⚖️ Pflichtteil und Schenkung – Was ist gerecht, wenn nichts mehr da ist?
💬 Ausgangspunkt: Der Nachlass ist leer – trotzdem Pflichtteil?
Viele Menschen verschenken zu Lebzeiten Haus, Geld oder Wertgegenstände – aus Zuneigung oder steuerlichen Gründen. Stirbt der Schenker, ist oft kaum noch Vermögen da. Die Frage drängt sich auf:
Haben Pflichtteilsberechtigte überhaupt noch eine Chance – oder gehen sie leer aus?
Das deutsche Pflichtteilsrecht versucht, Gerechtigkeit zu schaffen. Aber was bedeutet Gerechtigkeit, wenn der Erblasser sein Vermögen bereits verteilt hat?
📜 Die gesetzliche Idee – und ihr Preis
Das Gesetz (§ 2325 BGB) erlaubt dem Pflichtteilsberechtigten, verschenkte Werte gedanklich wieder zum Nachlass hinzuzurechnen. Dadurch soll der Anspruch nicht ins Leere laufen, bloß weil jemand „mit warmer Hand“ gegeben hat.
Aber: Diese Idee hat Grenzen, und genau hier wird es heikel – und spannend.
🔍 Was passiert bei einem überschuldeten Nachlass?
Beispiel:
- Der Erblasser hinterlässt 100.000 € Schulden und nur 80.000 € Aktiva.
- Außerdem hat er ein Grundstück im Wert von 80.000 € verschenkt.
👉 Frage: Entsteht jetzt ein Pflichtteilsanspruch?
Antwort: Nein ein ordentlicher Pflichtteil entsteht nicht – nicht einmal mit dem Geschenk.
Aber es kann ein außerordentlicher Pflichtteil entstehen, der sogenannte Pflichteilsergänzungsanspruch: Der Beschenkte kann für die fehlende Summe nach § 2329 BGB haften.
Für die Berechnung dieses Pflichtteilsergänzungsanspruchs wird der wirklich vorhandene Nachlasswert (kann minus sein), um den Wert der Schenkungen erhöht und dann aus dieser fiktiven Nachlasssumme der Gesamtpflichtteil errechnet.
⚠️ Gerecht – aber nicht gnädig: Die harte Logik des Gesetzes
Das Pflichtteilsrecht will ausgleichen, wenn ein Nachteil durch die Schenkung entstanden ist.
🧠 Logik des Gesetzes:
Hätte der Pflichtteilsberechtigte auch ohne die Schenkung nichts bekommen – gibt es auch keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Das gilt auch dann, wenn das Geschenk theoretisch Werthaltigkeit bringt – solange der um das Geschenk fiktiv erhöhte Nachlass rechnerisch nicht positiv wird.
⏳ Spätere Wertsteigerungen? Nicht Ihr Problem – sagt das Gesetz.
Was, wenn sich der Nachlass nach dem Erbfall erholt? Etwa weil geerbte Aktien plötzlich steigen?
Auch dann entsteht kein nachträglicher Pflichtteilsanspruch.
Die Bewertung zählt zum Zeitpunkt des Erbfalls (§ 2311 BGB). Eine spätere Wertsteigerung bleibt komplett unberücksichtigt – so hart es klingt.
📉 Wertverlust trifft die Falschen – Wertgewinn nützt niemandem?
Das Gesetz sieht zudem einen Niederstwertansatz vor (§ 2325 Abs. 2 BGB):
- Verbrauchbares (z. B. Geld, Wein, Aktien) wird mit dem Wert zum Zeitpunkt der Schenkung angesetzt. Dieser Wert wird um den Kaufkraftschwund (Inflationsausgleich) bis zum Erbfall bereinigt, was idR. durch Hochindexieren des Schenkungswerts auf den Erbfall erfolgt mit dem VPI (Verbraucherpreisindex für Deutschland).
- Andere Sachen (z. B. Grundstücke, Möbel) mit dem niedrigeren Wert aus Schenkungszeitpunkt oder Erbfall, wobei zunächst der Wert im Erbfall maßgeblich ist und der Wert zur Zeit der Schenkung nur zum Ansatz kommt, wenn er (hochindexiert) niedriger ist als im Zeitpunkt des Erbfalls. Letzteres hat der Beschenkte zu beweisen.
🎯 Folge:
- Wertverlust geht zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten.
- Wertsteigerung nützt ihm aber nichts.
Das ist juristisch sauber, aber im Einzelfall bitter – etwa wenn ein verschenktes Grundstück beim Tod des Erblassers stark im Wert gestiegen ist.
🧾 Fazit: Gerechtigkeit hat enge Grenzen im Pflichtteilsrecht
Das Pflichtteilsrecht will fair sein, ist aber kein Gnadenrecht. Wer leer ausgeht, obwohl früher große Geschenke gemacht wurden, erlebt oft eine enttäuschende Gerechtigkeit:
- Kein ordentlicher Pflichtteil bei überschuldetem Nachlass, aber Pflichtteilsergänzung gegen den Beschenkten nach Bereicherungsrecht (schwierige Rechtsmaterie!)
- Keine Erhöhung des ordentlichen Pflichtteils oder der Pflichtteilsergänzung bei späterem Wertanstieg des Erbes oder der Schenkung.
- Kein Ausgleich bei Verbrauch oder Wertverlust des Geschenks.