Behindertentestament und Sozialrecht. Erklärt von Fachanwalt für Erbrecht Gerhard Ruby. Konstanz – Radolfzell – Villingen – Rottweil
Das Behindertentestament ist die „Hohe Schule der Testamentsgestaltung“. Durch das Behindertentestament wird verhindert, dass Vermögen aus der Familie, das dem behinderten Kind zusteht, an das Sozialamt abfließt. Seit Jahren bearbeite ich das Buch „Behindertentestament“ im ZErb-Verlag mit einem Kollegen. Hier folgen einige wichtige Hinweise zum Verhältnis von Sozialrecht und Behindertentestament.
Die sozialrechtlichen Grundlagen bei behinderten Kindern sind für das Verständnis des Behindertentestaments wichtig.
Behindertentestament und Sozialrecht
Besonders schwierig ist es, die sozialrechtlichen Grundlagen zu durchschauen. Es gibt einen regelrechten Wirrwarr an Hilfeleistungen. Ich möchte Ihnen auf dieser Seite einige wichtige Hinweise geben.
Sozialleistungen für nicht Erwerbsfähige
Das Sozialgesetz besteht aus mehreren Büchern. Das 12. Buch (SGB XII) befasst sich mit den klassischen Sozialleistungen. Diese erhält nur, wer nicht erwerbsfähig ist. Wer nicht mindestens drei Stunden am Tag auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten kann, ist nicht erwerbsfähig. Das ist bei Behinderten die Regel.
Bei behinderten Menschen kommen folgende Sozialleistungen in Betracht:
- Grundsicherung
- Hilfe zum Lebensunterhalt
- Eingliederungshilfe
Grundsicherung
Grundsicherung für nicht Erwerbsfähige erhält, wer alt oder dauerhaft nicht erwerbsfähig ist (§§ 41 bis 46 SGB XII). Die Grundsicherung ist existenzsichernd und dient der Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts sowie des Wohnbedarfs (Unterkunft und Heizung). Grundsicherung können nur Volljährige beziehen. Sie scheidet also für minderjährige Behinderte aus. Die Grundsicherung für Alte und nicht Erwerbsfähige (SGB XII) ist zu unterscheiden von der Grundsicherung für Arbeitssuchende, die im SGB II geregelt ist (Arbeitslosengeld II = sogenanntes Hartz IV).
Hilfe zum Lebensunterhalt
Die Hilfe zum Lebensunterhalt ist in den §§ 27 ff. SGB IX geregelt. Sie deckt alles ab, was durch die anderen Leistungen nicht abgedeckt wird. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt handelt es sich um die Urform der Sozialhilfe. Da minderjährige Kinder keine Grundsicherung erhalten, erhalten sie diese in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt. Wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist erhält zusätzlich zur „Grundsicherung“ noch eine Bekleidungsbeihilfe und Taschengeld (2024: mindestens 152,01 Euro).
Eingliederungshilfe
Die Eingliederungshilfe ist eine besondere Sozialleistung für behinderte Menschen (§§ 90 SGB IX, nicht mehr SGB XII). Sie soll ihnen helfen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Zum Beispiel wird das Leben von Behinderten im Betreuten Wohnen durch die Eingliederungshilfe finanziert, die Kosten für die Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen, persönliche Helfer und Fahrten zur Teilnahme an Freizeitveranstaltungen. Solange des Eigenvermögen 60.000 Euro nicht übersteigt, wird Eingliederungshilfe gewährt. Hat der behinderte Mensch eigene Einkünfte sind monatlich 2 % der seinen Freibetrag von 28.035 Euro übersteigenden monatlichen Einkünfte als Aufwendungsbetrag für die Eingliederungshilfe aufzubringen. Wer Leistungen der Grundsicherung bezieht, schuldet für gleichzeitig bezogene Leistungen der Eingliederungshilfe keine Aufwendungsbetrag (§ 138 Abs. 1 Nr. 8 SGB IX).
Ein volljähriger Behinderter kann also Grundsicherung, Eingliederungshilfe, Hilfe zum Lebensunterhalt nebeneinander beziehen. Für einen minderjährigen Behinderten kommen nebeneinander nur Eingliederungshilfe und Hilfe zum Lebensunterhalt in Betracht. Die Grundsicherung setzt ja Volljährigkeit voraus. Daneben ist im Pflegefall noch noch die Hilfe zur Pflege für Minderjährigen und Volljährige denkbar, wenn die Pflegeheimkosten nicht von der sozialen Pflegeversicherung abgedeckt werden und sonst kein Vermögen vorhanden ist.
Sozialleistungen sind nachrangig
Wer eigenes Einkommen oder Vermögen hat, kann keine Sozialleistungen beziehen. Das ist der berühmte Grundsatz vom Nachrang der Sozialhilfe. Sozialleistungen gibt es erst, wenn das eigene Einkommen und Vermögen zum Lebensunterhalt nicht mehr reichen. Wurden Sozialleistungen bezogen, obwohl der Leistungsbezieher einsetzbares Einkommen oder verwertbares Vermögen hatte, müssen die erbrachten Sozialleistungen zurückerstattet werden.
Was sind Einkommen und Vermögen?
§ 82 SGB XII Begriff des Einkommens
(1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Nicht zum Einkommen gehören
…
9. einmalige Einnahmen aus Erbschaften, Vermächtnissen und Pflichtteilszuwendungen,
§ 90
Einzusetzendes Vermögen(1) Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen.
(2) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung
1. eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird, 2. eines nach § 10a oder Abschnitt XI des Einkommensteuergesetzes geförderten Altersvorsorgevermögens im Sinne des § 92 des Einkommensteuergesetzes; dies gilt auch für das in der Auszahlungsphase insgesamt zur Verfügung stehende Kapital, soweit die Auszahlung als monatliche oder als sonstige regelmäßige Leistung im Sinne von § 82 Absatz 5 Satz 3 erfolgt; für diese Auszahlungen ist § 82 Absatz 4 und 5 anzuwenden, 3. eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken von Menschen mit einer wesentlichen Behinderung oder einer drohenden wesentlichen Behinderung (§ 99 Absatz 1 und 2 des Neunten Buches) oder von blinden Menschen (§ 72) oder pflegebedürftigen Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde, 4. eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen, 5. von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind, 6. von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde, 7. von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist, 8. 1eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. 2Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes, 9. kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen, 10. eines angemessenen Kraftfahrzeuges. (3) 1Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. 2Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.
Es gibt derzeit einen persönlichen Vermögensfreibetrag von 10.000 Euro (früher5.000 Euro).