Erbrechtsfälle brauchen Geduld und Zeit von Gerhard Ruby, Fachanwalt für Erbrecht.
Erbenstreit kostet Zeit und Nerven: Ein Jahr ist gar nichts
Der emotionale und seelische Druck
für Angehörige ist nach dem Tod eines Ehegatten oder Elternteils groß. Dann kommen oft noch Erbstreitigkeiten hinzu. Man fühlt sich in der Erbauseinandersetzung von den eigenen Geschwistern oder den Kindern des Verstorbenen aus erster Ehe verkannt, beleidigt, nicht wertgeschätzt, betrogen und verletzt. Man geht zu einem Anwalt und erhofft sich davon eine schnelle Erledigung der rechtlichen Auseinandersetzung und damit auch ein schnelles Ende der seelischen Belastungen.
Ohne Anwalt dauert es noch länger
Richtig ist es, sich so schnell wie möglich fachanwaltlicher Hilfe im Erbrecht zu bedienen. Das beschleunigt in der Tat die Beendigung der anstehenden Verfahren. Die Hoffnung, dass das aber alles binnen Monaten oder noch kürzerer Zeit erledigt sei, trügt jedoch.
In Nachlasssachen geht es um hohe Werte, familiär verbissen ausgefochtene Konfliktlagen und sorgfältiges Arbeiten aller Beteiligten. Das kostet Zeit und Geld. Hier möchte ich umschreiben wie lange bestimmte Prozesse im Erbrecht dauern oder dauern können.
Erbscheinsverfahren beim Amtsgericht: Wie lange dauert es?
Noch vor wenigen Jahren ging man davon aus, dass ein Erbschein nach drei bis vier Monaten erteilt sei. In Zeiten der Einführung der E-Akte bei den Nachlassgerichten und fehlenden Justizpersonals kann die Erteilung eines Erbscheins nach nur 6 Monaten heute als sehr schnell bezeichnet werden. Das kann aber auch ohne weiteres einmal ein Jahr oder noch länger dauern. Gibt es bei der Erbscheinserteilung unterschiedliche Auffassungen der Beteiligten sind ein bis zwei Jahre bis zu seiner Erteilung nichts Ungewöhnliches, Wird gegen einen Erbschein von einem der Beteiligten Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt sind zwei bis vier Jahre sehr schnell vorbei.
Prozess vor dem Landgericht schneller als Erbscheinsverfahren?
Wird um die Stellung als Erbe gestritten, ist das Erbscheinsverfahren beim Amtsgericht zäh und langwierig. Hinzu kommt, dass ein Erbschein nie zu 100 Prozent wirklich endgültig ist. Er erwächst im Unterschied zu einem Urteil nie in Rechtskraft. Er ist letztlich immer nur „vorläufig“, weil es ja sein könnte, dass noch nach Jahren ein bislang nicht entdecktes Testament auftaucht, das alles Bisherige über den Haufen schmeißt. Da kann es durchaus schneller sein, wenn man beim Landgericht auf Feststellung der Erbenstellung klagt. Aber auch hier ist ein Jahr einzuplanen. Geht das Ganze in die Berufung sind zwei Jahre schnell vorbei.
Stufenklagen im Pflichtteilsrecht
ziehen sich oft extrem lange hin. Bei einer Stufenklage klagt man auf der ersten Stufe ein Nachlassverzeichnis ein und auf der nächsten Stufe die Wertermittlung durch Sachverständige und schließlich auf der Zahlungsstufe die Zahlung des Pflichtteilsbetrages. Es ist ein Prozess der auf mehreren Stufen abläuft. Die erste Auskunftsstufe ist oft schnell erledigt und man hat schnell ein Urteil in der Hand. Soll aber danach ein Notar das Nachlassverzeichnis erstellen, kommt es wieder zum Zeitproblem. Obwohl die Notare gutes Geld für die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses erhalten, machen viele Notare das höchst ungern. Sie müssen bei Banken, Grundbuchämtern und Versicherungen den Nachlass ermitteln. Hier geht schnell ein Jahr ins Land (oft noch länger) bis das Nachlassverzeichnis vorliegt. Ist noch eine Wertermittlung durch Sachverständige, z.B. für ein Grundstück erforderlich (2. Stufe) verzögert sich das Ganze schnell um mindestens ein weiteres halbes Jahr. Und wie immer: Man kann auch über das notarielle Nachlassverzeichnis und seine Korrektheit trefflich streiten. Das Gleich gilt natürlich auch für die Werte, die der Sachverständige für das Haus ermittelt hat. Hier gehen die Vorstellungen der Beteiligten schnell auseinander: Der Erbe hält den ermittelten Wert für zu hoch, für den Pflichtteilsberechtigten ist er zu niedrig. All das führt zu weiteren zeitlichen Verzögerungen von sechs Monaten bis zu einem Jahr. Drei Jahre sind bei einem streitigen Pflichtteilsprozess mittels Stufenklage keine Seltenheit.
Testierunfähigkeit oder Testamenstfälschung
Wird beim Erblasser die Testierfähigkeit angezweifelt, müssen dazu von den Gerichten neurologische Sachverständigengutachten eingeholt werden. Konnte der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung noch testieren oder verstand er nicht mehr was er da niederschrieb (möglicherweise nach einer Vorlage des Erben). Das verzögert das Verfahren schnell um ein Jahr bis das Gutachten dann vorliegt. Das Gleiche gilt für das Gutachten eines Schriftsachverständigen, der überprüft, ob eine Testamentsfälschung vorliegt.
Ein Jahr ist im Erbrecht schnell vorbei
Schon aus dem bislang Gesagten ergibt sich, dass im Erbrecht Geduld und Ausdauer gefragt sind. Wer seine Erbsache in einem Jahr abgeschlossen hat, hat sozusagen einen Sprint hingelegt. Bei Prozessen vor den Streitgerichten dauert es in der Regel mindestens ein Jahr bis ein Urteil vorliegt. Zwei oder drei Jahre bis zum Urteil sind nicht selten. Es kann aber auch durchaus passieren, dass bei einer Berufung eine Gesamtdauer von zwei bis vier Jahren gegeben ist. Bei sehr komplizierten Fällen verschiebt sich das zeitlich natürlich alles nach hinten. Komplizierte und umfangreiche Erbfälle sind oft erst nach fünf Jahren abgeschossen. Ich habe hier zig Fälle mit einer solchen Verfahrensdauer. Mein aktuell ältester Fall befindet sich seit zehn Jahren in der ersten Instanz weil zahlreiche Nachlassgegenstände bewerten sind und über die Bewertungen heftig durch Gutachten und Gegengutachten gestritten wird.