Vergessene Schlusserbeneinsetzung im notariellen Testament. Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby
Vergessene Schlusserbeneinsetzung im notariellen Testament
Frage:
Mein Vater ist 2010 verstorben, meine Mutter bereits 2000 vorverstorben. Ich habe noch einen Bruder. Mein Vater hatte ein Lebensgefährtin. Er hatte 1992 mit meiner Mutter bei einem Notar ein Testament errichtet, das im wesentlichen lautete
„… § 2: Wir setzen uns gegenseitig zu Erben ein, so dass der Längstlebende von uns der alleinige Erbe des zuerst Versterbenden sein soll. Der überlebende Teil ist hinsichtlich unseres beweglichen und unbeweglichen Vermögens unbeschränkter Vollerbe, falls er nicht wieder heiratet. Sollte der überlebende Teil wieder heiraten, so wird er nur als Vorerbe eingesetzt. Er ist als solcher hinsichtlich unseres beweglichen und unbeweglichen Vermögens von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit, soweit dies möglich und nicht durch Teilungsanordnung bezüglich einzelner Gegenstände gesondert geregelt ist. Der Nacherbfall tritt mit der Wiederverheiratung des überlebenden Teils ein. – § 3: Als Nacherben bestimmen wir unsere gemeinschaftlichen ehelichen Abkömmlinge: a) (Bet. zu 2), a) (Bet. zu 3) zu gleichen Teilen. Sollte eines dieser Kinder vorverstorben sein, so sollten dessen Nachfolger den Erbteil des Vorverstorbenen erben. Sind keine Nachfolger da, so soll Ersatzerbe sein das andere Kind. – § 4: Sollte einer unserer Erben nach dem Tode des Erstversterbenden die Auszahlung seines Erbteils verlangen, so soll er auf den Pflichtteil gesetzt werden. Sollte der vorgenannte Fall eintreten, so soll das Kind, das die Auszahlung verlangt hat, auch nach dem Tod des Längstlebenden nur seinen Pflichtteil erhalten. – § 5 …“.
(Anmerkung: Bei diesem Testament ist offensichtlich einiges schief gelaufen, wie es passieren kann, wenn Textbausteine in der Hektik nicht sauber bearbeitet werden und dann das Testament schnell runtergelesen wird oder vielleicht nach Textänderungen vom Notar gar nicht mehr vollständig vorgelesen wird. Dies sind Fehler des PC-Zeitalters und Fehler bei Urkunden, die nach Diktat gefertigt wurden. Die Sekretärin hört halt auch manches falsch und versteht es nicht. Und wenn man dann drüberliest ist das Chaos perfekt. Der 4.12.92 war übrigens ein Freitag also der letzte Tag einer vielleicht langen und anstrengenden Arbeitswoche und er Notar wollte schnell ins Wochenende oder in den Skiurlaub. Die Teilungsanordnung bei einem Alleinerben macht überhaupt keinen Sinn. Wenn davon die Rede ist, dass einer unserer Erben nach dem Tod des Erstversterbenden seinen Erbteil verlangt, macht das überhaupt keinen Sinn. Der überlebende Ehegatte war ja Alleinerbe, so dass die Kinder kein Erben waren und schon gar keinen Erbteil verlangen konnten. War damit etwa gemeint: „Sollte einer unserer Schlusserben nach dem Todes des Erstversterbenden die Auszahlung seines Pflichtteils verlangen, so soll er auch für den Schlusserbfall auf den Pflichtteil gesetzt sein.“)
Dann errichtete mein Vater 2007 in Österreich vor einem öffentlichen Notar ein Testament. Dieses lautet im Wesentlichen wie folgt:
„Ich, …, errichte hiermit im Zustande der vollen Besonnenheit, mit Überlegung und Ernst, frei von Zwang, Betrug und wesentlichem Irrtum meinen letzten Willen wie folgt: I. Ich setzte meine Lebensgefährtin (= Bet. zu 1 zur Erbin meines gesamten wie immer Namen habenden und wo immer befindlichen beweglichen und unbeweglichen Nachlassvermögens ein. – II. Meine Kinder (= Bet. zu 2 und Bet. zu 3) setze ich auf den ihnen gebührenden Pflichtteil, in welchen alles einzurechnen ist, was nach dem Gesetz eingerechnet werden kann. – III. Ich widerrufe hiermit alle von mir etwa früher errichteten letztwilligen Anordnungen und erkläre diese für aufgehoben, null und nichtig….“
Die Lebensgefährtin hat einen Alleinerbschein beantragt. Mein Bruder und ich sind der Auffassung, dass unsere Eltern uns in ihrem Testament aus 1992 zu Schlusserben eingesetzt haben. Zwar enthält dieses Testament keine ausdrückliche Bezeichnung von uns beiden Kinder als Schlusserben. Dies ergibt sich jedoch im Wege der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments unserer Eltern. Ich habe dann 2010 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der bezeugt, dass unser Vater von mit und meinem Bruder beerbt worden ist. Zu Recht?
Antwort:
Das OLG München hat Ihren Fall im Wege der erläuternden = einfachen Auslegung entschieden. Es vertritt die Auffassung, dass von einer Erbenstellung von Ihnen und Ihrem Bruder auszugehen ist. Zwar haben Ihre Eltern in ihrem gemeinschaftlichen Testament keine ausdrückliche Schlusserbeneinsetzung getroffen. Allerdings kommt eine solche im Wege der Auslegung in Betracht. Hierfür kann insbesondere sprechen, dass Ihre Eltern eine Pflichtteilstrafklausel zu Lasten von Ihnen als Kindern vorgesehen hatten. Dies erlaubt den Schluss, dass die Eheleute von der Erbenstellung der Kinder als selbstverständlich ausgegangen sind.
Das OLG München führt wörtlich aus:
„Entscheidend ist der wirkliche Wille der Testierenden. Diesem kommt also auch im Falle eines „klaren und eindeutigen“ Wortlauts der Vorrang zu, so dass der Auslegung durch den Wortlaut keine Grenzen gesetzt sind. Insbesondere dann, wenn gemeinschaftliche Abkömmlinge vorhanden sind, ist nach den allgemeinen für die Auslegung letztwilliger Verfügungen geltenden Regeln eingehend zu prüfen, ob sich der testamentarische Wille der Ehegatten feststellen lässt, dass der beidseitige Nachlass nach dem Tode des Längstlebenden an die Abkömmlinge fallen solle (BayObLGZ 1959 199, 204). Dabei ist auch dasjenige zu berücksichtigen, was, ohne besonders ausgesprochen zu sein, die Voraussetzung des Ausgesprochenen bildet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine letztwillige Verfügung bezüglich eines wesentlichen Punktes insofern stillschweigend erfolgt, als der Wille des Erblassers sich hinter anderen Bestimmungen versteckt und lediglich aus dem übrigen Testamentsinhalt zu entnehmen ist. Nicht selten erscheint einem Erblasser gerade das Bedeutsamste so selbstverständlich, dass er es neben seinen einzelnen Sonderanordnungen nicht ausdrücklich niederlegen zu müssen glaubt. Diese auf den wahren Willen des Erblassers gerichtete Testamentsauslegung findet nur darin eine Grenze, dass der Wille des Erblassers im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise, unvollkommen oder verdeckt Ausdruck gefunden haben muss
In Ihrem Fall legt insbesondere die Kombination von Wiederverheiratungs- und Pflichtteilsklausel den Schluss nahe, dass der Wille der Ehegatten darauf gerichtet war, eine umfassende und abschließende Verfügung bezüglich ihres Nachlasses zu treffen und auch den zweiten Erbfall mit regeln zu wollen. Durch die Anordnung der Wiederverheiratungsklausel und der Einsetzung der Kinder als Nacherben kommt der Wille beider Eheleute zum Ausdruck, für den Fall der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten den Nachlass zu Gunsten der gemeinsamen Kinder zu sichern. Daher ist es gerechtfertigt davon auszugehen, dass Ihre Eltern durch die Anordnung der Pflichtteilsklausel nicht nur den Zweck verfolgten, das Verhalten der Kinder zu sanktionieren und dem überlebende Ehegatten den ungeschmälerten Genuss des Nachlasses zu sichern, sondern sie zugleich von der Vorstellung ausgingen, dass die Kinder nach dem Tod des überlebenden Ehegatten in den Genuss des gemeinsamen Vermögens kommen sollten. Schließlich hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder wechselbezüglich gem. § 2270 BGB war, so dass der vom Erblasser durch das Testament zu Gunsten seiner Lebensgefährtin erklärte Widerruf gem. § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB unwirksam war.
Quelle und Vertiefungshinweis: OLG München vom 16. 7. 2012, 31 Wx 290/1124 in NJW-RR 2013, 202.