RGZ 106, 46: Kann „Erbe“ gegen Nachlasspfleger auf Feststellung seines Erbrechts klagen?

Herausgesucht von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.

RGZ 106, 46

13. Kann derjenige, der Erbe zu sein behauptet, gegen den Nachlasspfleger auf Feststellung seines Erbrechts klagen?

IV. Zivilsenat. Urt. V. 27. November 1922 i. S. S. (Bekl.) w. D. (Kl.) IV 750/21

  1. Landgericht III Berlin – II. Kammergericht daselbst

Am 20. Juli 1918 starb zu Ch. der praktische Arzt Dr. L. D., ohne eine letztwillige Verfügung hinterlassen zu haben. Seine gesetzlichen Erben waren seine Witwe und seine beiden Töchter, die Klägerinnen. Beide Töchter haben die Erbschaft ausgeschlagen, später aber die Ausschlagung wegen Irrtums angefochten. Aus Anlass der Anfechtungserklärung ist der Beklagte „als Pfleger für die unbekannten Erben des Dr. L. D. bestellt worden, um sie zu ermitteln und bis zur Annahme der Erbschaft hinsichtlich des Nachlasses zu vertreten“. Gegen ihn haben die Klägerinnen Klage erhoben mit dem Antrage, zu erkennen, dass die Erbausschlagungserklärung bezüglich des Nachlasses ihres Vaters rechtsunwirksam sei, und sie daher neben ihrer Mutter an diesem Nachlass als Miterbinnen beteiligt seien.

Das Landgericht wies die Klage ab, das Kammergericht erkannte nach dem Klageantrage. Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

Das Berufungsgericht hat die Passivlegitimation in seiner Eigenschaft als Nachlasspfleger bejaht. Die Revision bekämpft diese Ansicht. Dem Berufungsgericht ist aber, wenn auch nicht in allen Einzelheiten der Begründung, so doch im Ergebnis beizutreten. Nach § 1960 Abs. 2 BGB kann das Nachlassgericht, wenn die Voraussetzungen des § 1960 Abs. 1 BGB gegeben sind, für denjenigen, welcher Erbe wird einen Pfleger (Nachlasspfleger) bestellen. Aufgabe des Nachlasspflegers ist es, bei der Ermittlung des oder der unbekannten Erben mitzuwirken und bis zur Ermittlung den Nachlass zu erhalten und zu

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verwalten. Innerhalb des Bereichs dieser Aufgaben ist er also der gesetzliche Vertreter der unbekannten Erben, und zwar, wenn mehrere vorhanden sind, der sämtlichen unbekannten Erben, nicht aber des einzelnen Miterben. Er ist, wie es im Urteil RGZ Bd. 76 S. 125 ausgedrückt ist, der gesetzliche Vertreter der Erben hinsichtlich der Erhaltung und Verwaltung des Nachlasses. Der Nachlasspfleger ist deshalb für alle Rechtsstreitigkeiten, die sich auf die Erhaltung und Verwaltung des Nachlasses beziehen, der richtige Beklagte, wobei es ganz gleichgültig ist, wer der wirkliche Erbe ist. Es kann also auch nicht seines Amtes sein, die Erben oder gar einen von ihnen bei einem Streit über das Erbrecht zu vertreten. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Nachlasspfleger, da er nicht Real- sondern Personalpfleger sei, die Erben in allen Beziehungen und deshalb auch in Ansehung eines streitigen Erbrechts zu vertreten habe, kann hiernach nicht gebilligt werden. Dass auch eine Personalpflegschaft eine beschränkte sein kann oder vielmehr regelmäßig ist, ergeben die §§ 1909 Abs. 1910 Abs. 2, 1911, 1913 BGB. Dagegen ist es, wie dem Berufungsgericht zuzugeben ist, unrichtig, wenn die Motive Bd. 5 S. 551 zu § 2063 Entw. I sagen, der Nachlasspfleger könne um deswillen nicht Rechtsstreitigkeiten über das Erbrecht führen, weil sich ein solcher Streit als Streit zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen darstellen würde, ein solcher aber ausgeschlossen sei, da niemand mit sich selber prozessieren könne. An sich ist es schon nicht richtig, dass ein Streit zwischen dem Vertreter und dem Vertretenen rechtlich unmöglich sei. Es sind z.B. Streitigkeiten zwischen beiden aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis möglich. Es kann ferner der Vollmachtgeber gegen den Bevollmächtigten auf Feststellung des Erlöschens der Vertretungsmacht und Rückgabe der Vollmachtsurkunde klagen (§§ 168 flg., 175 BGB). Vor allem aber ist jeder Satz der Motive um deswillen unrichtig, weil der Nachlasspfleger, wie oben dargelegt, bei einem Streit über das Erbrecht nicht Vertreter der Erben ist. Die Motive setzen sich an der angegebenen Stelle in Widerspruch mit der sich kurz vorher (S. 550 letzter Absatz) findenden Bemerkung, dass der Nachlasspfleger nicht ermächtigt sei, über das Erbrecht Rechtsstreitigkeiten zu führen. Ist er dazu „nicht ermächtigt“, so ist er insoweit auch nicht Vertreter.

Kraft seines Amtes ist danach allerdings der Nachlasspfleger zur Führung von Rechtsstreitigkeiten über das Erbrecht mit denjenigen, die Erben zu sein behaupten nicht berufen. Letztere müssen vielmehr den Streit um das Erbrecht grundsätzlich unter sich ausmachen. Daraus folgt aber noch nicht, dass das Erbrecht niemals Gegenstand eines Rechtsstreits zwischen dem Nachlasspfleger und demjenigen, der das Erbrecht für sich in Anspruch nimmt, sein kann. Wie ein solcher gegen jeden Dritten, insbesondere den Testamentsvollstrecker (JW 1909 S. 52

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Nr. 18, Warneyer 1912 Nr. 174 unter 3, Gruchot Bd. 62 S. 631) auf Feststellung seines Erbrechts klagen kann, wenn die Voraussetzungen des § 256 ZPO vorliegen, kann ihm dies unter den gleichen Voraussetzungen dem Nachlasspfleger gegenüber nicht verwehrt sein. Denn wenn die Erfordernisse der Feststellungsklage gegeben sind, ist damit ohne weiteres die Sachlegitimation der Parteien begründet (RGZ Bd. 27 S. 346). Sie sind aber im vorliegenden Falle gegeben. Die Klägerinnen wollen festgestellt wissen, dass sie neben ihrer Mutter Miterben ihres Vaters sind. Ist die Behauptung richtig, so besteht zwischen ihnen und dem Nachlasspfleger ein Rechtsverhältnis. Die Motive erkennen das selbst an, indem sie a.a.O. S. 551 sagen: der wirkliche Erbe habe gegen die Nachlasspfleger die Ansprüche aus der geführten Pflegschaft (actio tutelae). Nach §§ 1915, 1890, 1893 BGB haben die Klägerinnen, wenn sie Erbinnen sind, gegen den Beklagten den Anspruch auf Herausgabe des verwalteten Vermögens und Rechnungslegung. Würde die Pflegschaft kraft Gesetzes mit der Feststellung des Erbrechts endigen, so könnte das rechtliche Interesse der Klägerinnen an der alsbaldigen Feststellung ihres Erbrechts sicher nicht zweifelhaft sein. Diese Ansicht, die von Dernburg, Das Bürgerliche Recht, Bd. 5 § 129 V vertreten wird, ist aber nicht zutreffend. Sie wäre es nur, wenn es sich um die Besorgung einer einzelnen Angelegenheit handelte (§ 1918 Abs. 3 BGB). Das ist aber nicht der Fall. Die Pflegschaft besteht also nach § 1919 bis zur Aufhebung durch das Nachlassgericht fort. Trotzdem kann ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung gegeben sein. Ob ein solches anzunehmen ist, ist Sache der Beurteilung des einzelnen Falls.   Für den vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Frage bejaht, weil die Person der wirklichen Erben noch völlig im ungewissen sei und die Feststellung der Erbeneigenschaft der Klägerinnen von der durch den Beklagten ausdrücklich bestrittenen Unwirksamkeit der Erbausschlagung abhänge. Diese Begründung ist ausdrücklich nicht zu beanstanden. Schon das Bestreiten des Anspruchs allein kann geeignet sein, das Interesse zu begründen (JW 1915 S. 591 Nr. 25), es sei denn, dass das Verhalten des Bestreitenden ohne praktischen Einfluss auf das Recht des Klägers ist. Letzteres trifft hier aber nicht zu. Die Klägerinnen können nicht voraussehen, ob der Beklagte nach Aufhebung der Pflegschaft sein Bestreiten ihrer Erbeneigenschaft aufgeben wird. Sie könnten sich also in die Lage versetzt sehen, erst dann im Wege des Prozesses ihren Erbanspruch gegen den Beklagten zur Geltung bringen zu müssen. Dadurch würde die baldige Verwirklichung ihres Rechts, an der sie ein Interesse haben, verzögert, vielleicht gefährdet werden. Weil die Klage der Durchsetzung des Anspruchs gerade gegen den beklagten Nachlasspfleger dient, kann den Klägerinnen auch nicht entgegengehalten werden, dass

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Sie gegen die Erbprätendenten selbst den Anspruch geltend machen könnten. Denn ganz abgesehen von der vom Berufungsgericht festgestellten Schwierigkeiten ihrer Ermittlung würde ein zwischen den Klägerinnen und den sonstigen Erbprätendenten ergehendes Urteil dem Beklagten gegenüber keine Rechtskraftwirkung haben, und zwar um deswillen nicht, weil er eben insoweit nicht Vertreter der Erben ist. Andererseits würden die Rechte der anderen Erbprätendenten durch die Entscheidung des vorliegenden Prozesses zugunsten der Klägerinnen nicht berührt werden. Sie könnten ihr besseres Recht gegen die Klägerinnen selbst nach Ausantwortung des Nachlasses an sie gemäß § 2018 BGB geltend machen (vgl. RGZ Bd. 28 S. 354).

Noch aus einem weiteren Gesichtspunkte ließe sich im vorliegenden Falle ein rechtliches Interesse der Klägerinnen an der alsbaldigen Feststellung begründen. Ein solches Interesse kann nämlich schon dann vorliegen, wenn zu erwarten steht, dass ein Dritter, insbesondere eine Behörde, die Entscheidung auch ohne Zwang der Rechtskraft anerkennen und sie zum Anlass von Maßnahmen nehmen wird, die im Interesse des Feststellungsklägers liegen (Warn. 1912 Nr. 74 S. 192/93, 1915 Nr. 189, RGZ Bd. 92 S. 8). So liegt die Sache hier. Es darf damit gerechnet werden, dass das im Prozess zwischen den Erbprätendenten und dem Nachlasspfleger ergehende Urteil für den Nachlassrichter bei Prüfung der Frage, wer Erbe geworden ist, eine entscheidende Rolle spielen und ihm zur Aufhebung der Pflegschaft Anlass geben wird.

Aus diesen Gründen ist die Passivlegitimation des Nachlasspflegers bejaht worden. Soweit das Urteil des Senats vom 14. Januar 1915 IV 375/14 (Recht Nr. 566) auf einem anderen Standpunkt steht, wird es nicht aufrecht erhalten …

RGZ 34, 284: Nachlasspfleger kann auf negative Erbenfeststellung klagen
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