1. Widerruf einer Schenkung nach dem Tode des Schenkers durch den Nachlaßpfleger.

A.L.R. I. 11. H. 1090.

  • Begriff der belohnenden Schenkung.

V. Civilsenat. Urt. v. 13. Januar 1886 i. S. des W.’schen Nachlaß­pflegers (Kl.) w. K. (Bekl.) Rep. V. 150/85.

  1. Landgericht Breslau.
  2. Oberlandesgericht daselbst.

Der Pastor emer. W. zu Breslau hat einige Tage vor seinem Tode der Beklagten nach ihrer Behauptung zwei Pakete mit Wert­papieren geschenkt. Sie bezeichnet die Schenkung als eine belohnende für dem W. längere Zeit hindurch gewährte Pflege und Dienstleistungen. Der Pfleger des W.’schen Nachlasses führt dagegen aus, daß nur eine reine Schenkung vorliege. Er hat diese vor Ablauf von sechs Mo­naten nach dem Tage der Schenkung widerrufen, und klagt auf Her­ausgabe der Papiere.     .

Der Berufungsrichter nimmt ebenfalls an, daß es sich nicht um eine belohnende Schenkung handelt. Er entscheidet weiter, daß dem

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Nachlaßpfleger der Widerruf einer Schenkung des Erblassers nicht zu­steht. Den Beweis der behaupteten Schenkung erachtet er bis zum richterlichen Eide für die Beklagte geführt, und macht von der Ab­leistung desselben die Entscheidung der Sache abhängig.

Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufgehoben, und die Sache in die zweite Instanz zurückverwiesen.       .

Aus den Gründen:

„Die Beschwerde des Klägers wegen Verletzung des §. 1090 A.L.R. I. 11 durch den Berufungsrichter muß für begründet erachtet werden. Das frühere preußische Obertribunal hat in konstanter Praxis angenommen, daß die Vorschrift dieses Gesetzes nicht von dem Wider­rufe einer in jeder Beziehung gültigen Schenkung zu verstehen ist, son­dern den Aufruf einer außergerichtlich abgeschlossenen und durch Über­gabe vollzogenen, also einer nicht im Sinne des §. 1063 A.L.R I. 11 förmlichen Schenkung gestattet. Bei dieser Annahme erscheint auch die vom Obertribunale gezogene Konsequenz, daß sowohl die Erben als der Nachlaßpfleger innerhalb der vom Gesetze bestimmten Frist von sechs Monaten zur Ausübung des Widerrufes befugt sind, zutreffend. Das , Reichsgericht hat bereits in mehreren Entscheidungen seine Übereinstim­mung mit der Ansicht des Obertribunales unter näherer Begründung und Hinweis auf die Ausführungen des letztgedachten höchsten Gerichts­hofes ausgesprochen.

Vgl. Gruchot, Beiträge Bd. 26 S. 971 und Entsch. des R.G.’s in Civilst Bd. 12 S. 289.     .

Diese Ansicht zu verlassen, ist trotz erneuerter Prüfung der Streitfrage nicht für richtig erachtet worden. In betreff der Begründung wird auf das Urteil des IV. Civilsenates

vgl. Entsch. des R.G.’s in Civilst Bd. 12 S. 289 verwiesen.

Danach erscheint der Entscheidungsgrund, auf welchem das Be­rufungsurteil beruht, hinfällig, und es muß die Aufhebung desselben erfolgen. Eine definitive Entscheidung in der Sache selbst konnte jedoch vom Reichsgerichte noch nicht getroffen werden, weil der Beklagten darin beizustimmen ist, daß die Ausführungen, mit welchen der Berufungs­richter ihren Anspruch als remuneratorische Schenkung verwirft, gegen .Rechtsgrundsätze verstoßen.

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Die Beklagte behauptet, der verstorbene Pastor W. habe seit den langen Jahren ihrer Bekanntschaft in nahen persönlichen Beziehungen zu ihr gestanden; W. habe sich keinen Dienstboten gehalten, die Rei­nigung seiner Wohnung, seiner Wäsche sei von ihr unentgeltlich ge­schehen, sie habe ihn an- und ausgezogen, in Krankheitsfällen ihn gepflegt, ihn die Abende in ihre Wohnung aufgenommen; auch habe er niemand anders als sie — die Beklagte — in seine Wohnung gelassen; W. habe mehrfach ausgesprochen, daß er ihr für ihre Pflege außer­ordentlich dankbar sei, für sie und ihre Kinder sorgen und ihnen sein ganzes Vermögen zuwenden werde. Dasselbe Motiv für die Schenkung habe er auch bei Hingabe der drei Pakete mit Wertpapieren am 5. Juni 1884 ausdrücklich angegeben.

Der Kläger hat diese Anführungen bestritten, glaubt auch nicht, daß damit die Voraussetzungen für eine remuneratorische Schenkung gegeben sind. Der Berufungsrichter ist dieser Ansicht beigetreten. Er verwirft die Einrede einer remuneratorischen Schenkung, weil die von der Beklagten dem W. geleisteten Dienste solche sind, welche auch von bezahlten Leuten geleistet werden können, außerdem, wie als erwiesen zu erachten, auch bezahlt seien, jedenfalls aber keine löblichen Hand­lungen oder einen geleisteten wichtigen Dienst im Sinne des H. 1169 A.L.R. I. 11 darstellen. Diese Ausführungen beruhen, wie die Be­klagte mit Recht geltend macht, auf einer‘ rechtsirrtümlichen Auffassung von den Vorschriften des Allgemeinen Landrechtes über belohnende Schenkungen.

Der § 1169 a. a. O. bestimmt:

Wird durch eine Schenkung eine löbliche Handlung oder ein geleisteter wichtiger Dienst vergolten, so heißt solches ein belohnendes Geschenk. Solche Schenkungen, bei welchen diese Bedingungen zutreffen, erhalten dann in den folgenden Paragraphen eine besondere rechtliche Gestaltung, welche von derjenigen der gemeinen Schenkung namentlich auch, was hier von Bedeutung ist, in betreff der Zulässigkeit des Widerrufes ab­weicht. Wie in der preußischen Litteratur nachgewiesen ist, walten in betreff des Begriffes der belohnenden Schenkung allerdings in mehr­facher Beziehung schwer lösbare Zweifel ob, zu deren Beseitigung das gemeine Recht keine Handhabe bietet, weil die Bestimmungen des All­gemeinen Landrechtes im wesentlichen neue und selbständige sind. So­viel läßt jedoch^die Fassung des § 1169 a. a. O. deutlich erkennen

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daß der Thatbestand der gemeinen Schenkung, welcher nach §1037 I. 11 in der unentgeltlichen Überlassung einer Sache oder eines Rechtes besteht, um ein weiteres Moment hat vermehrt werden sollen, nämlich die Absicht des Schenkers, durch das Geschenk eine löbliche Handlung oder einen geleisteten Dienst zu vergelten. Bildet aber dieses innere Motiv das Kriterium für die belohnenden Schenkungen, so kann es auch nur darauf ankommen, ob die löbliche Handlung oder der Dienst in dem Geschenkgeber das Gefühl der Dankbarkeit und den dadurch hervorgerufenen Entschluß der unentgeltlichen Überlassung erzeugt haben. Dagegen ist eine Prüfung, ob bei objektiver Beurteilung (durch den Richter) die löbliche Handlung oder der Dienst geeignet waren, den Schenker zu der Hingabe zu bewegen, insbesondere, ob der Wert des Dienstes im Verhältnisse zu dem Betrage der Schenkung steht, ausge­schlossen. Mit Recht sagen die Gesetzesrevisoren (Pensum XIV. S. 201):

Es liegt in der Natur der Sache, daß der Begriff „wichtiger Dienst“ ein relativer bleiben muß, weil es nicht auf die Mühe und An­strengung ankommt, welche der Dienst demjenigen, der ihn leistet, gekostet hat, sondern auf den Wert, den der Geschenkgeber ihm beilegt. Mit dieser Ansicht hat sich nicht bloß die ältere und neuere preußische Litteratur überwiegend einverstanden erklärt,

vgl. Siewert, Materialien Heft 3 S. 69; Bielitz, Kommentar Bd. 2 S. 803; Koch, Recht der Forderungen Bd. 3 S. 219. 222 2. Aufl.; Gruchot in den Beiträgen Bd. 7 S. 167—168; Förster- Eccius, Theorie und Praxis Bd. 2 H. 122 S. 38 Note 171; Bornemann, Systematische Darstellung des Preuß. Rechtes 2. Aust. Bd. 3 S. 226-227,

sondern es hat auch das frühere Obertribunal in demselben Sinne erkannt. Vgl. Entsch. des Obertrib. Bd. 83 S. 10 flg.

Dagegen steht die Entscheidung des Berufungsrichters mit dieser Rechtsansicht in Widerspruch. Seine Worte, daß jedenfalls keine löb­liche Handlung oder ein geleisteter wichtiger Dienst im Sinne des § 1169 a. a. O. vorliegen, deuten klar daraus hin, daß er seinerseits geprüft hat, ob die von der Beklagten behaupteten Dienste und Ge­fälligkeiten nach allgemeiner Schätzung geeignet waren, den W. zu der Schenkung zu bewegen. Eine solche Prüfung steht jedoch dem Richter nicht zu. Liegt es (wie Bielitz a. a. O. richtig bemerkt) nicht allein im Begriffe der belohnenden Schenkung, daß eine Mühewaltung

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vergolten, sondern vornehmlich, daß die Zufriedenheit und Dankbarkeit des Geschenkgebers an den Tag gelegt wird, so mußte der Berufungs­richter erwägen, ob es unter den obwaltenden Umständen glaubhaft erscheint, daß W. sich der Beklagten infolge ihrer Dienstleistungen zu Dank verpflichtet fühlte, ob er ihnen in seiner Lage einen besonders hohen Wert beilegte, und ob diese Erwägung ihn zu der Schenkung bewog. — Der Berufungsrichter sagt nun zwar weiter, die Schenkung könne nur als eine reine aufgefaßt werden, weil die von der Beklagten dem W. geleisteten Dienste auch von bezahlten Leuten geleistet werden können und bezahlt sind. Zu einer derartigen Einschränkung des H. 1169 a. a. O. liegt jedoch kein Anlaß vor. Mit Recht macht die Beklagte geltend, daß belohnende Schenkungen an Ärzte, Sachwalter, treue Diener etc. gar nicht selten vorkommen, obwohl deren Dienst­leistungen bezahlt werden. An sich erscheint es deshalb nicht ausge­schlossen, daß W., obwohl er die Beklagte für Miete und Aufwartung bezahlte, dennoch durch deren Dienste und Gefälligkeiten zu einer be­lohnenden Schenkung bewogen wurde.

Sind hiernach die Gründe, welche den Berufungsrichter zu der Verwerfung einer belohnenden Schenkung geführt haben, rechtsirrtümlich, so muß die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung in die zweite Instanz zurückverwiesen werden.“

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