Pflege und Hilfe machen den eigenen Erbteil wertvoller. Erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.

Pflege und Hilfe machen den eigenen Erbteil wertvoller

Die Problemlage

Die Eltern haben kein Testament gemacht oder die Kinder zu gleichen Teilen zu Erben eingesetzt. Das ist in 90 Prozent der Erbfälle so. Eigentlich eine gerechte Sache. Wenn nun aber eines der Kinder beide Eltern oder ein Elternteil über lange Zeit gepflegt hat oder den Eltern sonst außerordentliche Hilfen geleistet hat? Dann wäre es ungerecht, wenn dieses fürsorgende Kind, auch nur so viel erhielte wie die anderen Kinder. Es hat vielleicht durch seine Hilfeleistungen  dazu beigetragen, dass überhaupt noch ein Nachlass vorhanden war. Ohne seine Pflege, die es oft über 10 oder 20 Jahre geleistet hat, wäre vielleicht gar kein Erbe mehr da. Die Pflege- oder Heimkosten hätten das Erbe aufgefressen. Dieser Situation hat der Gesetzgeber Rechnung getragen. Allerdings ist die einschlägige Vorschrift ein Wortungetüm.

§ 2057a BGB Ausgleichungspflicht bei besonderen Leistungen eines Abkömmlings
(1)  Ein Abkömmling, der durch Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers während längerer Zeit, durch erhebliche Geldleistungen oder in anderer Weise in besonderem Maße dazu beigetragen hat, dass das Vermögen des Erblassers erhalten oder vermehrt wurde, kann bei der Auseinandersetzung eine Ausgleichung unter den Abkömmlingen verlangen, die mit ihm als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen; § 2052 gilt entsprechend. Dies gilt auch für einen Abkömmling, der den Erblasser während längerer Zeit gepflegt hat.
(2) Eine Ausgleichung kann nicht verlangt werden, wenn für die Leistungen ein angemessenes Entgelt gewährt oder vereinbart worden ist oder soweit dem Abkömmling wegen seiner Leistungen ein Anspruch aus anderem Rechtsgrund zusteht. Der Ausgleichungspflicht steht es nicht entgegen, wenn die Leistungen nach den §§ 1619, 1620 erbracht worden sind.
(3) Die Ausgleichung ist so zu bemessen, wie es mit Rücksicht auf die Dauer und den Umfang der Leistungen und auf den Wert des Nachlasses der Billigkeit entspricht.
(4) Bei der Auseinandersetzung wird der Ausgleichungsbetrag dem Erbteil des ausgleichungsberechtigten Miterben hinzugerechnet. Sämtliche Ausgleichungsbeträge werden vom Werte des Nachlasses abgezogen, soweit dieser den Miterben zukommt, unter denen die Ausgleichung stattfindet.

Das Gesetz

§ 2057a BGB regelt die Situation, dass ein Kind  das Vermögen der Eltern – und damit den Nachlass – erhalten oder sogar vermehrt hat. Ein solches Kind, kann bei der Teilung des Erbes eine
Ausgleichung für seine Mitarbeit, Geldleistungen, Pflege oder sonstige Maßnahmen für die Eltern verlangen.  Hat dieses Kind für seine Unterstützung bereits ein angemessenes Entgelt erhalten, kann es aber keine Ausgleichung verlangen. Wichtig ist, dass diese Ausgleichung erst bei der Teilung des Nachlasses verlangt werden kann. Eine mathematisch genaue Berechnung findet dabei nicht statt. Die Gerichte schätzen nach Gerechtigkeitsgesichtspunkten.

Was will das Gesetz?

Ein Gesetz verfolgt immer einen Zweck. Den erfährt man am ehesten, wenn man sich das Gesetzgebungsverfahren anschaut. Was wollte der Gesetzgeber, als er das Gesetz erließ. Was war seine Intention. Welche Interessen wollte er schützen.

1970 hat der Gesetzgeber die nichtehelichen Kinder den ehelichen Kindern erbrechtlich weitestgehend gleichgestellt. Aufgrund dieser Gleichstellung befürchtete man aber eine Benachteiligung der ehelichen Kinder. Man ging davon aus, dass es regelmäßig die ehelichen Kinder sein würden, die die Eltern pflegen oder sonst dafür sorgen würden, dass der elterlicher Nachlass erhalten oder vermehrt wird. Die elterlichen Kinder – so die Annahme – lebten bei den Eltern oder hätten mit ihnen ständigen Kontakt, während das bei den nichtehelichen Kindern nicht der Fall sei. Durch die Hilfeleistungen der nichtehelichen Kinder würden dann die nichtehelichen Geschwister beim Erben oder beim Pflichtteil zu Unrecht begünstigt. Durch die Hilfe der ehelichen Kinder wurde ja das Erbe erhalten. Für diesen Erhalt hätte weder der Erblasser noch das nichteheliche Kind etwas getan.  Um diesen Vorteil auszugleichen, sollten pflegende und sorgende Geschwister einen Ausgleich erhalten. Dieser Augleich gilt nur unter Geschwistern, nicht unter sonstigen Erben.

Wer kann eine Ausgleichung verlangen?

Nur Kinder können eine Ausgleichung für ihre Hilfe von anderen Kindern verlangen. Das gilt auch für Abkömmlinge, z.B. Enkel, die an die Stelle eines Kindes treten. Daraus ersieht man schon, dass eine Ausgleichung mindestens zwei Geschwister voraussetzt.

Ausgleichungsberechtigt sind folgende Abkömmlinge:

  • Kinder oder Enkel als gesetzliche Erben
  • Kinder, die im Testament zu gleich hohen Erbteilen eingesetzt wurden
  • Ein Kind als Alleinerbe oder Miterbe, wenn ihm gegenüber Pflichtteilsansprüche enterbter Geschwister geltend gemacht werden (wird oft übersehen!)
Ehegatte geht leer aus

Der Ehegatte ist kein Abkömmling und kann daher für seine Pflege auch keine Ausgleichung verlangen.

Wer muss ausgleichen?

Die anderen Geschwister, die in gleicher Höhe geerbt haben, wie das die Eltern pflegende Kind. Der überlebende Elternteil muss also nicht ausgleichen. Er behält seinen Erbteil ungeschmälert.

Welche Leistungen müssen ausgeglichen werden?

Nur besondere Leistungen, die das Vermögen zumindest erhalten haben, sind auszugleichen. Das können sein:

  • Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft während längerer Zeit
  • erhebliche Geldleistungen an oder für die Eltern
  • andere Leistungen, die in besonderem Maße das Vermögen zumindest erhalten haben
  • Pflegeleistungen über längere Zeit
  • lange zurückliegende Dienstleistungen des Kindes im Haus oder Geschäft der Eltern
  • Aufwendungen des Kindes für den elterlichen Haushalt

Es ist also immer Mitarbeit oder Pflege über „längere Zeit“ erforderlich. Leistungen, die als familienübliche Gefälligkeit „normal“ sind, sind nicht auszugleichen.

Wer muss die Leistung erbracht haben?

Das Kind, das die Ausgleichung fordert, muss sie nicht unbedingt selber erbracht haben.  Auch Mitarbeit seines Ehegatten, seiner Kinder oder sonstiger Personen ist auszugleichen, wenn sie im Auftrag des Ausgleichungsberechtigten erbracht wurde.  Dabei ist nicht nur körperliche Arbeit auszugleichen. Auch die  geistige Hilfe ist eine Leistung, die auszugleichen ist, z.B. bei Geldanlagen etc.

Wie lange muss geholfen worden sein?

Das Gesetz fordert Mitarbeit über „längere Zeit“. Eine einmalige Hilfestellung reicht also nicht, mag sie auch noch so wertvoll sein. Es muss sich um wiederholte, planmäßig Hilfe handeln.

Was muss getan worden sein?

Es genügt jede Unterstützung bei der privaten Lebensführung des Erblassers. Sowohl für den Erblasser persönlich als auch in seiner Wohnung. Dazu gehören

  • Zubereitung von Essen
  • Wäschereinigung
  • Reinigen der Wohnung
  • Erledigung der Einkäufe
  • Abschlüsse von Verträgen
  • anfallende Reparaturen
  • Gestaltung der Freizeit.
  • jede Mitarbeit im Geschäft des Erblassers
  • Fahrten des Erblassers zur Arbeit
  • Erledigung von Schreibarbeiten
  • jede Mithilfe auf dem Bauernhof
  • erhebliche Geldleistung  an den Erblasser persönlich oder an Gläubiger des Erblassers
  • Auch Investitionen in den Betrieb des Erblassers
  • alle Zuwendungen, die sich für das Erblasservermögen erhaltend oder vermehrend auswirken
  • Sachleistungen
  • Einräumung von Nutzungsrechen, z.B. Wohnungsüberlassung
  • Pflegeleistungen über eine längere Zeit
Muss der Pflegende auf seine Berufsausübung verzichten?

Nein. Das war zwar früher der Fall, doch ist das Erfordernis des Verzichts auf eigenes Einkommen durch die Erbrechtsreform 2010 gestrichen worden.

Was bedeutet Erhaltung des Vermögens des Erblassers?

Immer dann, wenn der Erblasser durch die Hilfeleistung eigene Kosten erspart hat, ist eine Ausgleichungspflicht gegeben.

Wann ist die Ausgleichung ausgeschlossen?

Immer dann, wenn das helfende Kind eine angemessene Gegenleistung erhalten oder ist sie mit ihm vereinbart worden ist.  „Angemessen“ ist ein Entgelt, wenn es der  üblichen Vergütung entspricht (§ 612 Abs. 2). Erhält das helfende Kind vom Erblasser „Kost und Logis“ oder wohnt es mietfrei in der Wohnung des Erblassers, ist dies bei der Ausgleichung als Abzugsposten zu berücksichtigen.

Wie hoch ist die Ausgleichung?

Das ist die schwierigste Frage von allen. Die Ausgleichung kann nicht exakt mathematisch errechnet werden. Sie ist nach dem Gesetz so ermitteln, „wie es mit Rücksicht auf die Dauer und den Umfang der Leistungen und auf den Wert des Nachlasses der Billigkeit entspricht“. Bei einem Prozess wird die Ausgleichung nach dem Ermessen des Gerichts getroffen. In einem Verfahren vor dem OLG Stuttgart mit vier Erben setzte das Gericht z.B. 20 Euro je Stunde geleisteter Arbeit an, um dann von diesem Betrag die ersparten Wohnkosten abzuziehen und den Rest auf ein Drittel zu reduzieren. Der Ausgleichungsbetrag darf  die Hälfte des Nachlasses unproblematisch übersteigen. Ob er den gesamten Nachlass aufzehren darf, ist auch unter den Gerichten streitig. Die meisten Gerichte sind der Auffassung, dass der  Ausgleichungsberechtigte  nicht den gesamten Nachlass erhalten kann. Die übrigen Abkömmlinge dürften nicht leer ausgehen. Diese Gerichte meinen, der Ausgleichungsbetrag sei in Bezug zum gesamten Nachlass zu setzen und könne daher auch nicht den gesamten Nachlass erfassen. Das ist aber falsch. Es gibt auch andere Ausgleichungsfälle, z.B. bei ausgleichungspflichtigen Zuwendungen des Erblassers an einzelne Kinder, die dazu führen können, dass diese Kinder vom Nachlass nichts mehr bekommen, obwohl sie Erbe sind.

Wie wird die Ausgleichung durchgeführt?

Angenommen der Erblasser hat drei Kinder. Eines davon hat Hilfeleistungen im Sinne von § 2057a BGB erbracht. Diese sind mit 6.000 Euro zu bewerten. Der Nachlasswert soll 24.000 Euro bezahlen. Das pflegende Kind erhält dann auf seinen Erbteil 6.000 Euro plus 1/3 von 18.000 Euro, insgesamt also 12.000 Euro. Die beiden anderen je 6.000 Euro.

Kann ich als Erblasser die Ausgleichung ausschließen?

Ja, der Erblasser kann abweichend testieren. Er kann die  Ausgleichungspflicht im Testament ändern oder ganz aufheben.

Verjährt das Recht auf Ausgleichung?

Nein. Das Recht auf Ausgleichung ist erst bei der Teilung der Erbschaft zu berücksichtigen.

Kann die Ausgleichung auch beim Pflichtteil eine Rolle spielen?

Ja, die Ausgleichung ist auch bei der Berechnung des Pflichtteils zu beachten. Das ist in § 2316 BGB geregelt.

Fanden Sie diesen Artikel hilfreich?

Erbrechtkanzlei Ruby – Wir machen nur Erbrecht – Wir helfen Ihnen – Überall in Deutschland – Tel. 07721 / 9930505

Wichtig: Auch wenn sich auf unserer Homepage vieles für Sie einfach darstellen mag, fehlt auch dem intelligentesten Laien der Gesamtüberblick im Erbrecht. Oft werden schwierigste Punkte, die scheinbar im Vordergrund stehen, verstanden, grundlegende andere Probleme, die für den konkreten Fall wirklich entscheidend sind, aber gar nicht gesehen. Wir empfehlen Ihnen daher, unsere günstige Erstberatung, bei der sie auf jeden Fall eine Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung kostenlos erhalten. Sparen Sie nicht am falschen Ort. Oft müssen die Erben später viele Jahre prozessieren und Zigtausende an Anwalts- und Gerichtskosten zahlen, nur weil der Erblasser die geringen Erstberatungskosten sparen wollte.

Das könnte Sie auch interessieren