Was bedeutet die EU-Erbrechtsverordnung für mich? Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
EU-Erbrechtsverordnung
1. Die Europäische Erbrechtsverordnung
Die neue Europäische Erbrechtsverordnung betrifft Erbrechtsfälle mit Auslandsbezug. Man schätzt, dass heute schon 10 % aller Erbrechtsfälle in der EU einen solchen Auslandsbezug aufweisen (z.B. Deutscher hinterlässt auch Finca in Spanien). Die neue Europäische Erbrechtsverordnung wird für Todesfalle ab dem 17. August 2015 grenzüberschreitende Erbfälle angewandt. Sie hat aus deutscher Sicht einige Änderungen gebracht. Mit dem Preis der Aufgabe klarer Anknüpfungspunkte (bisher bestimmte aus deutscher Sicht die Staatsangehörigkeit das Erbrecht) wie der Staatsangehörigkeit sollen seit 2015 Nachlassspaltungen vermieden werden. Die Anknüpfung erfolgt entweder an das Aufenthaltsrecht oder das (gewählte) Heimatrecht des Erblassers.
Im Klartext: Es gilt das Erbrecht des Wohnortes des Erblassers (für den Deutschen in Spanien also das jeweilige spanische Regionalerbrecht) oder sein von ihm im Testament gewähltes Heimatrecht (wenn er im Testament eine Rechtswahl trifft, dass das deutsche Erbrechte gelten soll).
Damit einher geht eine Erleichterung in verfahrensrechtlicher Hinsicht aufgrund einer
- Gesamtzuständigkeit der Behörden des Aufenthaltsstaates verbunden mit dem
- einheitlichen Nachlasszeugnis und der
- Anerkennung ausländischer Entscheidungen.
Tipp:
Alte Testamente auf Basis des bisherigen Rechtes müssen daher auf den Prüfstand gestellt und gegebenenfalls den seit August 2015 geltenden Regelungen angepasst werden. Für deutsche Erblasser besteht zwar für vor dem 17. 8. 2015 nach deutschem Recht errichtete Testamente und Erbverträge eine Rechtswahlvermutung zugunsten des deutschen Rechts (Art. 83 Abs. 4 EuErbRVO). Hier sollte aber Klarheit durch eine Rechtswahl im Testament geschaffen werden. Bei gesetzlicher Erbfolge gibt es keine Rechtswahlvermutung.
2. Hintergrund
Erben und Vererben betrifft so ziemlich alle Bürgerinnen und Bürger im Laufe ihres Lebens irgendwann einmal. Auch heute noch bestimmt jeder EU- Mitgliedstaat in seinem nationalen Erbrecht, wer Erbe wird, welche Höhe Erbteile oder Pflichtteile haben, welche Formvorschriften für Testamente gelten und auf welche Weise Erben ihre Rechte nachweisen können. Die nationalen Regelungen der EU-Mitgliedstaaten sind dabei ganz unterschiedlich ausgestaltet. Diese unterschiedlichen Regelungen können dazu führen, dass derselbe Erbfall in unterschiedlichen Staaten unterschiedlich beurteilt und behandelt wird. Auch werden Erbnachweise aus einem Mitgliedstaat der EU in den anderen Mitgliedstaaten häufig nicht anerkannt. Dadurch müssen Erben unter Umständen in verschiedenen Staaten parallel Erbnachweise beantragen.
Die EU-Verordnung schafft durch einfache und unbürokratische Regelungen Abhilfe.
In der Regel wird in Zukunft das Erbrecht des Staates angewendet, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Rechtsunsicherheit und bürokratischer Aufwand sollen durch die EU-Erbrechtsverordnung minimiert werden. Das EU-Erbrecht will die grenzüberschreitende Nachlassplanung und die Durchführung von Erbsachen mit EU-Bezug erleichtern. Der zunehmenden Mobilität vieler Menschen soll Rechnung getragen werden, denn für viele gehört es heute zum Alltag, sich in einem anderen EU-Staat niederzulassen und dort eine Familie zu gründen, ein Haus zu kaufen oder Geld anzulegen. Durch diese gesteigerte Mobilität mehren sich auch die Erbfälle mit Bezug ins EU-Ausland. Die Zahlen sprechen für sich: Bereits heute haben 10% aller Erbfälle in Europa einen grenzüberschreitenden Bezug, das sind etwa 450.000 Erbfälle mit einem Nachlasswert von ca. 120 Milliarden Euro.
3. Der Kernpunkt der Erbrechtsverordnung
Die Verordnung legt einheitliche Regeln darüber fest, welches Erbrecht auf einen internationalen Erbfall anzuwenden ist (Vereinheitlichung des internationalen Privatrechts). Dadurch, dass in allen Mitgliedstaaten der EU (außer Dänemark, Irland und Großbritannien, das seit dem Brexit ohnehin nicht mehr dazugehört) das anwendbare Erbrecht nach denselben Regeln bestimmt wird, wird die derzeitige Rechtszersplitterung bei der Beurteilung grenzüberschreitender Erbsachen künftig beseitigt.
Die allgemeine Regel besagt: Es wird das Erbrecht des Staates angewendet, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Für alle Menschen, die auf Dauer in Deutschland leben und dann versterben, gilt also künftig deutsches Erbrecht, gleichgültig welche Staatsangehörigkeit sie besitzen.
Durch ein Testament oder einen Erbvertrag kann der Erblasser stattdessen auch das Erbrecht des Staates wählen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Beispiel:
Ein dauerhaft auf Mallorca lebender Deutscher kann deutsches Erbrecht wählen. Dann wird er nach deutschem Recht beerbt. Wenn er dagegen keine Rechtswahl trifft, kommt künftig spanisches Erbrecht zur Anwendung, wenn der letzte gewöhnliche Aufenthalt Mallorca war.
4. Das Europäische Nachlasszeugnis
Die Verordnung hat außerdem ein „Europäisches Nachlasszeugnis“ eingeführt, das in allen Mitgliedstaaten der Verordnung einheitlich gilt. Damit können Erben und Testamentsvollstrecker in allen Mitgliedstaaten, in denen die Verordnung gilt, ihre Rechtsstellung einheitlich nachweisen. Darüber hinaus werden die nationalen Erbnachweise der Mitgliedstaaten, zum Beispiel der deutsche Erbschein, in den anderen Mitgliedstaaten nach den Regeln der Verordnung anerkannt. Erben müssen also künftig nicht mehr in jedem Mitgliedstaat einen neuen Erbnachweis beantragen.
5. Aber kein neues bzw. einheitliches Erbrecht in der EU
Dagegen ändert die Verordnung das nationale Erbrecht der Mitgliedstaaten nicht.
6. Die neue europäische Erbrechtverordnung gilt seit August 2015
Die Verordnung kommt für Todesfälle seit dem 17. August 2015 zur Anwendung.
7. Link mit dem genauen Wortlaut
Hier können Sie den genauen Wortlaut der neuen europäischen Erbrechtsverordnung nachlesen:
https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:201:0107:0134:DE:PDF
8. Gilt etwas durch die EuErbVO etwas Neues, wenn ein Deutscher in Deutschland stirbt?
Nein, hier bleibt alles beim Alten. Es gilt deutsches Erbrecht und Erbschaftsteuerrecht.
9. Was passiert mit einer in der Vergangenheit im Testament getroffenen Rechtswahl, dass deutsches Erbrecht für in Deutschland belegene Immobilien gelten soll?
Es ist nach Art. 25 Abs. 2 EGBGB möglich, dass ein Ausländer, für den ja in Deutschland grundsätzlich ausländisches Erbrecht gilt, für seine in Deutschland belegenen Immobilien eine Rechtswahl trifft, dass diese Inlandsimmobilien nach deutschem Erbrecht vererbt werden. Ab dem 17. August 2015 wird diese Rechtswahl unwirksam.
10. Wie wirkt sich die EU-Erbrechtsverordnung bei einem Spanienresidenten aus?
Grundsätzlich gilt ab August 2015 das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts, also bei einem Deutschen der dauerhaft in Spanien wohnt, das spanische Erbrecht (Davor war es grundsätzlich das Erbrecht der Staatsangehörigkeit, also das deutsche Erbrecht, und zwar auch für Vermögen in Spanien). Trotz seiner Ansässigkeit in Spanien kann der deutsche Spanienresident aber deutsches Erbrecht in seinem Testament wählen. Das haben dann auch die spanischen Gerichte und Behörden zu beachten.
Trifft der deutsche Spanienresident keine Rechtswahl und setzt seinen Ehegatten zum Alleinerben ein, ist zu beachten, dass die Kinder mangels Geltung deutschen Erbrechts dann nicht (nur) keinen Pflichtteilsanspruch in Geld haben, sondern stattdessen nach dem spanischen Erbrecht ein sogenanntes „Noterbrecht“ in Höhe von insgesamt mindestens 1/3 haben, das man auch nicht durch testamentarische Gestaltungen ausschließen kann.