Europäische Erbrechtsverordnung in leichter Sprache erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht

Europäische Erbrechtsverordnung in leichter Sprache

Die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) ist eminent wichtig für die sogenannten grenzüberschreitenden bzw. internationalen Erbfälle. Grenzüberschreitende Erbfälle zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass der Verstorbene im Zeitpunkt seines Todes seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr in seinem Herkunftsland, sondern in einem anderen Land hatte (z.B. der Deutsche der seinen Lebensabend in Italien verbringt). Die EuErbVO regelt also nicht das materielle Erbrecht (wer erbt?), aber die Frage welches Erbrecht gilt und vor welchem nationalen Gericht läuft das erforderliche Gerichtsverfahren ab.

Die Europäische Erbrechtsverordnung ist also kein materielles Erbrecht für ganz Europa (wer erbt?), da die Europäische Union für das materielle Erbrecht keine Regelungskompetenzen hat.

450.000 grenzüberschreitende Erbfälle

werden Jahr für Jahr in der Europäischen Union gezählt. Der Wert dieser 450.000 internationalen Erbfälle liegt bei rund 123 Milliarden (!!!) Euro. Hierbei treten viele Rechtsfragen auf: Welches Erbrecht gilt (z.B. das deutsche oder das italienische), welches Nachlassgericht ist zuständig (z.B. das deutsche oder das spanische?) usw.

Wie ist das, wenn der Erblasser Vermögen (Häuser und Bankguthaben) in mehreren EU-Mitgliedstaaten hat? Wie ist das, wenn der deutsche Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt von Deutschland in ein anderes EU-Land verlegt?

Die EuErbVO macht Vieles einfacher

Während dies vor dem 17.08.2015 nicht der Fall war, kann seitdem der Erblasser

  • sein Testament nach dem Recht des EU-Landes, in dem er sich für gewöhnlich aufhält errichten
  • er kann aber auch – obwohl er in einem anderen EU-Land lebt – das Erbrecht seines Herkunftsstaates für sein Testament wählen (es soll deutsches Erbrecht geltgen, obwohl der Deutsche schon seit vielen Jahren ausschließlich in Italien lebt).

Die EuErbVO beschert uns zudem (gegenüber früher)

  • dass widersprechenden Entscheidungen von Gerichten in unterschiedlichen Ländern in der gleichen Erbsache verhindert werden (das italienische Gericht konnte früher A und das deutsche Gericht B sagen. Das gibt es nicht mehr, weil nur noch ein Gericht in einem Land und nicht mehr zwei Gericht in zwei Ländern zuständig sind).
  • gerichtlicher Entscheidungen in Erbsachen werden jetzt in ganz Europa anerkannt (also auch die deutsche Entscheidung kann in Italien durchgesetzt werden)
  • Es gibt jetzt ein Europäischen Nachlasszeugnis (ENZ) , das als Erbnachweis in allen EU-Mitgliedstaaten anerkannt wird.

Dies entspricht Art. 81 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der neben dem Vertrag über die Europäische Union ( EU-Vertrag) einer der Gründungsverträge der Europäischen Union (EU) ist. Dort ist bestimmt,

Die Union entwickelt eine justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen beruht.

Was sind Drittstaaten?

Dabei gilt die EuErbVO auch im Verhältnis zu sogenannten Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten), so dass das nach der EUErbVO bezeichnete nationale Erbrecht auch dann anzuwenden ist, wenn es nicht das Erbrecht eines Mitgliedstaats ist (Art. 20 ErbVO). Hat also ein Deutscher seinen gewöhnlichen Aufenthalt z.B. in Peru, kann nach der EuErbVO peruanisches Erbrecht zur Anwendung kommen.

Beachte: Auch das Vereinigte Königreich ist nach dem Brexit ein Drittstaat. Obwohl Irland und Dänemark EU-Mitgliedstaaten sind sind auch sie Drittstaaten (Sonderregelungen in Bezug auf die EuErbVO).

Grundprinzipien der EuErbVO
Prinzip 1 : Aufenthaltsprinzip

Gerichtliche Zuständigkeit und anwendbares nationales Erbrecht knüpfen grundsätzlich an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers an. Der letzte gewöhnliche Aufenthalt ist der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes. Damit fallen die gerichtliche Zuständigkeit für die Nachlassabwicklung und das anzuwendende nationale Erbrecht zusammen (sogenannten „Gleichlaufs von anwendbarem Recht und Zuständigkeit“).

Prinzip 2: Das Rechtswahlprinzip ist eingeschränkt – Es kann nur das Staatsangehörigkeits-Erbrecht statt des Aufenthaltserbrechts gewählt werden

Der Erblasser kann das für seinen Erbfall anzuwendende nationale Erbrecht ein eingeschränktem Maße wählen. Zwar gilt grundsätzlich das Erbrecht seines gewöhnlichen Aufenthalts. Der Erblasser kann aber das Erbrecht, das seiner Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Testamentserrichtung oder im Zeitpunkt seines Todes entspricht wählen. Wählt der in Italien lebende Deutsche für seine Nachlassabwicklung in seinem Testament deutsches Erbrecht gilt diese Rechtswahl weiter. Die Rechtswahl friert das deutsche Erbrecht sozusagen ein. Zieht der Erblasser nach der Testamentserrichtung nach Frankreich um, gilt die Wahl des deutschen Erbrechts fort. Während die Rechtswahl des nationalen Erbrechts eingefroren wird, ist das beim Erbrecht des gewöhnlichen Aufenthalts nicht möglich. Wählt der in Italien lebende Deutsche in seinem Testament italienisches Erbrecht verlegt dann seinen Lebensmittelpunkt nach Frankreich, ist wird diese „Rechtswahl“, die eigentlich gar keine ist, unwirksam. Es gilt dann französisches Erbrecht.

Prinzip 3: Prinzip der Nachlasseinheit

Vor der EuErbVO gab es bei grenzüberschreitenden Erbfällen oft sog. „Nachlassspaltungen“. Die Abwicklung erfolgte gespalten, nämlich nach mehreren Erbrechtsordnungen. So wurden Immobilien nach dem Recht des Staates vererbt, in dem die Immobilien lagen, während das bewegliche Vermögen nach dem Aufenthalts- oder Staatsbürgererbrecht vererbt wurde. Mit solchen Nachlassspaltungen hat die EuErbVO Schluss gemacht. Es gilt jetzt das Prinzip der Nachlasseinheit, das besagt, dass der gesamte Nachlass – unabhängig von der Belegenheit der Nachlassgegenstände – einheitlich nach nur einem nationalem Erbrecht vererbt wird. Es gibt nur eine gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen, die sich nach dem Erbrecht nur eines Staates richtet.

Prinzip 4: Gleichlaufprinzipt – Der Gleichlauf von forum und ius

Die EuErbVO strebt einen „Gleichlauf“ von internationaler Zuständigkeit (forum) und anwendbarem Recht (ius) an. Die Zuständigkeit der Gerichte (forum) und das anzuwendende Erbrecht (ius) sollen gleich laufen, Die Gerichte am gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt des Todes des Erblassers sollen zuständig sein und über das Aufenhaltserbrecht, also ihr nationales Erbrecht entscheiden. Hierdurch werden Entscheidungen richtiger, schneller und billiger. Die nationale Zuständigkeit folgt nach der EuErbVO also grundsätzlich dem anwendbaren nationalen Erbrecht.

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