Warum sollten Eheleute mit Kindern ein Berliner Testament errichten? Erklärt von Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht. Konstanz, Radolfzell am Bodensee, Rottweil, Villingen-Schwenningen

Warum sollten wir als Eheleute ein Berliner Testament errichten?

1. Warum sollten wir als Eheleute ein gemeinschaftliches Testament errichten?

Das „Ehevermögen“ wird von den Ehepartnern zumeist als beiden gehörend betrachtet. Gemeinsamer Wunsch von Eheleuten ist es daher häufig, dass zunächst der überlebende Ehegatte in den vollen Genuss dieses Vermögens kommt. Erst nach dessen Tod sollen andere – seien es gemeinsame Kinder oder nahe Verwandte – Zuwendungen erhalten. Dieses Ziel kann durch ein gemeinschaftliches Ehegattentestament erreicht werden, mit dem die erbrechtlichen Folgen für zwei Sterbefälle geregelt werden. Wenn die Eheleute kein Testament errichten gilt die gesetzliche Erbfolge. Die gesetzliche Erbfolge ist aber bloß eine Standardlösung, die der Gesetzgeber für den Fall vorgegeben hat, dass kein Testament vorhanden ist. Wenn Sie zum Beispiel zwei Kinder haben und im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet sind, würden nach dem Gesetz ihr Ehepartner zu 1/2 und die beiden Kinder zu je 1/4 erben. Das hätte zum Beispiel zur Folge, dass jedes der Kinder die Versteigerung des geerbten Hauses beantragen könnte. Das ist das Fatale an einer Erbengemeinschaft mit den Kinder. Kann der überlebende Ehegatte die Kinder nicht auszahlen, obwohl sie dies fordern, könnten die Kinder die Versteigerung des geerbten Hauses beantragen. Das kann durch ein Berliner Testament verhindert werden. Auch können Sie im Testament durch Vermächtnisse einzelne Gegenstände, z.B. das silberne Essgeschirr oder die Perlenkette, haargenau dem Kind zuwenden, das Sie dafür ausersehen haben. Ohne Testament gehen Geschirr und Schmuck an alle Erben gemeinsam und die streiten sich darüber dann vielleicht mit Biegen und Brechen.

2. Was ist ein Berliner Testament?

Ein „Berliner Testament“ ist eine besondere Form des Ehegattentestaments und zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Eheleute zunächst gegenseitig und anschließend die Kinder als Erben einsetzen. Dabei können die Ehegatten die sog. Trennungslösung (mit Vor- und Nacherbschaft) und die Einheitslösung (mit Voll- und Schlusserbschaft) wählen.

Im Zweifelsfall gilt: Der überlebende Ehegatte wird alleiniger Vollerbe und die Kinder sog. Schlusserben. Das Vermögen geht dabei uneingeschränkt auf den überlebenden Ehegatten über, der hierüber zu Lebzeiten frei verfügen kann.

Hiervon unterscheidet sich eine Variante des Berliner Testaments bei dem der überlebende Ehegatte nur „Vorerbe“ und die Kinder „Nacherben“ werden. Der Nachlass des erstverstorbenen Ehegatten bildet dann ein Sondervermögen, über das der überlebende Ehegatte zu Lebzeiten nur in engen Grenzen verfügen kann: Schenkungen sind nicht zulässig und Nachlassimmobilien dürfen weder veräußert noch belastet werden. Dies kann z. B. für die Witwe in Fällen der Not zum Problem werden. Vorteil dieser Lösung ist die Sicherung des Erbes für die gemeinsamen Kinder (z. B. im Fall einer Wiederverheiratung der Witwe).

3. In welcher Form kann ein Ehegattentestament errichtet werden?

Das Ehegattentestament kann entweder vor einem Notar oder von den Eheleuten selbst in privatschriftlicher Form errichtet werden. Wollen Sie ihr Testament selber schreiben, dann reicht es aus, wenn einer der Ehegatten den gesamten Text handschriftlich niederlegt und beide Ehegatten das Testament mit Ort und und Datum unterschreiben. Einer der Eheleute muss das ganze Testament von Hand schreiben. Der Text wird dann mit den getrennten Unterschriften abgeschlossen. Besteht ihr Testament aus mehreren Blättern ist es sinnvoll, die Blätter durchzunummerieren.

4. Welche Risiken hat das „Berliner Testament“?

Dieses Testament kann (nicht: muss !) eine Erbschaftsteuerfalle darstellen, da  bei größeren Vermögen unnötig hohe oder gar vermeidbare Steuerlasten ausgelöst werden können. Beim Tode des Erstversterbenden werden nämlich die Steuerfreibeträge der Kinder im ersten Erbfall nicht genutzt. Für Vermögende kann es also besser sein, wenn die Kinder schon nach dem Tod des zuerst versterbenden Elternteils etwas erhalten. Der auf die Kinder als Schlusserben übergehende Nachlass wird zudem zweimal besteuert – nämlich beim Tod des ersten und zweiten Ehegatten! Verschärft wird die Situation zusätzlich dadurch, dass sich durch den ersten Erbfall der Wert des Nachlasses des Überlebenden erhöht und hierdurch wegen der Steuerprogression ein höherer Steuersatz ausgelöst werden kann.

5. Expertentipp:

Gerade bei einem größeren Nachlass, der die Steuerfreibeträge der Kinder übersteigt (400.000 Euro je Kind), empfiehlt es sich, den Kindern beim Tode des Erstversterbenden Geldvermächtnisse in Höhe der Freibeträge zuzuwenden. Diese können auch noch als Pflichtteilsabfindung steuermindernd geltend gemacht werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Beispiel:

Die Ehegatten setzen sich gegenseitig als alleinige Vollerben ein; der gemeinsame Sohn wird Schlusserbe. Der Ehemann hinterlässt
einen Nachlass von 1 Mio. Euro. Die von der Ehefrau zu zahlende Erbschaftsteuer errechnet sich ohne Berücksichtigung des Versorgungsfreibetrages wie folgt:

  • Erbschaft 1.000.000 Euro (Geldvermögen ohne Familienheim)
  • abzgl. Freibetrag 500.000 Euro
  • zu versteuern 500.000 Euro
  • 15 % Steuern hieraus: 75.000 Euro

Ein testamentarisches Vermächtnis zugunsten des Sohnes in Höhe des Steuerfreibetrages von 400.000 Euro hätte folgende Berechnung ergeben:

  • Erbschaft 1.000.000 Euro
  • abzgl. Vermächtnis 400.000 Euro
  • abzgl. Freibetrag 500.000 Euro
  • zu versteuern 100.000 Euro
  • 11 % Steuer hieraus: 11.000 Euro

Die Steuerersparnis beträgt also
64.000 Euro.

Ein weiterer Steuerspartipp ist die Aussetzung eines sogenannten Supervermächtnisses (= Steuersparvermächtnis).

6. Was ist mit Pflichtteilsansprüchen?

Die gegenseitige Alleinerbeneinsetzung der Ehegatten bedeutet gleichzeitig eine Enterbung der Kinder. Diese können deshalb nach dem Tod des Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche geltend machen. Besteht der Nachlass überwiegend aus einer Immobilie, führt der Pflichtteilsanspruch eines Kindes zu Liquiditätsproblemen mit der Folge, dass das Haus u.U. verkauft werden muss, um den Pflichtteil auszahlen zu können. Dem überlebenden Ehegatten wird damit die Lebensgrundlage entzogen. Diese Gefahr kann aber durch eine kluge Gestaltung des Testaments minimiert werden.

7. Welche Folgen hat eine Wiederheirat des überlebenden Ehegatten?

Der neue Ehegatte des länger lebenden Ehegatten ist pflichtteilsberechtigt. Damit können Vermögensteile des erstversterbenden Ehegatten beim Tode des Überlebenden an den neuen Partner abfließen. Außerdem kann die Wiederverheiratung zu einem Anfechtungsrecht des überlebenden Ehegatten führen; die im Ehegattentestament enthaltenen Verfügungen zugunsten der Schlusserben werden damit zu Fall gebracht. Damit würde eine – vom Erblasser nicht gewünschte – gesetzliche Erbfolge eintreten, und zwar rückwirkend auf den ersten Todesfall, der rückabzuwickeln wäre, da der überlebende Ehegatte ja zunächst als Alleinerbe betrachtet wurde.

8. Kann ein Ehegattentestament widerrufen werden?

Zu Lebzeiten beider Ehegatten können die letztwilligen Verfügungen durch ein neues gemeinschaftliches Testament widerrufen werden. Der einseitige Widerruf des Ehegattentestaments muss dagegen notariell beurkundet und dem anderen Ehegatten zugestellt werden. Geheime Sachen hinter dem Rücken des anderen soll keiner mehr machen können.

Mit dem Tod eines Ehegatten tritt beim gemeinsamen Testament eine Bindungswirkung ein. Der überlebende Ehegatte ist deshalb gehindert, die letztwillige Verfügung abzuändern oder die Erbfolge gänzlich neu zu
bestimmen. Will er dies (z.B. zur Absicherung eines neuen Lebenspartners) trotzdem tun, muss er das Erbe ausschlagen, um zumindest noch über sein eigenes Vermögen anderweitig testamentarisch verfügen zu können

9. Wie können die Risiken des Berliner Testaments begrenzt werden?

Durch sinnvolle Testamentsgestaltungen – wie z.B. einem Anfechtungsverzicht, Pflichtteilsstraf- oder Wiederverheiratungsklauseln – kann unerwünschten Ergebnissen vorgebeugt werden. Die Hinzuziehung eines Experten ist dabei in jedem Fall erforderlich. Das Berliner Testament von der Stange geht oft schief.

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