Die österreichische Verlassenschaftsabhandlung. Erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht, Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
Die österreichische Verlassenschaftsabhandlung im Überblick
Andere Länder, andere Sitten. Das deutsche Erbrecht ist im BGB geregelt, das österreichische im ABGB. Das österreichische Erbrecht ist wesentlich älter als das deutsche. Während das deutsche „Bürgerliche Gesetzbuch“ im Jahre 1900 in Kraft trat, war dies für das österreichische „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“ (ABGB) schon 1812 der Fall. Das ABGB gilt heute noch und ist damit das älteste gültige Gesetzbuch im deutschen Rechtskreis. Es gibt viele fundamentale Unterschiede. Man darf wohl behaupten, dass der österreichische Gesetzgeber ein für den Bürger „fürsorglicheres“ Erbrecht geschaffen hat, als der deutsche. Während in Deutschland die Abwicklung des Erbes Aufgabe der Erben ist, werden die Erben vom Verlassenschaftsgericht und dem Gerichtskommissär hierbei im Verlassenschaftsverfahren unterstützt. Das Verlassenschaftsverfahren ist ein Gerichtsverfahren, das von einem Notar als Beauftragten des österreichischen Bezirksgerichts durchgeführt wird. Notare, die im Verlassenschaftsverfahren tätig werden, nennt man „Gerichtskommissär“.
Erbschaftserwerb in Österreich
In Deutschland fällt dem Erben die Erbschaft augenblicklich mit dem Tod des Erblassers automatisch von selbst zu. Das gilt selbst dann, wenn er von dem Todesfall oder seiner Erbenstellung noch gar nichts weiß. Auf jeden Fall kann der Erbe in Deutschland den Nachlass sofort in Besitz nehmen. Das ist in Österreich anders. Dort wird der Erbe nicht automatisch Rechtsnachfolger des Verstorbenen. In Österreich ist ein Verlassenschafts- bzw. Abhandlungsverfahren vorgeschaltet, das mit der Einantwortung in den Nachlass endet. Es ist nach österreichischem Recht nicht zulässig, dass die Erben den Nachlass nach dem Tod des Erblassers eigenmächtig in Besitz nehmen. Hier kommt dem österreichischen Verlassenschaftsgericht eine bedeutende Rolle zu. Zuständig ist das Bezirksgericht am letzten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers.
Gerichtskommissär
Zuständig für das Verlassenschaftsverfahren ist ein Notar als sogenannter „Gerichtskommissär“. Er wird vom Verlassenschaftsgericht für die Abwicklung der Verlassenschaft bestellt bzw. eingesetzt. Der Gerichtskommissär leitet das Verfahren mit der sogenannten „Todesfallaufnahme“ ein. Bei der Todesfallaufnahme werden alle persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Verstorbenen festgestellt. Der Gerichtskommissär kann hierzu Ämter und Angehörige befragen, die Wohnung öffnen usw. Dann informiert der Gerichtskommissär die Erben vom Todesfall. Informiert werden aber auch Pflichtteilsberechtigte, Vermächtnisnehmer, Finanzamt, Kfz-Zulassungsbehörde, die öffentlichen Bezügestellen und Behörden.
Testamente sind dem Gerichtskommissär zu übergeben. Das wird von diesem in einem Übernahmeprotokoll vermerkt. Eine beglaubigte Kopie des Testaments kommt in den Verlassenschaftsakt. Das Original wird beim Gericht verwahrt. Alle möglichen Erben erhalten eine Kopie des Testaments.
Damit die Erbschaft erworben kann, muss der Erbe seine Berechtigung aufgrund Testament oder Verwandtschaft bzw. Eheschließung nachweisen.
Erbantrittserklärung
Innerhalb einer vom Gerichtskommissär sodann gesetzten Frist muss der Erbe dann die förmliche Erklärung abgeben, dass er die Erbschaft annimmt. Das ist die sogenannte Erbantrittserklärung. Hier wird der wesentliche Unterschied zum deutschen Erbrecht offensichtlich. Während in Deutschland die Erbschaft automatisch anfällt und man sechs Wochen Zeit hat sich ihr wieder zu entledigen (durch Ausschlagung) muss man in Österreich aktiv die Erbschaftsannahme erklären, d.h. die Erbschaft antreten.
Haftung des Erben
Der Erbe kann die österreichische Erbschaft in zwei Formen antreten, nämlich bedingt oder unbedingt. Bei der unbedingten Erbantrittserklärung tritt er die Erbschaft ohne jeden Vorbehalt an. Die unbedingte Erbantrittserklärung führt zu einer unbeschränkten Haftung des Erben, also auch für unbekannte Schulden des Verstorbenen. Der Erbe haftet dann nicht nur mit der Erbschaft sondern auch mit seinem eigenen Vermögen. Eine unbedingte Erbantrittserklärung vereinfacht zwar das Verfahren und ist etwas billiger. Sie ist aber nur zu empfehlen, wenn der Erbe die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen ganz genau kennt.
Bei der bedingten Erbantrittserklärung haftet der Erbe nur mit dem geerbten Vermögen. In diesem Fall errichtet der Notar eine exakte Aufstellung aller Werte und Schulden des Nachlasses samt Bewertung.
Zu guter Letzt hat ein Beteiligter auch die Möglichkeit eine negative Erbantrittserklärung abzugeben, also das Erbe auszuschlagen. Das ist die sogenannte „Erbsentschlagung“.
Streit über die Erbenstellung
Es kommt natürlich des Öfteren vor, dass mehrere Personen die Erbschaft beanspruchen. Die möglichen Erben geben dann widerstreitende Erbantrittserklärungen ab. So mein z.B. A er sei Erbe aufgrund Testaments und B, der das Testament für unwirksam hält, meint er sei Erbe kraft gesetzlicher Erbfolge. Bei einem solchen Fall versucht der Gerichtskommissär eine Einigung dahingehend herbeizuführen, dass das Erbrecht entweder von A oder von B anerkannt wird. Scheitern die Einigungsbemühungen, hält der Gerichtskommissär das in einem Protokoll fest. Danach wird der Akt (die Akte) dem Verlassenschaftsgericht vorgelegt. Das Verlassenschaftsgericht entscheidet nun über das Erbrecht und weist die übrigen Erbantrittserklärungen ab.
Bei einem Streit der Beteiligten über das Erbrecht kann sich das Verlassenschaftsverfahren sehr lange hinziehen.
Ausweise
Um die Erbschaft endgültig zu erhalten muss der Erbe bestimmte Nachweise (sog. „Ausweise“) erbringen. Üblicherweise bereitet der Gerichtskommissär solche Ausweise für den Erben vor. z.B. ist nachzuweisen, dass alle Personen, welchen gegenüber der Verlassenschaft andere Ansprüche zustehen als die eines Erben, vor der Einantwortung über diese Ansprüche unterrichtet wurden. Das gilt vor allem für Pflichtteilsberechtigte und Vermächtnisnehmer. Sind Pflichtteilsberechtigte oder Vermächtnisnehmer noch minderjährig, ist für sie vor der Einantwortung eine Sicherheit zu leisten oder die Erfüllung ihrer Ansprüche nachzuweisen.
Einantwortungsbeschluss
Stehen die Erben und ihre Quoten fest und sind die „Ausweise“ erbracht, erfolgt am Ende des Verlassenschaftsverfahrens der gerichtliche Einantwortungsbeschluss. Mit dem Einantwortungsbeschluss geht das Eigentum am Nachlass auf den oder die Erben über. Die Einantwortungsurkunde ist auch die Grundlage für die Eintragung als neuer Eigentümer der geerbten Immobilie im Grundbuch. Bis zum Abschluss des Verfahrens durch die Einantwortung nennt man das Vermögen des Erblassers „ruhender Nachlass“.
Sollte man Forderungen gegen den Verstorbenen einklagen wollen, ist zu beachten, dass solche Forderungen vor der Einantwortung nur gegen den Nachlass geltend gemacht werden können. Erst nach der Einantwortung richten sich die Klagen gegen den Erben.
Da die Banken in Österreich die Konten des Verstorbenen sperren, sobald sie vom Tod erfahren haben, ist die Einantwortungsurkunde sehr wichtig. Erst wenn sie vorgelegt wird, sind Verfügungen über das geerbte Geldvermögen zulässig.
Erbteilung
Über die Erbteilung können sich die Miterben sowohl vor als auch nach gerichtlicher Einantwortung in den Nachlass einigen.
Bei einer Einigung im Verlassenschaftsverfahren vor dem Gerichtskommissär wird ein „Erbteilungsübereinkommen“ geschlossen. Dieses ist wie ein gerichtlicher Vergleich vollstreckbar. Ansprüche aus einem Erbteilungsübereinkommen können also ohne vorgeschalteten Zivilprozess direkt vollstreckt werden.
Pflichtteil
Der Pflichtteilsberechtigte gehört nicht zur Erbengemeinschaft. Er hat nur einen Geldanspruch gegen den Nachlass bzw. die Erben. Der Pflichtteil wird vom reinen Verlassenschaftswert berechnet, also von dem, was von den Aktiven nach Abzug der Schulden und der Verfahrenskosten übrig bleibt. Der Pflichtteilsberechtigte kann seinen Anspruch auf Geldzahlung zunächst gegen den ruhenden Nachlass geltend machen. Ist der Erbe durch die Einantwortung gerichtlich in sein Erbrecht eingesetzt, muss der Erbe seinen Pflichtteil gegen die Erben erheben. Bis zur Einantwortung ist das Verlassenschaftsgericht für die Pflichtteilsklage zuständig, danach das Streitgericht am Wohnsitz des Erben.
Um seinen Pflichtteilsanspruch der Höhe nach ermitteln und sichern zu können, hat der Pflichtteilsberechtigte nach österreichischem Recht weitergehende Rechte als in Deutschland. Er kann
- die Errichtung eines Hauptinventars (Verzeichnis der Verlassenschaft) beantragen
- im Verlassenschaftsverfahren die Schätzung der Aktiven der Verlassenschaft verlangen.
- die Nachlassabsonderung herbeiführen
- die Rechnungslegung ab dem Todesfall bis zur wirklichen Zuteilung des Pflichtteils verlangen
- vom Nachlass oder von den Erben Auskunft über das Vermögen des Erblassers durch Vorlage eines Vermögensverzeichnisses verlangen.
Pflichtteilsansprüche sind bis zur rechtskräftigen Einantwortung gegen den Nachlass, danach gegen den oder die Erben geltend zu machen.