BGB § 2270 Wechselbezügliche Verfügungen im Berliner Testament
BGB § 2270 Wechselbezügliche Verfügungen
Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht
Ob Anordnungen (das Gesetz spricht von Verfügungen) in einem gemeinschaftlichen Testament von Ehegatten „wechselbezüglich“ sind ist von größter Wichtigkeit. Denn: Wenn einer der Eheleute gestorben ist, ist der überlebende Ehegatte an solche wechselbezüglichen Verfügungen gebunden. Er kann nicht mehr frei testieren. Und: Verstößt er gegen die bindend gewordenen wechselbezüglichen Verfügungen durch lebzeitige Schenkungen, hat das gravierende Folgen. Die Erben können von dem Beschenkten die Schenkung herausverlangen. Allerdings gilt auch: Wer sich auf Wechselbezüglichkeit beruft, muss die Wechselbezüglichkeit beweisen. Und: Eine wechselbezügliche Anordnung ist im Testament nur für Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen möglich.
Beispiel für die Folgen einer wechselbezügliche Verfügung
Wenn die Eheleute bestimmen, dass sie sich gegenseitig zu Erben einsetzen und nach dem überlebenden Ehegatten die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen die Schlusserben sein sollen, sind i.d.R. alle diese Verfügungen wechselbezüglich. Wenn nun einer der Ehegatten stirbt, wird der überlebende Ehegatte bei diesem Beispiel Alleinerbe. Angenommen es gibt drei gemeinsame Kinder, dann kann der überlebende Ehegatte die Schlusserbeneinsetzung dieser drei Kinder nicht mehr abändern. Aber die Bindung geht noch weiter: Schenkt der überlebende Ehegatte einem dieser drei Kinder sein Haus, dann können die beiden anderen Kinder nach dem Tod des überlebenden Ehegatten ihren Anteil am Haus vom beschenkten Geschwister herausverlangen.
Woran erkennt man eine wechselbezügliche Verfügung?
Wechselbezüglich Verfügungen der Eheleute stehen zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis. Sie sollen nach den Vorstellungen der Eheleute, die sie im Testament verfügt haben, miteinander stehen und fallen. Sollen sie in ihrem Bestand voneinander abhängig sein, liegt Wechselbezüglichkeit vor. Zu beachten ist, dass ein gemeinschaftliches Ehegattentestament auch ohne wechselbezügliche Verfügungen errichtet werden kann, dann enthält es eben nur einseitige Verfügungen. Denkbar ist auch eine Mischung aus einseitigen und wechselbezüglichen Verfügungen. Haben sich die Eheleute vorgestellt, dass die gegenseitigen Verfügungen in ihrem Bestand unabhängig voneinander sein sollen, liegt keine Wechselbezüglichkeit vor. Bei Wechselbezüglichkeit stellen sich die Eheleute vor: Ich verfüge in unserem Testament so, weil Du im Gegenzug so verfügt hast. Die Verfügung des einen Ehegatte wird also nur wegen der korrespondierenden Verfügung des anderen Ehegatten getroffen. Ohne die Wechselverfügung hätte kein Ehegatte seine Verfügung getroffen. Das meint die Aussage, dass die Verfügungen miteinander stehen und fallen sollen.
Beispiel:
Ich setze Dich als meine Ehefrau zu meinem alleinigen Erben ein, weil Du im Gegenzug unsere Kinder zu Deinen Erben einsetzt, wenn Du mich überlebst. Entscheidend für das Vorliegen von Wechselbezüglichkeit ist, welchen Verfügungen die Ehegatten in dem gemeinschaftlichen Testament den Charakter der Wechselbezüglichkeit zusprechen wollten. Ob sich die Eheleute diese Gegen- oder Wechselbezüglichkeit vorgestellt haben, kann man in der Regel nur nach dem Wortlaut des Testaments beurteilen. Denn meist sind im Streitfall beide schon tot und können nicht mehr nach ihren Vorstellungen beim Abfassen des Testaments befragt werden.
Bei der Auslegung
ist ausschließlich auf den übereinstimmenden Willen der Eheleute zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung abzustellen. Oft bleibt der Wortlaut des Testaments für die Beantwortung dieser Frage unklar. Er muss also ausgelegt werden. Bei der Auslegung dürfen dabei auch Umstände außerhalb des Testaments berücksichtigt werden, also Äußerungen der Erblasser zu ihren Lebzeiten oder ihr Verhalten nach der gemeinsamen Errichtung des Testaments. Wenn solche Umstände Rückschlüsse auf die Vorstellung der Testierenden bei der Testamentserrichtung ermöglichen, helfen sie weiter.
Im Klartext:
Für das Vorliegen von Wechselbezüglichkeit müssen beide Ehegatten bei der Testamentserrichtung die zumindest mutmaßliche / hypothetische Vorstellung gehabt haben:
Wenn Du Deine Verfügung widerrufst, soll auch meine Verfügung nicht mehr gelten.
Es ist also das Verständnis beider Ehegatten zu erforschen. Liegt ein solches Verständnis nicht bei beiden Ehegatten A und B vor, sondern nur beim Ehegatten A, muss sich Ehegatte B allerdings aus Gründen des Vertrauensschutzes an dem Erklärungsinhalt festhalten lassen, den Ehegatte A der Verfügung des B beimessen durfte,. Es kommt also nicht allein darauf an, was sich B bei seiner Verfügung gedacht hat. Vielmehr ist aus Sicht des Ehegatten A zu fragen, wie dieser die Verfügung von B bei verständiger Würdigung verstehen durfte. An diesem objektiven Sinn seiner Erklärung muss sich B aus Gründen des Vertrauensschutzes festhalten lassen.
Möglich ist auch ein ausdrücklich Erklärung der Beteiligten zur Wechselbezüglichkeit (z.B. „Sämtliche in diesem Testament angeordneten Verfügungen sind wechselbezüglich und damit bindend“). Fehlt sie, ist – wie gesagt – der gemeinsame mutmaßliche bzw. hypothetische Wille der Eheleute auszulegen.
Wann ist Wechselbezüglichkeit anzunehmen?
Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts soll die sprachliche Übereinstimmung der Verfügungen der Ehegatten für Wechselbezüglichkeit sprechen. Wechselbezüglichkeit wird nach dem Gesetz auch dann vermutet, wenn sich die Eheleute gegenseitig bedacht haben. Ferner ist Wechselbezüglichkeit zu vermuten, wenn der eine Ehegatte vom anderen bedacht wurde und der Bedachte als Überlebender eine Person bedacht hat, die mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten verwandt ist oder ihm nahesteht. Juristische Personen sind in aller Regel keine „nahestehenden Personen“ Zu beachten ist, dass diese Auslegungsregeln, die in § 2270 Abs. 2 BGB bestimmt sind, erst dann greifen, wenn die Auslegung des Testaments kein eindeutiges Ergebnis liefert. Die Auslegung ist also vorrangig.
Ob eine Verfügung wechselbezüglich ist oder nicht, muss für jede einzelne Verfügung im Testament gesondert untersucht werden.
Auslegung geht vor
Ob eine Verfügung wechselbezüglich ist, muss – wenn die Wechselbezüglichkeit nicht ausdrücklich im Testament bestimmt ist – durch Auslegung ermittelt werden. Das Auslegungsergebnis muss dem Willen beider, also nicht nur eines Ehegatten, entsprechen. Es ist immer darauf zu achten, dass alleine der Wille beider Eheleute im Zeitpunkt der Testamentserrichtung für die Auslegung heranzuziehen ist. Spätere Ereignisse (z.B. Familienstreit, Vermögensverlust, späteres widersprechendes Testament des Überlebenden etc.) spielen für die Auslegung grds. keine Rolle.
Anhaltspunkte, die für eine Wechselbezüglichkeit sprechen
Nach der Rechtsprechung legen folgende Indizien eine Wechselbezüglichkeit nahe:
- gleichlautende Verfügungen der Ehegatten
- Verfügungen in der „Wir“-Form
- Übereinstimmend Regelung der beiden Erbfälle
- wenn das Testament die gemeinsamen Kinder absichern soll
- wenn die Kinder des vorverstorbenen Ehegatten als Schlusserben eingesetzt sind und der vorverstorbene Ehegatte den Überlebenden zum Alleinerben eingesetzt hat
- wenn der überlebende Ehegatte eine nur mit dem vorverstorbenen Ehegatte verwandte oder diesem nahestehende Person als seinen Schlusserben eingesetzt hat
Gegen Wechselbezüglichkeit
sprechen folgende Indizien:
- wenn die gegenseitigen Zuwendungen der Ehegatten voneinander abweichen
- erhebliche Abweichungen in den Vermögensverhältnissen der beiden Ehegatten
- die Einsetzung nicht oder nur mit dem Überlebenden verwandter Personen als Schlusserben
- die Schlusserbeneinsetzung von gemeinnützigen Organisationen
Sonderfall der einseitigen Wechselbezüglichkeit
Als wäre nicht alles schon kompliziert genug, gibt es auch noch eine einseitige Wechselbezüglichkeit. Man ist geneigt anzunehmen, dass die Wechselbezüglichkeit nur
für die betreffenden Verfügungen beider Erblasser gelten kann, so dass die Gültigkeit der beiden wechselbezüglichen Verfügungen von der jeweils anderen abhängt. Es gibt aber auch einer Wechselbezüglichkeit als lediglich einseitige Abhängigkeit. Dieser Sonderfall der einseitigen Wechselbezüglichkeit liegt dann vor, wenn die Eheleute bei der Testamentserrichtung Folgendes wollten: Zwar wäre die Verfügung des Ehegatten A nicht ohne die Verfügung des Ehegatten B getroffen worden. Es wäre die Verfügung des B aber auch dann angeordnet worden , wenn es die Verfügung von A gar nicht gäbe. In Fällen einer solch einseitigen Wechselbezüglichkeit sind die §§ 2270, 2271 auf die Verfügung des A, nicht aber auf die Verfügung des B anzuwenden.
Aus der einseitigen Wechselbezüglichkeit folgt im Beispiel, dass A die Wechselbezüglichkeit seiner Verfügung zu derjenigen des B nachträglich auch einseitig durch eine weitere Verfügung von Todes wegen beseitigen kann, indem er sie entweder als einseitige Verfügung wiederholt oder aber bestimmt, dass die betreffende Verfügung künftig unabhängig von derjenigen des B gelten soll.
Können wechselbezüglichen Verfügungen nach dem Tod des einen Ehegatten vom anderen Ehegatten widerrufen werden?
Nein, das geht nur in Ausnahmefällen. Das Recht zum Widerruf erlischt mit dem Tode des erstverstorbenen Ehegatten. Der Überlebende kann aber seine eigenen Verfügungen von Todes wegen (also auf den Schlusserbfall) aufheben, wenn er das ihm vom erstverstorbenen Ehegatten testamentarisch Zugewendete ausschlägt.
§ 2270 BGB Wechselbezügliche Verfügungen
(1) Haben die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Verfügungen getroffen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde, so hat die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge.
(2) Ein solches Verhältnis der Verfügungen zueinander ist im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.
(3) Auf andere Verfügungen als Erbeinsetzungen, Vermächtnisse oder Auflagen findet die Vorschrift des Absatzes 1 keine Anwendung.§ 2271 BGB Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen
(1) Der Widerruf einer Verfügung, die mit einer Verfügung des anderen Ehegatten in dem im § 2270 bezeichneten Verhältnis steht, erfolgt bei Lebzeiten der Ehegatten nach der für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschrift des § 2296. Durch eine neue Verfügung von Todes wegen kann ein Ehegatte bei Lebzeiten des anderen seine Verfügung nicht einseitig aufheben.
(2) Das Recht zum Widerruf erlischt mit dem Tode des anderen Ehegatten; der Überlebende kann jedoch seine Verfügung aufheben, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt. Auch nach der Annahme der Zuwendung ist der Überlebende zur Aufhebung nach Maßgabe des § 2294 und des § 2336 berechtigt.
(3) Ist ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling der Ehegatten oder eines der Ehegatten bedacht, so findet die Vorschrift des § 2289 Abs. 2 entsprechende Anwendung.