Was ist eigentlich ein „Vermächtnis“? Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht, Konstanz, Radolfzell, Rottweil, Villingen-Schwenningen.
Was ist eigentlich ein „Vermächtnis“?
Das Vermächtnis ist die Zuwendung eines einzelnen Vermögensvorteils von Todes wegen. Sie kann vom Erblasser in einem Testament oder einem Erbvertrag getroffen werden. Im Unterschied zur Erbeinsetzung wird der Vermächtnisnehmer nicht Erbe (Unterscheide vererben und vermachen!).
Bildlich gesprochen ist die Erbschaft ein See oder Fischteich, der mit dem Tod es Erblassers dem oder den Erben gehört. Dem Vermächtnisnehmer gehört der See nicht. Aber er hat eine Angel, mit der er aus dem Nachlass einen Fisch herausziehen kann. Er muss also selbst aktiv werden (die Angel auswerfen = bei den Erben vorsprechen) und das Vermächtnis verlangen.
Der Schwerpunkt der gesetzlichen Regelung des Vermächtnisses befindet sich im deutschen Recht in den §§ 2147 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
1. Rechtsnatur
Das Vermächtnis besteht gemäß § 1939 BGB in der Zuwendung eines Vermögensvorteils aus dem Nachlass an den Bedachten (Vermächtnisnehmer).
Gegenstand eines Vermächtnisses kann sein die Zuwendung von Vermögenswerten wie Sachen, Geld, Forderungen, Wohnrechten, oder von Handlungen (Tun oder Unterlassen) des Beschwerten, also auch von Dienstleistungen oder dem Erlass einer Forderung.
Allerdings erwirbt beim Vermächtnis der Bedachte den vermachten Vermögensvorteil nicht von selbst (ein solches sogenanntes Vindikationslegat kennt das deutsche Recht nicht). Vielmehr erwirbt der Bedachte nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Verschaffung des Zugewendeten (sogenanntes Damnationslegat), also das Recht, die Erfüllung dieses Anspruchs von dem mit dem Vermächtnis Beschwerten zu fordern (§ 2174 BGB).
Mit dem Vermächtnis beschwert ist derjenige, der nach dem Willen des Erblassers den Anspruch des Vermächtnisnehmers aus dem Nachlass erfüllen soll, also meist der Erbe oder mehrere Erben. Es kann aber auch ein anderer Vermächtnisnehmer seinerseits mit einem Vermächtnis (sogenanntes Untervermächtnis) beschwert werden (§ 2147 BGB).
Dadurch, dass das Vermächtnis nur einen Anspruch begründet, der erst vom Beschwerten erfüllt werden muss, unterscheidet es sich von der Erbeinsetzung, bei der mit dem Tod des Erblassers dessen Vermögen von selbst auf den Erben oder eine Mehrheit von Erben übergeht (sogenannte Gesamtrechtsnachfolge).
Das Vermächtnis ist im Übrigen von der Auflage zu unterscheiden. Die Auflage ist in den §§ 2192 ff. des BGB geregelt. Während das Vermächtnis dem Begünstigten einen eigenen, einklagbaren Anspruch auf Erfüllung einräumt, ist dies bei der Auflage nicht der Fall.
1.1 Was ist der Unterschied zwischen „vererben“ und „vermachen“?
Das ist der gleiche Unterschied wie zwischen einem Erben und einem Vermächtnisnehmer.
Während der Erbe Gesamtnachfolger des Erblassers ist, auf den (bei einer Erbengemeinschaft zusammen mit den weiteren Miterben) der gesamte Nachlass ohne weiteres und einheitlich übergeht, ist der Vermächtnisnehmer nicht unmittelbarer Rechtsnachfolger des Erblassers. Ihm fällt das Zugewandte nicht unmittelbar zu, sondern er hat nur einen Anspruch gegen den Erben auf Übertragung des vermachten Gegenstandes.
Ist z.B. dem A ein Grundstück vermacht, so wird er mit dem Tode des Erblassers nicht Eigentümer, sondern A erlangt nur eine Forderung gegen den Erben, dass dieser ihm das Eigentum an dem Grundstück überträgt. Die Übertragung ist ein Rechtsgeschäft unter Lebenden und erfolgt durch Auflassung vor einem Notar und Eintragung des A als neuer Eigentümer im Grundbuch.
Das Vermächtnis ist nach deutschem Recht demnach die Begründung einer Forderung, und zwar auf einen Vermögenswert zu Gunsten des Bedachten (sog. Vermächtnisnehmer) und zu Lasten eines anderen, des Beschwerten. Mit dem Erbfall entsteht ein Schuldverhältnis zwischen dem Bedachten und dem Beschwerten, auf das grundsätzlich, soweit nicht Sondervorschriften Platz greifen, die allgemeinen Vorschriften über Schuldverhältnisse Anwendung finden.
Durch die Begründung einer Forderung des Bedachten unterscheidet sich das Vermächtnis von der Auflage.
Ein Vermächtnis beruht immer auf Verfügung von Todes wegen, also auf Testament oder Erbvertrag.
Die Anordnung des Vermächtnisses braucht nicht unter der Bezeichnung „Vermächtnis“ oder „vermachen“ erfolgen. Entscheidend ist, ob der Erblasser den Bedachten im Testament zu seinem Gesamtnachfolger machen wollte (dann Erbeinsetzung) oder nicht (dann Vermächtnis bei Zuwendung nur eines einzelnen Vermögenswertes). Im Zweifel ist die Zuwendung eines einzelnen Gegenstandes als Vermächtnisanordnung anzusehen, und zwar sogar dann, wenn der Bedachte als Erbe bezeichnet wird (z.B. „Erbe meines Autos wird A“).
Die Bezeichnung Vermächtnis wird verschieden gebraucht. Es wird darunter sowohl die Vermächtnisanordnung im Testament wie die Vermächtnisforderung nach dem Erbfall verstanden.
1.2 Was ist, wenn der Vermächtnisgegenstand gar nicht mehr im Nachlass ist?
Nicht selten wird in Testamenten verfügt, dass bestimmte Personen bestimmte Gegenstände des Erblassers nach dessen Tod erhalten sollen. Nach dem Tod des Erblassers sind sie dann aber oft gar nicht mehr im Nachlass vorhanden, z.B. weil sie zu Lebzeiten verkauft oder verschenkt wurden. Kann in solchen Fällen der Vermächtnisnehmer Wertersatz vom Erben für den Gegenstand verlangen?
Grundsätzlich gilt, dass Vermächtnisse unwirksam sind, wenn sich der Vermächtnis-Gegenstand zur Zeit des Erbfalls nicht mehr im Nachlass befindet; es sei denn, dass der Gegenstand auch in diesem Fall dem Bedachten zukommen soll. Dies müsste aber nachgewiesen werden. Ist ein Gegenstand nach der Errichtung des Testaments mit der Vermächtnisbestimmung untergegangen, also beschädigt oder vernichtet bzw. entwendet worden, geht der Ersatzanspruch auf den Erben über, wenn denn der Erblasser einen solchen Ersatzanspruch hat.
Das OLG Rostock hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der spätere Erbe noch zu Lebzeiten des Erblassers ein Auto verkauft hatte, das nach dem Testament einem anderen zugedacht war. Der Erbe konnte eine schriftliche Erklärung des Erblassers vorlegen, nach der das Fahrzeug verkaufen sollte und auch eine entsprechende Vollmacht. Der Bedachte hätte nun beweisen müssen, dass dem Erblasser ein Ersatzanspruch gegen den Erben zugestanden hätte, weil die Vollmacht nicht wirksam erteilt worden war, z.B. wegen Geschäftsunfähigkeit. Dies gelang ihm nicht, so dass er mit seinem Antrag auf Ersatz des Wertes des Fahrzeugs bei Gericht abgewiesen wurde.
2. Verfügung und Inhalt
Zur Aussetzung eines Vermächtnisses ist die Benutzung bestimmter Worte im Testament oder im Erbvertrag nicht erforderlich. Nach der in § 2087 BGB enthaltenen Auslegungsregel liegt in der Zuwendung nur einzelner Gegenstände im Zweifel die Anordnung eines Vermächtnisses. Verfügt der Erblasser beispielsweise: „Mein Jagdgewehr erhält mein Freund …, alles andere was ich besitze vermache ich meinem Sohn“, so ist der Sohn Erbe und der Freund Vermächtnisnehmer. Das bedeutet, dass der Sohn mit dem Tode in alle Vermögenspositionen des Erblassers einrückt, der Freund dagegen einen Anspruch gegen den Sohn als Erben auf Verschaffung des Eigentums am Gewehr und auf Herausgabe desselben hat. In der Praxis ist häufig gerade bei privaten Testamenten juristischer Laien nicht ohne weiteres zu erkennen, was der Erblasser gewollt hat.
2.1 Bedingtes Vermächtnis
Die Forderung des Vermächtnisnehmers kommt grds. mit dem Erbfall zur Entstehung. Man nennt dies Anfall des Vermächtnisses. Der Anfall kann vom Erblasser aber auch auf einen späteren Zeitpunkt gelegt werden. Ist das Vermächtnis unter einer aufschiebenden Bedingung angeordnet, so erfolgt der Anfall des Vermächtnisses erst mit dem Eintritt der Bedingung.
- In diesem Fall soll das Vermächtnis im Zweifel nur gelten, wenn der Bedachten den Eintritt der Bedingung erlebt (vgl. § 2074 BGB). Verstirbt der Vermächtnisnehmer also nach dem Erbfall des Erblassers aber vor Bedingungseintritt, ist noch kein Anwartschaftsrecht auf das Vermächtnis entstanden, das auf seine Erben übergehen könnte. Der Vermächtnisnehmer und seine Erben gehen leer aus.
- Etwas anderes gilt aber, wenn der Vermächtnisnehmer ein Abkömmling des Erblassers ist. Dann gilt die Auslegungsregel, dass die Abkömmlinge des Bedachten als Ersatzvermächtnisnehmer an dessen Stelle treten. Erleben sie den Bedingungseintritt entsteht das das Vermächtnis in ihrer Person.
2.2 Befristetes Vermächtnis
Die Forderung des Vermächtnisnehmers kommt grds. mit dem Erbfall zur Entstehung. Man nennt dies Anfall des Vermächtnisses. Der Anfall kann vom Erblasser aber auch auf einen späteren Zeitpunkt gelegt werden. Ist das Vermächtnis unter Bestimmung eines Termins angeordnet, so erfolgt der Anfall des Vermächtnisses erst mit dem Termin.
Hier ist zu unterscheiden:
- Ist der Vermächtnisnehmer kein Abkömmling des Erblassers und stirbt der Vermächtnisnehmer vor dem Erbfall gehen er und seine Erben leer aus.
- Ist der Vermächtnisnehmer ein Abkömmling des Erblassers und stirbt der Vermächtnisnehmer vor dem Erbfall sind seine eigenen Abkömmlinge im Zweifel Ersatzvermächtnisnehmer.
- Stirbt der Vermächtnisnehmer nach dem Erbfall aber vor dem Eintritt des Termins, vererbt er die bereits entstandene Anwartschaft auf das Vermächtnis an seine Erben.
2.3 Fälligkeit des Vermächtnisses
Das Vermächtnis ist grundsätzlich mit dem Anfall des Vermächtnisses fällig, also grundsätzlich mit dem Erbfall oder mit einem späteren vom Erblasser bestimmten Anfallszeitpunkt. Der Erblasser kann aber auch einen späteren Zeitpunkt als den Anfallszeitpunkt als Fälligkeitszeitpunkt bestimmen (vgl. § 271 BGB).
3. Besondere Formen des Vermächtnisses
3.1 Ersatzvermächtnisnehmer
Für den Fall, dass der Bedachte bei Eintritt des Erbfalles nicht mehr lebt, kann der Erblasser eine andere Person als Ersatzvermächtnisnehmer bestimmen, § 2190 BGB
3.2 Nachvermächtnis
Ein Nachvermächtnis liegt vor, wenn der Erblasser einen Vorvermächtnisnehmer und einen Nachvermächtnisnehmer bestimmt hat. Der Nachvermächtnisnehmer soll dann nach Eintritt eines Ereignisses von dem Vorvermächtnisnehmer den Gegenstand fordern können.
3.3 Verschaffungsvermächtnis
Beim Verschaffungsvermächtnis richtet sich die Verfügung des Erblassers auf einen Gegenstand, der nicht zum Nachlass gehört. Der mit dem Vermächtnis Beschwerte muss dann den Gegenstand mit Mitteln des Nachlasses erwerben und dem Vermächtnisnehmer verschaffen. Allerdings ist § 2169 BGB zu beachten, wonach grundsätzlich ein Vermächtnis unwirksam ist, wenn es sich auf einen nicht zum Nachlass gehörenden Gegenstand bezieht. Ein Verschaffungsvermächtnis darf deshalb nur angenommen werden, wenn feststeht, dass der Erblasser trotzdem den Gegenstand zuwenden wollte.
3. 4 Vorausvermächtnis
Beim Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) wird das Vermächtnis einem (Mit-)Erben selbst zugewendet, d.h. er ist sowohl Erbe als auch Vermächtnisnehmer. Er erhält einen bestimmten Gegenstand aus dem Nachlass ohne Anrechnung auf seinen Erbteil. In der Praxis bereitet es immer wieder Schwierigkeiten, das Vorausvermächtnis von der Teilungsanordnung abzugrenzen. Im Fall der Verfügung: Mein Aktiendepot erhält mein Sohn A, das übrige Vermögen erhalten meine Söhne A und B zu gleichen Teilen, bleibt unklar, ob der Erblasser den A begünstigen wollte (dann Vorausvermächtnis) oder einen Ausgleich für das Aktiendepot anstrebte (dann Teilungsanordnung). Nach der Rechtsprechung ist das Vorausvermächtnis regelmäßig schon vor der Erbauseinandersetzung zu befriedigen.
3. 5 Universalvermächtnis
Ein Universalvermächtnis liegt vor, wenn der Erblasser einem Dritten die gesamte Erbschaft mittels Vermächtnis zuwendet und dabei deutlich gemacht hat, dass die Auslegungsregel des § 2087 BGB nicht gelten soll.
4. Abtretung
Da es sich bei dem Vermächtnis um einen schuldrechtlichen Anspruch handelt, unterliegt dieser den allgemeinen Regeln der Abtretung.
5. Kosten
Die bei der Vermächtniserfüllung anfallenden Kosten hat der mit dem Vermächtnis Beschwerte zu tragen, wenn der Erblasser nichts anderes angeordnet hat. Zum Beispiel hat der mit einem Grundstücksvermächtnis Beschwerte auch die Kosten der Grundstücksumschreibung zu tragen (BGH, Urteil vom 20. 3. 1963 – V ZR 89/62).
6. Erbschaftsteuer
Schuldner der Erbschaftsteuer ist der Vermächtnisnehmer. Der Erbe haftet aber für die Bezahlung der Erbschaftsteuer. Der Beschwerte kann daher ein Zurückbehaltungsrecht geltend machen bis der Vermächtnisnehmer nachgewiesen hat, dass er die Erbschaftsteuer gezahlt hat.