Pflichtteil
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Pflichtteil: Wer zahlt wann, wieviel? Erklärt von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht in Baden-Württemberg

Pflichtteil und Freiteil

Das Gesetz sieht vor, dass bestimmte Personen einfach etwas erben müssen. In uralter Zeit fiel das gesamte Vermögen immer an die Familie. Eigentlich gehörte es der Familie. Der Erblasser konnte nicht frei über sein Vermögen verfügen. Es entwickelte sich dann im Laufe der Jahrhunderte die Testierfreiheit. Man könnte beim Pflichtteilsrecht von einer „Notwehr gegen die Testierfreiheit“ sprechen. Wie gesagt, gehörte früher der Familie alles. Alles gehörte allen. Man konnte nicht frei vererben. Es herrsche eine Art „Familiensozialismus“. Wenn einer starb, brauchte man kein Testament. Es gehörte weiterhin allen alles. Der Verstorbene schied aus der Sippe aus. Die Burg gehört weiter allen. Ich vergleiche das Erbrecht gerne mit dem Wasser in einer Badewanne, in der alle sitzen und mit ihren Schiffchen und Entchen spielen. Steigt einer aus, sitzt halt einer weniger drin, aber er kann die Schiffchen und Entchen, mit denen er gespielt hat, nicht mitnehmen. Erst die Kirche löste einen Freiteil aus dieser Familiengebundenheit des Vermögens heraus. Was einem gehörte, ging jetzt nicht mehr alles automatisch an die Familie, sondern es gab nun einen „Freiteil“. Das ist der eigentliche Gegenbegriff zum Pflichtteil. Wenn „Mann“ zum Beispiel drei Söhne hatte, dachte man sich Jesus noch als vierten dazu, und so gab es einen Freiteil von 1/4. Der viel größere Familien- oder Pflichtteil blieb automatisch bei der Familie. Im Laufe der Zeit löste die Testierfreiheit diese Familiengebundenheit des Vermögens ab. Das Verhältnis Familiengebundenheit und Testierfreiheit kehrte sich um. Jetzt konnte der Erblasse frei im Testament bestimmen, wer sein Erbe werden sollte. Aber: Das familiengebundene Sippengut wurde mit dem Pflichtteil gegen die Testierfreiheit verteidigt. Deshalb kann man beim Pflichtteilsrecht durchaus von einem Recht zur Notwehr gegen die Testierfreiheit sprechen.  Das Pflichtteilsrecht will für Abkömmlinge, Ehegatte und Eltern des Erblassers ihre Beteiligung am Nachlass zumindest in Gestalt einer Geldforderung sichern. Man könnte den „Pflichtteil“ auch „Familienteil“ nennen. Alles klar?

Die Pflichtteilsberechtigten

Pflichtteilsberechtigt sind der Ehegatte und die Kinder. Wenn keine Kinder vorhanden sind, können auch die noch lebenden Eltern Pflichtteilsberechtigt sein. Sonst ist niemand auf dieser Welt pflichtteilsberechtigt, also insbesondere nicht Geschwister oder Nichten und Neffen. Diese können zwar über das Gesetz einen gesetzlichen Erbteil erben, aber nie einen Pflichtteil verlangen, wenn sie durch Testament ausgeschlossen sind. 

Pflichtteil kann verlangt werden, muss aber nicht

Das Pflichtteilsrecht ist in Deutschland so ausgestaltet, dass die Pflichtteilsberechtigten ihren Pflichtteil in Geld verlangen können aber nicht müssen. In der Regel machen zum Beispiel Kinder ihren Pflichtteil nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils nicht geltend, wenn die Familienverhältnisse gut sind oder ein Berliner Testament vorliegt. Sie könnten aber ihren Pflichtteil geltend machen, wenn der erstversterbende Elternteil den überlebenden Elternteil zum Alleinerben einsetzt. Nochmals: Der Grundsatz der Testierfähigkeit ermöglicht es den Erben völlig frei über seinen Nachlass zu verfügen, also er kann zum Beispiel sein gesamtes Vermögen völlig anderen Personen zuwenden, als seinen pflichtteilsberechtigten Familienangehörigen. Die pflichtteilsberechtigten Familienangehörigen können sich aber hiergegen wehren und können – wenn alle Pflichtteilsberechtigten ihren Pflichtteil geltend machen – die Hälfte des Nachlasswertes als Pflichtteil vom Erben beanspruchen. Im Ergebnis haben wir also zwar einen Freiteil von 100 %, dem aber ein Pflichtteil von 50 % gegenübersteht. Letztlich besteht Testierfreiheit nur über 50 % des Vermögens. 

Der Pflichtteil ist die Hälfte des normalen Erbes in Geld

Wir Juristen definieren den Pflichtteil als Mindestbeteiligung am Nachlass und am verschenkten Vermögen des Erblassers. Der Pflichtteil ist die Hälfte vom normalen Erbteil, also vom gesetzlichen Erbteil, in Geld. Wenn zum Beispiel der Erblasser verheiratet ist und zwei Kinder hat, beträgt der gesetzliche Erbteil für den Ehegatten im Normalfall ½ und für die beiden Kinder je ¼. Der Pflichtteil für den Ehegatten wäre somit grundsätzlich ¼ und für die beiden Kinder je 1/8. 

Der Pflichtteil ist, wie gesagt, ein Geldanspruch, man wird also nicht in Pflichtteilshöhe Miterbe wie dies in anderen Ländern der Fall ist. Der Pflichtteil geht nur auf Geld. Dieser Geldanspruch ist aber bereits mit dem Tod des Erblassers zur Zahlung fällig, auch wenn er noch gar nicht der Höhe nach feststeht.

Der Pflichtteil verjährt nach drei Jahren zu Silvester

Der Pflichtteil ist ein Geldanspruch und verjährt wie alle Geldansprüche. Er verjährt drei Jahre nach Ende des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte vom Anspruch erfahren hat. Das bedeutet also im Regelfall, dass der Pflichtteilsberechtigte im Todesjahr vom Tod des Elternteils, das verstorben ist, erfährt. Zu Silvester beginnt dann die Verjährung zu laufen, und zwar auf drei Jahre. Stirbt der Erblasser am 02.12.2014 beginnt die Verjährung zu Silvester 2014 und endet zu Silvester 2017. Danach ist der Pflichtteilsanspruch verjährt. 

Da der Pflichtteilsanspruch ein reiner Geldanspruch ist, hat der Pflichtteilsberechtigte, zum Beispiel der enterbte Sohn, kein Anspruch darauf bestimmte Gegenstände aus dem Nachlass zu verlangen. Er bekommt nur Geld.

Wie der Pflichtteil berechnet wird

Um den Pflichtteil zu berechnen, müssen alle Gegenstände in einem Nachlassverzeichnis aufgelistet werden. Danach muss der Nachlass bewertet werden. Gerade bei Immobilien ist dies sehr interessant und erfordert große Erfahrung. Vom Gesamtwert des Nachlasses werden dann die Nachlassschulden abgezogen und aus der Differenzsumme ergibt sich dann der Pflichtteil. 

Beispiel:

Nachlasswert aktiv 500.000,00 €
./. Schulden mit Beerdigungskosten, etc.100.000,00 €
= Reinnachlass 400.000,00 €
hiervon Pflichtteil 1/8 für Pflichtteilsberechtigten 50.000,00 €

Im Beispielsfall hat der Pflichtteilsberechtigte also einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 50.000,00 €. 

Dabei ist zu beachten, dass der Pflichtteil immer nur aus der Vermögenshälfte des verstorbenen Ehegatten berechnet wird. Wenn also beiden Eheleute ein Haus je zur Hälfte gehört, wird der Pflichtteil nur aus dem Wert der Haushälfte berechnet. 

Schenkungen an den Ehegatten führen zu Pflichtteilsansprüchen

Zu beachten ist hierbei aber immer, dass Schenkungen, die der eine Ehegatte dem anderen gemacht hat, immer in die Pflichtteilsberechnung einzubeziehen sind, und zwar auch dann, wenn sie beispielsweise 30 oder 40 Jahre zurückliegen. Hätte im Beispielsfall also der Ehemann die Haushälfte der Ehefrau finanziert und aus seinem Vermögen bezahlt, wäre dann also doch das gesamte Haus in die Pflichtteilsberechnung einzubeziehen. 

Der Ehegatten-Pflichtteil

Ehegatten haben einen besonderen Anspruch auf den Pflichtteil. Sie können nämlich zwischen dem kleinen und dem großen Pflichtteil wählen. Schlagen sie zum Beispiel die Erbschaft aus, können sie den kompletten Zugewinn und zusätzlich vom Rest einen kleinen Pflichtteil von 1/8 verlangen. 

Nehmen Sie hingegen die Erbschaft an, beträgt ihr Pflichtteil bei der Zugewinngemeinschaft ¼ des Nachlasses. Bleibt der Wert ihres Erbes zum Beispiel hinter einem Viertel des Nachlasswertes zurück, können sie den Rest also Pflichtteil verlangen. Das Pflichtteilsrecht ist sehr kompliziert. Hier kann nur ein kleiner Überblick gewährt werden. Deshalb empfiehlt es sich immer nach einem Todesfall mit dem Testament zum Fachanwalt für Erbrecht zu gehen, um Pflichtteilsansprüche prüfen zu lassen; denn auch wenn man als Erbe eingesetzt ist, kann man Pflichtteilsansprüche haben. Ist der Wert dessen, was man als Erbe erhält als der Pflichtteil hat man bezüglich des Restes einen Pflichtteilsanspruch. Es gibt auch raffiniert gestaltete Testamente, in denen man beispielsweise als Erbe eingesetzt wird aber zum Beispiel so beschwert oder beschränkt wird, dass man vom Erbe nichts oder kaum etwas hat. Zum Beispiel kann der Vater die Kinder als Erben einsetzen, aber seiner wesentlich jüngeren zweiten Ehefrau den Nießbrauch am Nachlass zuwenden. Ist die zweite Ehefrau in etwa so alt wie die Kinder, werden diese möglicherweise nie an ihr Erbe kommen, weil ja der Nießbrauch als Nutzungsrecht bis zum Tod der zweiten Ehefrau gilt. Hier haben die Kinder die Möglichkeit die mit dem Nießbrauch belastete Erbschaft auszuschlagen und stattdessen den Pflichtteil zu verlangen. Das macht oft Sinn. Das kann auch Sinn machen, wenn zum Beispiel eine Testamentsvollstreckung auf Lebenszeit der erbenden Kinder angeordnet wird. Wollen sie sich nicht ewig vom Testamentsvollstrecker maßregeln lassen, schlagen sie die Erbschaft aus und verlangen stattdessen den Pflichtteil. Der Pflichtteil beträgt ja die Hälfte des Wertes des normalen Erbteils und ist als Geldsumme oft attraktiver, als eine schwierige oder durch Testamentsvollstreckung oder Vermächtnisse beschränkte und ausgefüllte Erbschaft. 

Der Schenkungs-Pflichtteil 

Neben dem normalen oder ordentlichen Pflichtteil gibt es noch den sogenannten außerordentlichen Pflichtteil. Wir Juristen sprechen hier von einem „Pflichtteilsergänzungsanspruch“. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch schützt die Erben davor, dass der Erblasser vor seinem Tod die Sachen einfach noch wegschenkt, um so seinen Nachlass zu schmälern. Schenkungen aus den letzten zehn Jahren werden immer dem Nachlass hinzugerechnet. Schenkungen unter Nießbrauchsvorbehalt oder Wohnungsrechtsvorbehalt können auch dann noch dem Nachlass zugerechnet werden, wenn sie länger als zehn Jahre, beispielsweise 30 Jahre zurückliegen. Schenkungen an den Ehegatten werden immer dem Nachlass hinzugerechnet, egal wie lange sie zurückliegen. Dies wird oft übersehen.

Pflichtteilsberechtigter kann Nachlassverzeichnis verlangen

Die Pflichtteilsberechtigten haben das Problem, dass sie oft die Erbschaft nicht kennen. Sie haben einen Anspruch auf ein Nachlassverzeichnis. Dieses Nachlassverzeichnis muss normalerweise nicht mit Unterlagen, zum Beispiel Kontoauszügen, belegt werden. Hier hat der Gesetzgeber auf die Ehrlichkeit der Erben vertraut. Betrügen sie hier, begehen sie auch eine Straftat. Die Frage ist natürlich, ob die dann auch wirklich einmal herauskommt. Deshalb empfiehlt es sich bereits zu Lebzeiten so viele Informationen wie möglich zu sammeln.

Pflichtteilsentziehung

Der Anspruch auf den Pflichtteil kann normalerweise nicht entzogen werden. Hier müssen schlimmste Dinge, wie zum Beispiel ein Mordversuch oder Straftaten vorliegen, die zu einer Pflichtteilsentziehung berechtigen.

Pflichtteilsprozess

Zahlt der Erbe den Pflichtteil nicht freiwillig, kommt es zum Gerichtsprozess. Der Pflichtteilsprozess vollzieht sich normalerweise in drei Stufen. Auf der ersten Stufe wird Auskunft verlangt, auf der zweiten Stufe die Wertermittlung durch Sachverständigengutachten und auf der dritten Stufe die Zahlung des Pflichtteils. Es sind also drei Prozesse in einen verpackt. Eigentlich kann man einen Pflichtteilsprozess nicht wirklich verlieren. Pflichtteilsberechtigte sollten also ihre Rechte mit Hilfe eines Fachanwalt für Erbrecht durchsetzen

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Wichtig: Auch wenn sich auf unserer Homepage vieles für Sie einfach darstellen mag, fehlt auch dem intelligentesten Laien der Gesamtüberblick im Erbrecht. Oft werden schwierigste Punkte, die scheinbar im Vordergrund stehen, verstanden, grundlegende andere Probleme, die für den konkreten Fall wirklich entscheidend sind, aber gar nicht gesehen. Wir empfehlen Ihnen daher, unsere günstige Erstberatung, bei der sie auf jeden Fall eine Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung kostenlos erhalten. Sparen Sie nicht am falschen Ort. Oft müssen die Erben später viele Jahre prozessieren und Zigtausende an Anwalts- und Gerichtskosten zahlen, nur weil der Erblasser die geringen Erstberatungskosten sparen wollte.

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