Kann ich bei einer Inflation meine Darlehensschulden billig los werden? Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
Kann ich bei einer Inflation meine Darlehensschulden billig los werden?
Davon träumen viele, aber es darf bezweifelt werden, ob das so einfach gelingt. Unterstellt es käme zu einer galoppierenden Inflation, wäre es sogar sinnvoller die Darlehensschulden vorab – sofern finanziell möglich – durch Sondertilgungen zu befriedigen, bevor das eigene Geldguthaben infolge der Inflation nichts mehr wert ist. Grund für diese Aussagen ist die sogenannte Aufwertungsrechtsprechung des Reichsgerichts.
Das Reichsgericht
fällte in der Weimarer Zeit einige wegweisende Urteile. So wurde die Kategorie des Wegfalls der Geschäftsgrundlage entwickelt, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch bis dahin unbekannt war (heute ist der WGG fester Bestandteil der Zivilrechtsordnung, vgl. den im Zuge der im Jahr 2002 in Kraft getretenen Schuldrechtsreform neu gefassten § 313 BGB). Geradezu revolutionär war die unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise (Deutsche Inflation von 1914 bis 1923) entwickelte Aufwertungsrechtsprechung, mit der sich das Reichsgericht erstmals die Befugnis zusprach, Gesetze auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, was dazu führte, das der bis dahin anerkannte Mark-gleich-Mark-Grundsatz (Nennwertgrundsatz, Nominalismus) wegen der galoppierenden Inflation aufgegeben wurde.
Mark gleich Mark?
Der eiserne Grundsatz „Mark gleich Mark“ erlaubte es bis 1923 Goldmarkschulden durch Papiermarktzahlungen zu tilgen. Bis 1914 war die Markt durch eine Golddeckung gesichert. Mit Beginn des 1. Weltkrieges wurde die Pflicht zur Einlösung der Geldzeichen in Goldmünzen aber aufgehoben. Die Regierung wollte sich dadurch einerseits ihrer Schulden entledigen und den Geldmarkt zu Lasten der Gläubiger aufrechterhalten. Da der Grundsatz „Mark gleich Mark“ weitergalt, mussten die Gläubiger von Geldschulden sich mit der Zahlung des geschuldeten Nennbetrages in Papiergeld zufrieden geben, obwohl infolge der Inflation die Kaufkraft horrend gesunken war. Als im November 1923 eine Goldmark mit 522 Milliarden Papiermark gehandelt wurde (im Dezember 1923 war der Preis auf eine Billion Papiermark gestiegen) gab das Reichsgericht in seinem revolutionären Aufwertungsurteil den Grundsatz „Mark gleich Mark“ auf. Das Reichsgericht entschied für eine vor dem 1.Weltkrieg begründete Darlehenshypothek, dass der Gläubiger berechtigt sei, die Bewilligung für die Löschung der Hypothek zu verweigern, obwohl der Schuldner den Nennwert in Papiermark gezahlt hatte. Begründet wurde die Entscheidung mit § 242 BGB.
Nach Treu und Glauben
sei der Richter befugt bei einem inflationären Währungsverfall einen neuen Währungskurs festzusetzen. Das Urteil (RGZ 107, 78; entgegengesetzt noch RGZ 101, 141, 145) schlug damals wie eine Bombe ein. In der Begründung wies das Reichsgericht darauf hin, dass es den Unterschied zwischen Nennwert und Verkehrswert schon wiederholt in anderen Bereichen anerkannt habe. Wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben müsse man die Zulässigkeit der Aufwertung auch für hypothekarisch gesicherte Darlehensforderungen anerkennen, da sich aus § 607 BGB a.F. ergebe, dass der Schuldner Sachen gleicher Art, Güte und Menge zurückzugewähren habe. Nachdem der Gesetzgeber die Güte des Geldes durch den Zwangskurs „Mark gleich Mark“ zwingend vorgeschrieben habe, treffe bei Kreditgeschäften grundsätzlich den Gläubiger die Gefahr der Geldentwertung. Bei einem außerordentlichen Währungsverfall, den der Gesetzgeber nicht vorausgesehen habe, müsse aber dieser Grundsatz zurücktreten. Grund für die Fortgeltung des Grundsatzes „Mark gleich Mark“ war der Erhalt des Währungssystems gewesen. Dieser Gesetzeszweck war aber nicht zu verwirklichen, so dass nach dem kanonischen Rechtsgrundsatz „cessante ratione legis cessante lex ipsa“ der Mark-gleich-Mark-Grundsatz wegfiel.