Die Europäische Erbrechtsverordnung
regelt wichtige Bereiche für das Erben in Europa. Sie gilt für alle Erbfälle seit dem 17. August 2015 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme von Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich. Die Durchführung der Erbrechtsverordnung ist für Deutschland im Internationalen Erbrechtsverfahrensgesetz geregelt.
Was regelt sie?
Die Verordnung bestimmt, welches nationale Erbrecht (z.B. deutsches Erbrecht) auf einen internationalen Erbfall (z.B. deutsch-französischer Erbfall) anzuwenden ist. Ein „internationaler Erbfall“ liegt vor, wenn der Staatsbürger eines Landes (z.B. ein Deutscher) in einem anderen Land (z.B. in Frankreich) verstirbt und in diesem Land (z. B. Frankreich) bewegliches oder unbewegliches Vermögen hat (z.B. Bankguthaben oder ein Ferienhaus). Durch die Verordnung wird erreicht, dass der internationale Erbrecht nach nur einem nationalen Erbrecht abgewickelt wird und nicht nach mehreren Erbrechten. Der gesamte Erbfall wird nach nur einem nationalen Erbrecht abgewickelt, egal, wo sich die Nachlassimmobilien und der sonstige Nachlass befinden („Ein Erbfall – ein Recht“).
Grundsatz
Artikel 21 EuErbVO Allgemeine Kollisionsnorm
Absatz 1 des Artikels 21 der Europäischen Erbrechtsverordnung
(1) Sofern in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Beispiele
Ein Deutscher zieht nach der Rente nach Frankreich. Er lebt dort mehrere Jahre bis zu seinem Tod. Er wird nach französischem Erbrecht beerbt und nicht nach deutschem Erbrecht.
Beispiel
Ein Franzose zieht nach Deutschland, lebt und arbeitet dort und gründet in Deutschland eine Familie. Er wird nach deutschem Erbrecht beerbt.
Ausnahme:
Wenn sich allerdings aus den Umständen ergibt, dass der Franzose im Zeitpunkt seines Todes eine engere Verbindung Frankreich als zu seinem Aufenthaltsstaat Deutschland hatte, gilt bei seinem Tod französisches Erbrecht.
Art 21 EuErbVO Allgemeine Kollisionsnorm
Absatz 2 des Artikels 21 der Europäischen Erbrechtsverordnung
…
(2) Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht nach Absatz 1 anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
Rechtswahl
In seinem Testament kann der Erblasser aber das Erbrecht des Staates, dem er angehört, für seine Nachlassabwicklung wählen.
Artikel 22 EuErbVO Rechtswahl
Absätze 1 und 2 der Europäischen Erbrechtsverordnung
(1) Eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
Eine Person, die mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, kann das Recht eines der Staaten wählen, denen sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.
(2) Die Rechtswahl muss ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben.
Beispiel
Ein in Deutschland dauerhaft lebender Franzose kann statt das deutsche Erbrecht zu akzeptieren, das Erbrecht seiner Staatsangehörigkeit, also von Frankreich wählen. Es ist ihm jedoch verwehrt, z. B. das Erbrecht Italiens zu wählen,. Man kann nur entweder das Erbrecht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes oder das Erbrecht des Staates wählen, dessen Staatsangehörigkeit man im Zeitpunkt der Testamentserrichtung besitzt oder noch bis zum eigenen Tod erwirbt. Wer die Staatsbürgerschaft mehrerer Staaten hat, kann einen dieser Staaten für die Erbrechtswahl auswählen, auch wenn dies kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. Man kann sich nur für eine Rechtsordnung entscheiden, nach der dann die ganze Erbschaft abgewickelt wird. Also in unserem Beispiel entweder das deutsche oder das französische Erbrecht. Es geht nicht für den in Frankreich belegenen Nachlassteil französisches Erbrecht zu wählen und für den in Deutschland belegenen Nachlass deutsches Erbrecht. Solche „Nachlassspaltungen“ will die Verordnung gerade verhindern.
Formulierungsbeispiel:
Ich bin ausschließlich deutscher Staatsangehöriger und habe meinen derzeitigen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich. Für alle erbrechtlichen Fragen wähle ich deutsches Erbrecht.
Rechtswahl eines Deutschen, der dauerhaft in Frankreich lebt
Europäisches Nachlasszeugnis
Durch die Erbrechtsverordnung wurde das europäische Nachlasszeugnis eingeführt, eine Art europaweit gültiger Erbschein. Es dient dem internationalen Nachweis der Rechtsstellung. z.B. des Erben, und ist in die Mitgliedstaaten der EU anzuerkennen. Das Europäische Nachlasszeugnis dient also der grenzüberschreitenden Nachlassabwicklung. Es will eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der EU ermöglichen. Es kann ein deutscher Erbschein und daneben noch ein Europäisches Nachlasszeugnis zusätzlich beantragt werden. Das eine schließt das andere nicht aus.
Artikel 62 EuErbVO Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses
(1) Mit dieser Verordnung wird ein Europäisches Nachlasszeugnis (im Folgenden „Zeugnis“) eingeführt, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen entfaltet.
Das Zeugnis ist zur Verwendung durch Erben oder andere Beteiligte bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen. Ein in Deutschland ausgestelltes Nachlasszeugnis dient also zur Vorlage z.B. in Frankreich oder in Spanien. Das Nachlasszeugnis ist leider nur sechs Monate gültig und muss dann verlängert werden. Das Nachlasszeugnis wird in Deutschland vom als Nachlassgericht zuständigen Amtsgericht erteilt.
Die Kosten für ein europäisches Nachlasszeugnis
Das Nachlasszeugnis kostet genauso viel wie ein Erbschein. Die Kosten richten sich nach dem Nachlasswert.
Bei einem Nachlasswert von EUR 100.000,- belaufen sich die Kosten der Antragstellung und für die eidesstattliche Versicherung auf 546 Euro.
Sofern bereits ein Erbschein beantragt wurde, werden bei der zusätzlichen Beantragung eines europäischen Nachlasszeugnisses 75% der Erbscheinkosten angerechnet.
Zuständiges Gericht
Zuständig ist das zuständige Nachlassgericht des Landes, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Artikel 4 EuErbVO Allgemeine Zuständigkeit
Artikel 4 der Europäischen Erbrechtsverordnung
Für Entscheidungen in Erbsachen sind für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Es kann aber auch ein Gerichtsstand durch die betroffenen Parteien vereinbart werden.
Artikel 5 EuErbVO Gerichtsstandsvereinbarung
Artikel 5 der Europäischen Erbrechtsverordnung
(1) Ist das vom Erblasser nach Artikel 22 zur Anwendung auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen gewählte Recht das Recht eines Mitgliedstaats (Staatsangehörigkeitsrecht), so können die betroffenen Parteien vereinbaren, dass für Entscheidungen in Erbsachen ausschließlich ein Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig sein sollen.
(2) Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung bedarf der Schriftform und ist zu datieren und von den betroffenen Parteien zu unterzeichnen. Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt.
Ein zuständiges Nachlassgericht kann sich zudem auf Antrag einer der Verfahrensparteien für unzuständig erklären, wenn seines Erachtens die Gerichte des Mitgliedstaats des gewählten Rechts in der Erbsache besser entscheiden können. Hier sieht man, dass es Ziel der Verordnung ist immer einen Gleichlauf von nationalem Erbrecht und nationalem Gericht zu erreichen. Wenn deutsches Erbrecht gilt sollen auch deutsche Gerichte entscheiden (können).
Schauen wir genauer hin. Wenn der Erblasser im Testament eine Rechtswahl getroffen hat (.B. in Frankreich lebender Franzose wählt deutsches Erbrecht) , kann das Nachlassgericht des gewählten nationalen Rechts (also das deutsche Nachlassgericht) unter den Voraussetzungen des Art. 7 EuErbVO zuständig sein:
Artikel 7 EuErbVO Zuständigkeit bei Rechtswahl
Artikel 7 der Europäischen Erbrechtsverordnung
Die Gerichte eines Mitgliedstaats, dessen Recht der Erblasser nach Artikel 22 gewählt hat, sind für die Entscheidungen in einer Erbsache zuständig, wenn
a) sich ein zuvor angerufenes Gericht nach Artikel 6 in derselben Sache für unzuständig erklärt hat,
b) die Verfahrensparteien nach Artikel 5 die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte dieses Mitgliedstaats vereinbart haben oder
c) die Verfahrensparteien die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausdrücklich anerkannt haben.
a) Ist das Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts (z.B. Frankreich) eigentlich zuständig, kann sich dieses (französische) Gericht auf Antrag eines der Verfahrensbeteiligten für unzuständig erklären, wenn nach seiner Einschätzung das (deutsche) Rechtswahlgericht in der Erbsache besser entscheiden kann.
b) Es muss sich sogar für unzuständig erklären, wenn die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben.
c) Die Zuständigkeit eines angerufenen Rechtswahlgerichts kann auch durch formlose Erklärung der Parteien anerkannt werden.
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den nationalen Zuständigkeitsbestimmungen. In unserem Beispiel hat der Deutsche, der in Frankreich lebt, das deutsche Erbrecht im Testament gewählt. Als deutsches Rechtswahlgericht wäre das deutsche Nachlassgericht zuständig in dessen Bezirk der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte. Wäre der Erblasser also von Konstanz dauerhaft nach Nizza verzogen, wäre das Amtsgericht Konstanz als Nachlassgericht zuständig.
Entscheidungen werden anerkannt
Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen (z.B. das Nachlasszeugnis) werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.