Grundsicherung und Sozialhilfe: Kann der Staat auf das Erbe zugreifen?
Die Auseinandersetzungen zwischen dem Sozialamt und dem Grundsicherungsträger einerseits und Erben andererseits nehmen zu. Wenn jemand seinen Pflichtteil nicht geltend macht, wird ihm oftmals kurzerhand die Sozialhilfe nicht mehr weiter bezahlt etc.
Nachfolgend eine Übersicht über die Möglichkeiten des Sozialleistungsempfängers (Grundsicherung, Sozialhilfe) und des Sozialleistungsträgers bei einem Erbfall:
1. Muss der Sozialleistungsträger einen vom Sozialleistungsempfänger gegenüber seinen Eltern erklärten Pflichtteilsverzicht akzeptieren, wenn ein Elternteil später stirbt?
JA (h.M., das Urteil des BGH ZEV 2011, 258, das ein behindertes, geschäftsfähiges Kind betraf, das vor dem Sterbebett des Elternteils den Pflichtteilsverzicht zu notarieller Urkunde erklärte, dürfte verallgemeinerungsfähig sein)
2. Ist es dem Sozialleistungsträger gegenüber wirksam, wenn der Sozialleistungsempfänger eine ihm angefallene Erbschaft ausschlägt?
JA, eine solche Ausschlagung verstößt nicht gegen die guten Sitten (BGH ZEV 2011, 258). Sie kann aber dazu führen, dass der Leistungsträger die Sozialleistungen kürzt (§ 26 SGB XII; bei Grundsicherung Kürzung für drei Monate, §§ 31, 31a, 31b SGB II).
3. Was passiert, wenn der Pflichtteilsanspruch schon entstanden ist?
Hier ist zu unterscheiden, ob das Elternteil /der Ehegatte vor oder während des Sozialleistungsbezugs stirbt:
3.1 Verstirbt ein Elternteil / Ehegatte während des Sozialleistungsbezuges des enterbten Kindes / Ehegatten, gilt:
a) Der Sozialhilfeträger kann den Pflichtteilsanspruch auf sich überleiten und ihn selbst geltend machen (§ 93 SGB XII).
Das ist bedenklich. Bei einer Überleitung des Pflichtteilsanspruchs sollen nämlich die Beschränkungen des § 852 ZPO nicht gelten. Das ist eine nicht akzeptable Privilegierung des Staates gegenüber anderen Gläubigern.
b) Auf den Grundsicherungsträger geht der Pflichtteilanspruch sogar von Gesetzes wegen über (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB II)
c) Erlässt der Sozialleistungsbezieher die Pflichtteilsschuld,
aa) ist zunächst das Urteil des VGH Baden-Württemberg (NJW 1993, 2953) zu beachten, das den Erlasservertrag in Bezug auf Pflichtteilsansprüche als sittenwidrig eingestuft hat. Damit ist der Pflichtteilsanspruch nach wie vor gegeben, so dass das Sozialamt diesen auf sich überleiten kann.
bb) wird ansonsten von folgenden Rechtsfolgen auszugehen sein
(1) der Erlass des Pflichtteilsanspruchs wird zur Kürzung der Sozialhilfe führen;
(2) Bei der Grundsicherung ist ein solcher Erlass der Pflichtteilschuld gar nicht mehr möglich, weil hier der Pflichtteilsanspruch ja schon von Gesetzes wegen auf den Grundleistungsträger übergegangen ist.
TIPP: Zu Lebzeiten der Eltern Pflichtteilsverzichte erklären!
3.2 Ist das Elternteil schon vor dem Antrag auf Sozialhilfe gestorben, gilt:
a) Der Pflichtteilsanspruch zählt im Regelfall zum verwertbaren Vermögen, so dass bei einem werthaltigen Pflichtteil überhaupt keine Hilfsbedürftigkeit vorliegt.
b) In Ausnahmefällen ist die Verwertung unzumutbar:
aa) wenn die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils zum Verlust der Schlusserbenstellung nach dem zweitversterbenden Elternteil führt (Pflichtteilsstrafklausel).
bb) wenn eine besondere Härte vorliegt, z.B. wenn die Mutter als Witwe das selbst genutzte Familienheim verwerten müsste, um die Pflichtteilsansprüche bezahlen zu können.