Herausgesucht von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen
RGZ 50, 394: Kann dem Nachlasspfleger oder den von ihm vertretenen unbekannten Erben das Armenrecht bewilligt werden?
VI. Civilsenat. Befchl. v. 25. Januar 1902 i. S. Gl. Nachlaßpfl. (Kl.) w. W. Wwe. Testamentsvollstr. (Bekl.). Beschw.-Rep. VI. 11/02.
I. Oberlandesgericht Hamburg.
Auf die Beschwerde des klagenden Nachlaßpflegers ist, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, das Armenrecht bewilligt worden.
Gründe:
„Der Beschwerdeführer ist laut einer von ihm vorgelegten Bestallung des Amtsgerichtes I zu Berlin vom 21. März 1901 „für diejenigen, welche Erben des am 24. Juni 1899 zu H. verstorbenen Kaufmannes H. Gl. werden“, zum Nachlasspfleger bestellt. Auf Grund einer Bescheinigung des genannten Amtsgerichtes vom 30, Mai 1901, dass der Nachlass des Gl. „arm“, und der Nachlasspfleger zur Bestreitung von Prozesskosten außer stände sei, ist dem letzteren für die erste Instanz von dem Landgerichte zu Hamburg das Armenrecht bewilligt worden. Um gegen das Urteil des Landgerichtes … die Berufung einzulegen, hat der klagende Nachlasspfleger bei dem hanseatischen Oberlandesgericht beantragt, „den von ihm vertretenen Klägern“ das Armenrecht für die Berufungsinstanz zu bewilligen. Das Oberlandesgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass ein Anspruch auf Gewährung des Armenrechtes nur einer physischen Person unter den Voraussetzungen des § 106 (jetzt § 114) CPO (= ZPO). und auf Grund eines dem § 109 (§ 118) CPO entsprechenden Zeugnisses, nicht aber auch juristischen Personen oder Vermögensmassen, bzw. deren Vertretern zustehe.
Der hiergegen gerichteten Beschwerde war stattzugeben.
Richtig ist an sich, daß die Civilprozeßordnung das Armenrecht nur physischen Personen zugesteht, nicht auch juristischen Personen, Personenvereinen und Vermögensmassen oder deren Vertretern, wie solche außer den einzelnen natürlichen Personen als Prozessparteien zugelassen sind.
Vgl. Beschluß des Reichsgerichts, V. CivilsenatS, vom4.April1894, Entsch. des R.G.’s in Civils. Bd. 33 S. 366 flg., übrigens auch
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Beschluß des I. Civilsenats vom 18. Mai 1898, Juristische Wochenschrift 1898 S. 386 Nr. 3.
Allein im gegenwärtigen Fall handelt es sich weder um eine juristische Person, noch um eine Vermögensmasse in dem erwähnten Sinne. Dem Nachlasspfleger kommt auch nicht eine eigene Parteistellung kraft Amtes zu; er ist vielmehr gesetzlicher Vertreter der Erben, und zwar Vertreter der Person der Erben, deren Interessen zu wahren seine alleinige Aufgabe ist.
Vgl. Strohal, Erbrecht S. 120 Nr. 3; Staudinger-Herzfelder, Kommentar zum Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuche zu § 1960; Cosack, Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts Bd.2 H 377 S. 694; Enneccerus-Lehmann, Lehrbuch Bd. 2 § 274 S. 671; Deutsches Bürgerliches Gesetzbuchs 1913. 1915. 1793; Einführungsgesetz Artt. 210. 213, und hierzu Habicht, Die Einwirkung des Bürgerlichen Gesetzbuchs etc. § 59,1, § 2. Aufl. S. 646 flg.; Gaupp-Stein, Civilprozeßordnung Aufl. 4 Bd. 1 S. 130 und Anm. 17.
Partei — Kläger — sind also im vorliegenden Falle die Erben des Gl., für welche auch das Armenrecht erbeten worden ist. Dass den von einem Nachlasspfleger in Ansehung des Nachlasses vertretenen, wenn auch noch unbekannten oder ungewissen, Erben bei Zutreffen der in § 114 C.P.O. aufgestellten Voraussetzungen das Armenrecht bewilligt werden könne, darf unbedenklich angenommen werden. Die angeführte Entscheidung des V. Civilsenates steht nicht entgegen. Der Fall einer prozessführenden Konkursmasse ist ein von dem gegenwärtigen wesentlich verschiedener; der Gemeinschuldner ist nicht selbst Prozesspartei, und der Konkursverwalter vertritt noch anderweite Interessen, namentlich das öffentliche Interesse an der gleichmäßigen Verteilung der Masse.
Vgl. auch Bunsen, in der Zeitschrift für Deutschen Civilprozeß Bd. 23 S. 200 flg., gegen Schott, Das Armenrecht deS Deutschen Civilprozesses S. 60 flg. S. 64. 66.
Auch die weitere Frage, ob das Unvermögen der klagenden Erben zur Bestreitung der Prozesskosten nach § 114 Abs. 1 und § 118 Abs. 2 C.P.O. dem Gesetze entsprechend nachgewiesen sei, war, selbst wenn von der Bestimmung in § 119 Abf. 2 daselbst abgesehen wird, zu bejahen. Der nach jenen Vorschriften zu erbringende Nachweis eines Mangels
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an Mitteln, die Prozesskosten ohne Beeinträchtigung des für den Nachsuchenden und seine Familie notwendigen Unterhaltes zu bestreiten, kann hier, wo die Erben noch unbekannt sind, allerdings nicht buchstäblich und völlig so, wie im Gesetze bestimmt ist, erbracht werden. Das ist aber auch nicht zu verlangen. Es genügt in solchem Falle der Nachweis, dass der Nachlass, dessen Mittel allein dem Nachlasspfleger zur Bestreitung von Prozesskosten zu Gebot stehen würden, arm ist, ein reines Nachlassvermögen (außer dem streitigen Ansprüche) überhaupt nicht vorhanden ist. Wollte man den Erben hier das Armenrecht versagen, so wäre dem sie vertretenden Nachlasspfleger die Rechtsverfolgung schlechthin unmöglich gemacht, was nicht in der Absicht des Gesetzes liegen kann.“ .. .