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Testamentsanfechtung, weil Verhältnis zum Vater bei dessen Tod wieder gut war?. Ein wichtiges Urteil. Zum besseren Verständnis erläutert von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht aus Baden-Württemberg

Testamentsanfechtung, weil Verhältnis zum Vater bei dessen Tod wieder gut war?

Das gibt es immer wieder. Vater und Sohn entzweien sich, weil der Vater nach der Scheidung von der Sohnesmutter wieder neue geheiratet hat. Das kommt natürlich auch zwischen Mutter und Tochter vor. Das Elternteil schreibt ein Testament, in dem es das Kind, das sich von ihm losgesagt hat, enterbt. Andere Personen – z.B. die neue Frau oder Lebensgefährtin des Vaters – werden als Erbe eingesetzt. Die Jahre gehen dahin. Das Testament wird vergessen und – man hätte es nicht für möglich gehalten – Vater und Sohn söhnen sich aus. Dann stirbt der Vater und der Sohn ist enterbt. Er hat dann zwar einen Pflichtteilsanspruch, ist aber überzeugt davon, dass der Vater das Testament so nicht mehr gewollt hat, nachdem das Verhältnis die letzten Jahre vor dessen Tod so gut war. Er hätte ihn zumindest so einsetzen wollen, wie es der gesetzlichen Erbfolge entspricht. Und das wäre wertmäßig jedenfalls das Doppelte des Pflichtteils.

Wie sind solche Fälle zu behandeln?

Einen solchen Fall hat das Oberlandesgericht Köln bereits 1990 entschieden (OLG Köln FamRZ 1990, 1038).

Dort war die Gegnerin des Sohnes die zweite Ehefrau seines verstorbenen Vaters. Aus der Ehe des Vaters mit der Stiefmutter sind keine Kinder hervorgegangen. Der Sohn entstammt der ersten Ehe seines Vaters, aus der auch eine Tochter hervorgegangen ist.. Aus der ersten Ehe der Stiefmutter des Sohnes sind vier Kinder hervorgegangen.

Der Vater hat gemeinsam mit der Stiefmutter einen notariellen Erbverzichts- und Erbvertrag geschlossen. Hierin haben die Eheleute gegenseitig auf ihre Erb- und Pflichtteilsrechte verzichtet und sodann vereinbart, dass jeder von ihnen zu seinen Erben anteilig seine leiblichen Kinder einsetzt.

Später haben die Eheleute … durch gemeinschaftliches notarielles Testament diesen Vertrag aufgehoben und folgendes verfügt:

„I.

Nach dem Ablauf von 7 Jahren und reiflicher Überlegung sind wir einverständlich übereingekommen, eine neue Verfügung von Todes wegen zu errichten.

II.

Wir setzen uns gegenseitig, der Erstversterbende den Längstlebenden, zum alleinigen und unbeschränkten Erben ein, gleichviel, ob und welche Pflichtteilsberechtigte beim Tod des Zuerstversterbenden von uns vorhanden sein werden …

III.

Für den Fall unseres gleichzeitigen Versterbens und für den Tod des Längstlebenden von uns bestimmen wir mit gleichen Anteilen zu unseren Erben: …“

Ausgeführt sind dann die vier Kinder der Stiefmutter. Der Sohn ist enterbt.

Auf ihren Antrag wurde der Stiefmutter nach dem Tode des Vaters ein Erbschein ausgestellt. In der Folgezeit erklärte der Sohn die Anfechtung des gemeinschaftlichen Testamentes vom und beantragte die Einziehung des Erbscheins. Diesen Antrag begründete er mit einem „Motivirrtum“ des Erblassers. Der Grund für die angefochtene letztwillige Verfugung sei die Fehlvorstellung des Erblassers gewesen, dass das persönliche Verhältnis zu seinen leiblichen Kindern, insbesondere zu seinem Sohn, aufgrund eines Streits um das Vermögen endgültig zerstört sei. Die Verfugung beruhe auf einem Motivirrtum des Erblassers, da er mit der später erreichten einvernehmlichen Lösung nicht gerechnet habe und in Kenntnis dieser späteren Entwicklung die Verfugung nicht getroffen hätte.

Hintergrund dieses Vorbringens ist folgendes:

Der Vater hatte 1984 Grundbesitz für DM 180.000,00 veräußert und im Vertrag angeordnet, dass der Verkaufserlös auf das Konto des Sohnes überwiesen und dieser auch beauftragt werde, das Geld für ihn, den Vater, zu verwalten. In der Folgezeit kam es zu Differenzen über die Verwaltung des Geldes, die 1985 zur Einschaltung eines Anwalts von Seiten des Vaters und zu einer Klage gegen den Sohne auf Herausgabe der – inzwischen mit dem Kauferlös erworbenen – Wertpapiere führten. Der Sohn stellte dann beim Amtsgericht den Antrag auf Entmündigung des Vaters und auch im Herausgabeprozess wurde die fehlende Prozessfähigkeit des Vaters geltend gemacht.

Der örtliche Pfarrer, bemühte sich um eine Vermittlung zwischen Vater und Sohn, nachdem ihm der Streit zwischen den beiden geworden war. Aufgrund dieser Vermittlung kam es zu einer Vereinbarung, die unter anderem regelte, daß Herr Pfarrer … das Vermögen des Erblassers in Zukunft treuhänderisch verwalten sollte. In der Vereinbarung hieß es weiter u.a.:

„5

Alle von Herrn … beabsichtigten Verfügungen, die das oben benannte Vermögen im ganzen oder teilweise betreffen, bedürfen der vorherigen Zustimmung des Treuhänders, insbesondere auch Erbvertrag, Schenkungen und Ähnliches. Bereits getroffene Verfügungen sind zu widerrufen.

Mündliche Absprachen und Zustimmungen werden mit diesem Vertrag gegenstandslos. Künftige mündliche Absprachen oder Zusagen sind unwirksam.

6.

Falls einer der Beteiligten – Herr … oder Pfarrer … – die Aufhebung dieses Treuhandvertrages wünscht, tritt mit der Aufhebung Herr … wieder in die Rechte eines Treuhänders ein, ohne dass es einer Neuregelung der Rechtsverhältnisse bedarf. In diesem Fall räumt der Treuhänder Herrn … wieder die alleinige Verfügungsbefugnis über die Konten ein, und zwar unverzüglich.

Im Falle des Todes des Treuhänders tritt Herr … ebenfalls wieder in die Rechte als Treuhänder ein, ohne dass es einer Neuregelung bedarf. Auch erhält er in diesem Fall die alleinige Verfügungsmacht über die Konten …

7.

Dieser Treuhandvertrag tritt in Kraft, wenn Herr … die Klage gegen Herrn … zurückgenommen hat.

Herr … verpflichtet sich, nach Inkrafttreten dieses Vertrages das beim Amtsgericht anhängige Entmündungsverfahren nicht weiter zu betreiben. Diese Verpflichtung geht auch die ebenfalls an diesem Verfahren beteiligte Frau … ein.“

Diese Vereinbarung wurde nacheinander vom Vater, dem Sohn, der Tochter und dem Pfarrer unterzeichnet. Danach fand ein Zusammentreffen des Vaters mit seinem Sohn und seiner Tochter statt.

Über die Weiterentwicklung des Verhältnisses zwischen dem Vater rund seinen leiblichen Kindern streiten die der Sohn und die Stiefmutter.

In der Folgezeit beauftragte der Vater einen Rechtsanwalt, der am 1987 beim Amtsgericht Akteneinsicht in die Akten des Entmündigungsverfahrens beantragte und dabei schrieb:

„Nunmehr möchte mein Mandant wieder unmittelbar Zugriff auf sein Vermögen nehmen. Aufgrund des bisher von Herrn … gezeigten Verhaltens ist damit zu rechnen, dass er erneut einen Entmündigungsantrag stellen wird, um dies zu verhindern. Es ist deshalb geboten, Einsicht in die oben angeführte Prozessakte zu nehmen.“

In der Folgezeit bis zum Tod ist der Rechtsanwalt in dieser Angelegenheit nicht weiter tätig geworden.

Die Stiefmutter trägt bei Gericht vor, Anlass für das Testament vsei die Sorge des Erblassers um die materielle Situation seiner Ehefrau, also ihre eigene Versorgung nach dem Tode ihres Ehemanns, gewesen.

Der Sohn hat demgegenüber geltend gemacht, bei der Änderung des Testaments habe es sich um eine „Bestrafungsaktion“ gehandelt, die der Vater später bereut und nicht mehr gewollt habe.

Die Entscheidung

Das Oberlandesgericht Köln stellte fest:

  • Richtig ist, dass der Sohn gem. §§ 2265, 2080 f., 2285, 2078 Abs. 2 das gemeinschaftliche Testament anfechten kann, wenn ein Motivirrtum im Sinne des § 2078 Abs. 2 BGB zu bejahen ist.
  • Es ist auch mit Recht davon auszugehen, dass das Gesetz in § 2078 Abs. 2 BGB in Abweichung von den allgemeinen Vorschriften der Irrtumsanfechtung (§ 119 BGB) auch die Anfechtung wegen eines Motivirrtums zulässt. Grund für diese Ausweitung ist das Ziel des Gesetzgebers, den wahren Willen des Erblassers im Bereich der letztwilligen Verfügung stärker zu berücksichtigen, als dies im sonstigen rechtsgeschäftlichen Verkehr möglich ist.
  • Zum Schutz der niedergelegten letztwilligen Verfügung ist es andererseits erforderlich, die Anfechtung auf besonders schwerwiegende Umstände zu beschränken, die gerade diesen Erblasser unter Berücksichtigung seiner ihm eigenen Vorstellungen mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren. Dabei reicht nicht jede Fehlvorstellung des Erblassers aus, sondern es muss sich um einen Irrtum über Umstände handeln, die bewegender Grund für den letzten Willen des Erblassers waren.
  • Richtig ist weiter, dass dazu auch ein grundlegender Irrtum über die künftige Entwicklung des Verhältnisses zu den von der Erbfolge ausgeschlossenen Kindern zählen kann. Dass sich der Irrtum auch auf künftige Umstände beziehen kann, ergibt sich schon aus dem Gesetzeswortlaut, weil in § 2078 Abs. 2 BGB von der „Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes“ die Rede ist. So ist in der Rechtsprechung anerkannt worden, dass ein Motivirrtum darin liegen kann, dass der Erblasser erwartet, dass zukünftige Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem Bedachten ausbleiben oder der Erblasser die nicht erfüllte Erwartung künftigen Wohlverhaltens des Erben ihm gegenüber hegt. Darüber hinaus ist auch ein grundlegender Irrtum über das sonstige Verhalten des Bedachten als ausreichend angesehen worden. Beispiel: Der Bedachte werde nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Sekte den Nachlass einer vernünftigen Verwertung entziehen. In diesem Sinne kann aber nicht nur eine nicht vorhergesehene Verschlechterung eines bisher guten Verhältnisses Grund für die Annahme eines Motivirrtums sein, sondern auch die Verbesserung eines schlechten Verhältnisses, wenn der entstandene Streit gerade Grund für die Niederlegung der letztwilligen Verfügung war. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die irrige Annahme des Erblassers nicht in der Verfügung selbst zum Ausdruck kommt.
  • Wenn ein Motivirrtum feststeht, steht der Anfechtung auch nicht entgegen, dass der Erblasser in der Folgezeit trotz Kenntniserlangung vom Irrtum nichts unternommen hat, um die letztwillige Verfügung von sich aus zu ändern Der Erblasser kann nämlich trotz des geänderten Willens aus Nachlässigkeit, Passivität oder Scheu vor den Kosten den Widerruf unterlassen haben oder aber infolge seiner rechtlichen Vorstellungen nach der eingetretenen Änderung von der Gegenstandslosigkeit der getroffenen letztwilligen Verfügung ausgegangen sein. Die Nichtänderung der letztwilligen Verfügung nach Kenntnis vom Irrtum kann zwar ein aussagekräftiger Umstand über den Willen des Erblassers, gleichwohl bei seiner letztwilligen Verfügung zu bleiben, sein, dazu ist aber die zusätzliche Feststellung erforderlich, dass der Erblasser nicht durch die genannten Umstände an einer Änderung gehindert worden ist.
  • Die erfolgreiche Irrtumsanfechtung setzt also im Streitfall voraus, dass 1. der Erblasser annehmen musste, der Streit mit seinem Sohn um das Geld werde nicht mehr beigelegt werden, 2. dieser Umstand entscheidender Beweggrund für die Errichtung des Testaments war und 3. diese Annahme des Erblassers über die Dauerhaftigkeit des Streits irrig war.
  • Im Fall war nach Ansicht des OLG noch folgendes als wichtig zu berücksichtigen, weshalb die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen wurde: Es war nicht ausreichend gewürdigt worden, dass der Pfarrer bei seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht bekundet hat, ab Unterschrift unter den Vertrag habe der Erblasser dankbar und erleichtert gewirkt, weil damit die familiäre Situation für ihn gelöst schien. Ferner ist aus dieser Aussage des Pfarrers noch nicht berücksichtigt, dass dieser bekundet hat, er habe dem Erblasser die Ziff. 5 der Vereinbarung erläutert und dem Erblasser erklärt, für den Fall, dass er etwa seine Kinder enterbt habe, solle das nicht mehr gelten. Der Erblasser habe darauf erwidert, das wolle er auch nicht. Diese Erklärungen könnten darauf hindeuten, dass aus der Sicht des Erblassers mit dem Abschluss der Vereinbarung die vorgenommene Enterbung seiner Kinder erledigt war. Bei Berücksichtigung dieser früheren Äußerungen des Erblassers könnten auch die Erklärungen des Erblassers auf der Intensivstation kurz vor seinem Tode anders zu beurteilen sein. Solange nicht festgestellt ist, dass sich der Erblasser auf der Intensivstation in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder Bewusstseinsstörung befand, sind auch Erklärungen in der Extremsituation des Menschen kurz vor seinem Tode nicht schon deshalb unbeachtlich, weil sie in einer Extremsituation getan wurden. Hier könnte jedenfalls der Zusammenhang mit den früheren Äußerungen zur Enterbung der leiblichen Kinder ergeben, dass sie einen fortdauernden Motivirrtum des Erblassers bestätigen. Ob ein Irrtum des Erblassers wegen Fortdauer des Streits gleichwohl im Ergebnis nicht bewiesen ist, wird weiter davon abhängen, welche Erklärungen der Erblasser gegenüber dem Zeugen Rechtsanwalt … abgegeben hat. Im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes reicht es insoweit nicht aus, als Beleg für die Fortdauer des Streits nur die Einschaltung des Anwalts durch den Erblasser und den Inhalt seines Schreibens an das Amtsgericht Brühl heranzuziehen. Schon vor dem Landgericht hatte der Sohn in Zweifel gezogen, ob der Anwalt überhaupt auf Initiative des Erblassers oder nicht vielmehr seiner Ehefrau eingeschaltet worden war und darauf hingewiesen, dass trotz der Einschaltung in der Folgezeit nichts weiter veranlasst worden sei. . Auch unter Berücksichtigung der früheren und späteren Erklärungen des Erblassers zur Erbenstellung seiner Kinder ist bei dieser Sachlage erforderlich, durch eine Vernehmung des Rechtsanwalts näheren Aufschluss darüber zu erhalten, mit welcher Ziel- und Willensrichtung der Erblasser damals handelte, insbesondere, ob es sich nur um eine vorübergehende Verstimmung aufgrund von Missverständnissen handelte, von denen der Zeuge … berichtet hat. Weiter könnte auch die vom Landgericht seinerzeit beschlossene aber nicht durchgeführte Anhörung der Stiefmutter Aufschluss darüber ergeben, auf wessen Veranlassung und mit welcher Zielrichtung der Erblasser damals handelte und warum er die Sache nicht weiterverfolgt hat. Erst unter Berücksichtigung auch der genannten Umstände und des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme werde sich abschließend beurteilen lassen, ob der Sohn einen Anfechtungsgrund nach § 2078 Abs. 2 BGB nachgewiesen habe.

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