen.
Der Vater berief sich darauf, dass ein etwaig bestehender Zahlungsanspruch verjährt sei.
Hier noch einmal die für die Verjährung entscheidenden Daten:
- 13.8.08 Todestag der Erblasserin
- 25.11.08 Die A erfährt vom Verkauf des Grundstücks der Mutter und Zahlung des Kaufpreises an den Vater
- 14.4.2010 Prozesskostenhilfegesuch der A für die Stufenklage
- 9.8.10 Das Teilurteil der ersten Stufe der Stufenklage auf Auskunft ist dem Bevollmächtigten des Vaters zugestellt worden
- 6.9.10 Tochter A beantragt die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils mit Zustellungsvermerk.
- 6.9.10 Notar N zeigt gegenüber dem Gericht an, dass der Vater ihn mit der Erstellung eines notariellen Verzeichnisses beauftragt habe, weshalb er Einsichtnahme in die Verfahrensakten beantragte, die ihm antragsgemäß gewährt wurde.
- 11.10. und 22.11.11 N bittet das Landgericht darum, ihm auch die Verfahrensakten zu einem beim Amtsgericht für die verstorbene E geführten Betreuungsverfahren zu übersenden, die dem Landgericht Stade natürlich nicht vorlagen, was N bereits am 13.10.2010 mitgeteilt worden war.
- 3.6.13 Die Tochter ruft die zweite Stufe der Stufenklage beim Landgericht Stade Auf Zahlung des Pflichtteils an
- nach dem 3.6.13: Vater beruft sich auf die Einrede der Verjährung
Das Urteil des LG Stade
Das Landgericht Stade wies die auf zweiter Stufe erhobene Stufenklage auf Zahlung des Pflichtteils- bzw. des Pflichtteilsergänzungsanspruchs als unbegründet ab. Der Vater habe sich gegenüber seiner Tochter zu Recht auf die Einrede der Verjährung berufen.
Warum waren die Pflichtteilsansprüche verjährt?
Nach dem Gesetz verjährt der Pflichtteilsanspruch in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Pflichtteilsberechtigte von dem Eintritt des Erbfalls und von der ihn beeinträchtigenden Verfügung Kenntnis erlangt. Die Tochter hatte am 25.11.08 Kenntnis vom Tod ihrer Mutter sowie der Veräußerung des Grundstücks und der Überweisung des Kaufpreises an ihren Vater., womit die 3-jährige Verjährungsfrist in Lauf gesetzt worden ist.
Durch das Prozesskostenhilfegesuch der A vom 14.4.2010 wurde die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB gehemmt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren 16 Monate und 20 Tage verstrichen.
Nach § 204 Abs. 2 S. 1, 2 BGB endet die Hemmung 6 Monate nach der letzten Verfahrenshandlung, wenn das Verfahren in Stillstand geraten ist. Die Vorschrift greift nur dann nicht, wenn für das Untätigbleiben des Berechtigten ein triftiger Grund vorliegt und dieser für den anderen Teil erkennbar ist. Dabei kommt es im Interesse der Rechtssicherheit auf die nach außen erkennbar werdenden Umstände des Verfahrensstillstands im Verantwortungsbereich der Parteien an. Für einen triftigen Grund reicht es nicht aus, wenn eine Partei ohne Vorliegen weiterer besonderer Umstände lediglich wegen außergerichtlicher Verhandlungen das Verfahren nicht weiter betreibt. Stillstand durch Nichtbetreiben liegt vor, wenn die Parteien die zur Förderung des Verfahrens notwendigen Handlungen nicht vornehmen und das Verfahren dadurch faktisch in Stillstand gerät – z. B. der Anspruch nach Erledigung der 1. Stufe nicht weiter verfolgt wird. Die Hemmung beginnt erneut, wenn eine der Parteien das Verfahren weiter betreibt.
Nachdem das Teil-Urteil vom 3.8.2010 dem Anwalt der klagenden Tochter A am 9.8.2010 zugestellt worden war und sie mit weiterem Schriftsatz vom 6.9.2010 die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils beantragt hatte, vergingen bis zum 9.2.2011 zunächst 6 Monate, innerhalb derer die Parteien keine Schriftsätze einreichten. Erst nach Ablauf von fast 28 weiteren Monaten ging am 3.6.2013 der Schriftsatz der Kl. vom 30.5.2013 beim Gericht ein, mit dem der Zahlungsanspruch auf der zweiten Stufe angekündigt worden ist. Zu diesem Zeitpunkt war die zwischenzeitlich durch das PKH-Gesuch vom 14.4.2010 gehemmte Verjährungsfrist von 3 Jahren allerdings abgelaufen.
Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses spielt keine Rolle
Dem Eintritt der Verjährung steht nicht entgegen, dass der Auskunftsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten erst mit Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses am 4.4.2013 erfüllt worden ist. Dies deshalb, weil der BGH entschieden hat, dass der im Wege einer Stufenklage geltend gemachte Leistungsanspruch nur solange nicht verjährt, wie die Vollstreckung aus dem Titel über einen Hilfsanspruch betrieben wird oder über eine Vollstreckungsabwehrklage noch nicht abschließend entschieden ist. Die Klägerin hat hier aber gerade nicht die Zwangsvollstreckung betrieben; sie hat es vielmehr dem Bekl. überlassen, das erforderte Nachlassverzeichnis erstellen zu lassen und ihr zu übermitteln.
Weiterbetreiben des Verfahrens durch Notar?
Die mit Schriftsätzen vom 11.10. und 22.11.2011 durch den Notar erhobenen Einsichtsgesuche in die Betreuungsakten sind nicht als ein Weiterbetreiben des Verfahrens i. S. von § 204 Abs. 2 S. 3 3 BGB zu werten, das eine weitere Hemmung auslösen könnte. Denn ersichtlich betrafen diese Schriftsätze nur den Auskunftsanspruch. Das Verfahren betreffend den Auskunftsanspruch war aber durch das Teil-Urteil vom 3.8.2010 abgeschlossen.
Verjährungseinrede rechtsmissbräuchlich?
Die Klägerin konnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es dem Beklagten (Vater) nach § 242BGB oder aus anderen Rechtsgründen verwehrt sei. sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen. Es war der klagenden Tochter A nämlich unbenommen, über die außergerichtlichen Bemühungen ihrer Bevollmächtigten hinaus, den vom Bekl. beauftragten Notar zur Erstellung und Übersendung des Nachlassverzeichnisses anzuhalten, die Zwangsvollstreckung aus dem Teil-Urteil vom 3.8.2010 zu betreiben oder andere Maßnahmen gegenüber dem Beklagten und dem Gericht zu ergreifen, um das Verfahren nicht in Stillstand geraten zu lassen. Der Beklagte hat die Klägerin weder in treuwidriger Weise „vertröstet noch sie auf andere Weise davon abgehalten, weitere Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen und z. B. die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Ein treuwidriges Verhalten des Vaters liegt nicht darin, dass er selbst sich nach der Beauftragung des Notars nicht weiter darum bemüht hat, das Nachlassverzeichnis zeitnäher erstellen und der Klägerin übersenden zu lassen.