Abkömmlinge haben Pflichtteilsergänzungsanspruch auch für Schenkungen vor ihrer Geburt. Erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
Abkömmlinge haben Pflichtteilsergänzungsanspruch auch für Schenkungen vor ihrer Geburt
Es ist eine wichtige Entscheidung für pflichtteilsberechtigte Kinder, Enkel und Urenkel. Nach einem wegweisenden BGH-Urteil vom 23.05.2012 (Az. IV ZR 250/11) haben Abkömmlinge nach einer Schenkung des Erblassers auch dann einen Pflichtteilsergänzungsanspruch, wenn sie zum Zeitpunkt dieser Schenkung noch nicht geboren waren. Der Bundesgerichtshof gab damit seine entgegenstehende frühere Rechtsprechung zu § 2325 Abs. 1 BGB auf.
Nach dem Gesetz hat der Pflichtteilsberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Ergänzung seines Pflichtteils, wenn der Erblasser zu Lebzeiten einen Teil seines Vermögens an einen Dritten verschenkt hat. Zur Berechnung des Pflichtteils wird der Wert des Geschenks deshalb zum Nachlass hinzugerechnet.
Nach dem BGH galt bislang: Um einen solchen Ergänzungsanspruch zu haben, musste der Betroffene nicht erst beim Erbfall, sondern schon zum Zeitpunkt der Schenkung pflichtteilsberechtigt und damit bereits geboren sein. Diese sog. „Theorie der Doppelberechtigung“ hat das Gericht 2012 verworfen. Die Begründung der Richter: Die bisherige Auffassung führe zu einer Ungleichbehandlung von Abkömmlingen, die mit dem im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei.
Mit der alten Rechtsprechung konnte es vorkommen, dass das ältere Kind des Erblassers wegen des Ergänzungsanspruchs einen höheren Pflichtteil erhielt als sein jüngeres Geschwisterkind, das erst nach der Schenkung geboren wurde. Dank der neuen Entscheidung ist jetzt ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht mehr vom zufälligen Umstand des Geburtszeitpunkts abhängig, was letztlich zu gerechteren Ergebnissen führt.