Vorausvermächtnis zugunsten des alleinigen Vorerben – dogmatische Einordnung und grundstücksbezogene Sonderfälle

Das deutsche Erbrecht erlaubt dem Erblasser eine differenzierte Gestaltungsmöglichkeit bei der Zuwendung einzelner Vermögensgegenstände an verschiedene Personen für unterschiedliche Zeitpunkte. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Abgrenzung zwischen einem Vorausvermächtnis und der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft.

Will ein Erblasser einen bestimmten Vermögensgegenstand zunächst einer Person und später einer anderen Person zukommen lassen, kann er dies grundsätzlich auf zwei Wegen umsetzen:

  1. durch aufschiebend bedingte Vermächtnisse oder
  2. durch die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft.

Welche dieser beiden Alternativen vorliegt, hängt entscheidend davon ab, ob der Erblasser eine dinglich wirkende Bindung des Erstbegünstigten erreichen wollte (dann Vor- und Nacherbschaft) oder ob ihm eine schuldrechtliche Anspruchsposition des Zweitbegünstigten gegen den Erstbegünstigten ausreichte (dann Vermächtnis).

Gerade im Zusammenhang mit einzelnen Grundstücken stellt sich in der Praxis häufig die Frage, ob eine gegenständlich beschränkte Vor- und Nacherbschaft rechtlich möglich ist. Denn nach dem Prinzip der Universalsukzession ist die Erbfolge eine Gesamtrechtsnachfolge. Eine Sondererbfolge in einzelne Nachlassgegenstände ist grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, das Gesetz sieht dies ausdrücklich vor (z. B. beim Gesellschaftsanteil oder Hoferbenrecht).

Das OLG Hamburg hat in einem viel beachteten Beschluss vom 6.10.2016 (Az. 2 W 69/15, BeckRS 2016, 06250) diese Problematik behandelt und Lösungswege aufgezeigt, wie der Wille des Erblassers trotz formaler Grenzen dogmatisch zutreffend umgesetzt werden kann.

Das Vorausvermächtnis als Mittel zur Abgrenzung

Will der Erblasser, dass nur ein bestimmtes Grundstück der Vor- und Nacherbfolge unterliegt, der Rest des Nachlasses aber dem Vorerben dauerhaft verbleibt, so kann dies durch eine geschickte Kombination von Vorerbeneinsetzung und Vorausvermächtnis gelöst werden:

  • Der Vorerbe wird hinsichtlich des gesamten Nachlasses als Alleinerbe eingesetzt,
  • es soll aber nur für das Grundstück, für das die Nacherbfolge gewollt, Nacherbschaft gelten.
  • Die übrigen Nachlassgegenstände werden dem alleinigen Vorerben durch ausdrückliches Vorausvermächtnis gem. § 2150 BGB zugewendet.

Nach § 2110 Abs. 2 BGB unterliegt ein Vorausvermächtnis nicht der Nacherbfolge.

Der Vorerbe erhält diesen Gegenstand „außerhalb“ seines erbrechtlichen Erwerbs, d. h. frei von den Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 ff. BGB. Der Vermögensgegenstand, für den die Nacherbfolge gelten soll (z. B. ein Grundstück), verbleibt hingegen im Nachlass und unterliegt damit den Schutzmechanismen der Nacherbfolge.

Diese Konstruktion führt im Ergebnis zu einer „gegenständlich beschränkten Nacherbfolge“, obwohl das Gesetz eine solche formal nicht kennt.

Auslegungsoptionen bei unklaren Testamenten

Bei unklaren Verfügungen von Todes wegen kommen insbesondere zwei Konstellationen in Betracht:

a) Mit Vermächtnis beschwerter Alleinerbe: Der Begünstigte ist Alleinerbe, aber mit einem Vermächtnis beschwert. Dieses ist auf den Erbfall des Alleinerben aufschiebend bedingt oder als befristetes Nachvermächtnis gemäß § 2177 BGB ausgestaltet. Es entsteht ein schuldrechtlicher Anspruch gegen dessen Erben (§ 2174 BGB). Ein dinglicher Schutz wie bei der Nacherbfolge besteht nicht; allenfalls kann eine Vormerkung vereinbart werden.

b) Vor- und Nacherbfolge hinsichtlich eines Bruchteils: Der Erblasser kann die Nacherbfolge auch auf einen Bruchteil beschränken. Der eingesetzte Erbe ist dann hinsichtlich eines Teils des Nachlasses Vorerbe und im Übrigen Vollerbe. Die Bruchteilsbestimmung orientiert sich am Wertverhältnis der Zuwendungen.

Dogmatische Einordnung und Wirkung des Vorausvermächtnisses

Das Vorausvermächtnis schafft einen eigenständigen Erwerbsgrund, der vom Erbfall unabhängig ist. Erbschaft und Vermächtnis können getrennt angenommen oder ausgeschlagen werden. Der Vorausvermächtnisnehmer hat grundsätzlich nur einen schuldrechtlichen Erfüllungsanspruch (§ 2174 BGB). Einem Vorerben zugewendete Gegenstände im Wege des Vorausvermächtnisses unterliegen nach § 2110 Abs. 2 BGB nicht der Nacherbfolge.

Dingliche Wirkung (str.)

Die herrschende Meinung nimmt an, dass dem Vorausvermächtnis zugunsten des alleinigen Vorerben eine dingliche Wirkung zukommt: Der Vorerbe erwirbt den vermachten Gegenstand bei Eintritt des Erbfalls unmittelbar und frei von der Nacherbfolge. Der Grund hierfür liegt darin, dass in Folge des Erbfalls eine Konfusion bezüglich des Vorausvermächtnisanspruchs, der dem alleinigen Vorerben zugleich Vermächtnisnehmer zusteht, eintritt. Da sich der Vermächtnisnehmer nach Erlöschen des Übereignungsanspruchs nicht mehr selbst das ihm zustehende Eigentum verschaffen kann, geschieht dies automatisch kraft Gesetzes. Dies entspricht einem Vindikationslegat, das dem deutschen Rechte eigentlich fremd ist.

Grundbuchrechtliche Auswirkungen

Die Unterscheidung hat auch Folgen für die grundbücherliche Behandlung:

  • Wird dem Vorerben ein Grundstück als Vorausvermächtnis zugewandt, ist kein Nacherbenvermerk gemäß § 51 GBO einzutragen.
  • Der Erbschein im Vorerbfall muss das Vorausvermächtnis ausdrücklich hegativ ausweisen negativ („von der Nacherbfolge ausgenommen ist das Grundtstück FlStNr. 100 der Gemarkung Waldsee)“.

Fazit

Das Vorausvermächtnis zugunsten des alleinigen Vorerben ist ein flexibles und dogmatisch tragfähiges Instrument, um punktuell eine gegenständlich oder wertmäßig beschränkte Nacherbfolge zu erreichen, ohne den Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge zu verletzen. Es eignet sich besonders bei Immobilienzuwendungen, Behindertentestamenten und allen Fällen, in denen bestimmte Nachlasswerte langfristig geschützt, andere aber frei vererbbar bleiben sollen.

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