Nacherbe: Geerbt wird wie beim Staffellauf – vom einen zum andern. Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby
Nacherbe: Geerbt wird wie beim Staffellauf – vom einen zum andern
1. Begriff
Nacherbe ist wer erbt, nachdem zuvor ein anderer, nämlich der Vorerbe, von dem gleichen Erblasser geerbt hatte. Zunächst erbt der Vorerbe vom Erblasser. Mit dem Eintritt des sogenannten Nacherbfalls geht dann die Erbschaft auf den Nacherben über. Nacherbfall ist meistens der Tod des Vorerben, kann aber auch jedes andere Ereignis sein, das der Erblasser im Testament bestimmt hat (z.B. Volljährigkeit oder Heirat oder Berufsabschluss). Wichtig ist, dass der Nacherbe nicht Erbe des Vorerben wird, sondern Erbe des Erblassers. Der Erblasser wird also zwei Mal beerbt: Zuerst vom Vorerben und dann vom Nacherben.
Der Nacherbe ist grundsätzlich ein vollwertiger Erbe, ohne Wenn und Aber. Er erbt nur zeitlich verzögert. Die zeitliche Verzögerung der unbedingten Erbenstellung des Nacherben kommt dabei dem Vorerben zugute.
2. Rechtswirkungen
Der Nacherbe erhält die Erbschaft erst mit dem Ereignis, an das die Nacherbschaft geknüpft ist (Nacherbfall), z. B. die Wiederverheiratung oder den Tod des Vorerben. Vorher hat er ein vererbliches und übertragbares Anwartschaftsrecht, sofern der Erblasser nichts anderes bestimmt hat. Das Recht des Nacherben auf diese Erbschaft ist durch Beschränkungen des Verfügungsrechtes des Vorerben über bestimmte Nachlassgegenstände (z. B. Rechten an Grundstücken durch grundbuchlichen Nacherbenvermerk), Verbot von Schenkungen aus dem Nachlass und die Verpflichtung des Vorerben zu ordnungsgemäßer Verwaltung gesichert (§ 2113 – 2123, 2130 BGB), es sei denn, der Erblasser hat den Vorerben durch Verfügung von Todes wegen von Beschränkungen befreit (befreite Vorerbschaft, § 2136 BGB).
Verfügt der Vorerbe entgeltlich über Nachlassgegenstände, so fällt das Entgelt (z. B. der erhaltene Preis) in den Nachlass (Surrogation, § 2111 BGB). Verletzt der Vorerbe zum Nachteil des Nacherben seine Verpflichtungen, macht er sich diesem gegenüber schadensersatzpflichtig. Allerdings hat der Vorerbe nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt (§ 2131 BGB).
3. Zeitliche Grenzen der Nacherbfolge
Wenn der Erblasser E einen Vorerben V und einen Nacherben N im Testament bestimmt hat, ist der Vorerbe Vnur Erbe auf Zeit. Wenn der sog. Nacherbfall eintritt, wird N Nacherbe. Der Nacherbfall tritt in aller Regel mit dem Tode des Vorerben ein.
Allerdings gibt es eine zeitliche Grenze für die Anordnung der Nacherbfolge. Wenn 30 Jahre seit dem Erbfall vergangen sind, wird die Einsetzung des Nacherben grundsätzlich unwirksam.
Von dieser Regel gibt es aber wiederum zwei Ausnahmen:
- Ausnahme 1 (personenbezogene Ausnahme): Die Nacherbeneinsetzung bleibt auch nach dem Ablauf von dreißig Jahren nach dem Erbfall wirksam, wenn die Nacherbfolge für den Fall angeordnet ist, dass in der Person des Vorerben V oder des Nacherben N ein bestimmtes Ereignis eintritt, und derjenige in dessen Person das Ereignis eintreten soll, zur Zeit des Todes von E bereits lebte.
Wenn also der Vorerbe V im Zeitpunkt des Todes von E bereits lebte oder zumindest gezeugt war und die Nacherbfolge für den Fall des Todes von V angeordnet ist, bleibt es bei der Nacherbfolge auch dann, wenn V z.B. 70 Jahre nach dem E stirbt. - Ausnahme 2 (bei der Geburt weiterer Nacherben-Geschwister): Die Nacherbeneinsetzung bleibt auch nach dem Ablauf von dreißig Jahren nach dem Erbfall wirksam, wenn dem Vorerben V oder dem Nacherben N für den Fall, dass ihm ein Bruder oder eine Schwester geboren wird, der Bruder oder die Schwester als Nacherbe bzw. weiterer Nacherbe bestimmt ist.
4. Kosten und Lasten
Der Vorerbe trägt die „gewöhnlichen Erhaltungskosten“ der Erbschaft (§ 2124 BGB, zum Beispiel die Instandhaltung bei Häusern). Der Nacherbe trägt die „außergewöhnlichen Lasten“ (§ 2126 BGB, zum Beispiel Investitionen, die zu einer Wertsteigerung führen).
5. Pflichtteilsrecht
Sofern der Vorerbe und der Nacherbe beide Kinder des Erblassers sind, erhält der Nacherbe keinen Pflichtteilsanspruch, weil einen Pflichtteilsanspruch nur derjenige erhält, welcher durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist oder das Erbe ausgeschlagen hat. Da aber auch der Nacherbe „echter“ Erbe ist, ist er somit nicht pflichtteilsrechtsberechtigt. Schlägt er allerdings die Erbschaft aus, hat er einen Anspruch auf den gesetzlichen Pflichtteil.
6. Trennungslösung
Der Nacherbe ist Erbe des Erblassers, nicht des Vorerben. Deshalb geht man auch von zwei getrennten Vermögen aus, dem Eigenvermögen des Vorerben, das er auch ohne Vorerbschaft hätte und der davon zu trennenden Vorerbschaft (sog. Trennungslösung). Der Vorerbe kann dem Nacherben daher die Erbschaft nicht durch Testament entziehen. Anderes gilt nur dann, wenn der Nacherbe vom Erblasser unter der Bedingung eingesetzt ist, dass der Vorerbe nichts anderes verfügt. Beim Berliner Testament ist eine Vor- und Nacherbschaft im Zweifel nicht gewollt.
7. Erbschaftsteuer
Obwohl der Nacherbe nicht Erbe des Vorerben sondern des Erblassers ist, wird die Vor- und Nacherbschaft in steuerrechtlicher Hinsicht jedoch so beurteilt, als lägen zwei Erbvorgänge vor.
8. Formulierung
Eine Anordnung im Testament könnte wie folgt gestaltet werden (bitte nicht ohne fachanwaltliche Beratung einfach abschreiben!!!):
Ich setze hiermit meinen Sohn V zu meinem alleinigen Erben ein. Er soll jedoch nur Vorerbe sein. Der Vorerbe ist von allen gesetzlichen Beschränkungen und Verpflichtungen befreit, soweit dies gesetzlich zulässig ist.
Zu meinem Nacherben setzte ich N ein. Die Nacherbfolge tritt mit dem Tode des Vorerben ein. Die Nacherben sind gleichzeitig Ersatzerben.
Stirbt der Nacherbe vor dem Eintritt des Nacherbfalls oder wird er aus einem sonstigen Grunde nicht Nacherbe, so treten seine Abkömmlinge entsprechend den Regeln der gesetzlichen Erbfolge als Ersatznacherben an seine Stelle.
Das Anwartschaftsrecht des Nacherben ist weder vererblich, noch verpfändbar, noch übertragbar. Hiervon ausgenommen ist die Übertragung des Anwartschaftsrechts auf den Vorerben. Im Falle der Übertragung des Anwartschaftsrechts auf den Vorerben entfällt die Einsetzung der Ersatznacherben und die Vorerbschaft erstarkt zur Vollerbschaft.
9. Historisches
Im Römischen Recht galt der Grundsatz „semel heres semper heres“ (einmal Erbe, immer Erbe). Vor- und Nacherben gab es daher nicht. Da dennoch der Wunsch nach Regelungen über den Ersterben hinaus bestand, nutzte man das Instrument des Universalfideikommiss.